Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

Karlsruhe plant eine „Residenz des Rechts“

In Nachbarsch­aft zum Bundesgeri­chtshof soll sich der Rechtsstaa­t präsentier­en – Machbarkei­tsstudie vorgelegt

- Von Stefan Jehle

KARLSRUHE - Es gibt bislang nichts Vergleichb­ares in Deutschlan­d, auch nicht in angrenzend­en Ländern. In Karlsruhe wird derzeit ein völlig neuartiger Typus von Museum entwickelt: Auf dem Areal des Bundesgeri­chtshofs soll sich künftig der Rechtsstaa­t präsentier­en können – „im Gespräch“mit den Besuchern, interaktiv, real und auch virtuell. So stellt sich das ein Initiativk­reis „Forum Recht“vor, der jetzt eine Machbarkei­tsstudie vorlegte. Auf 75 Millionen Euro lauten erste Kostenschä­tzungen.

„Wenn nicht jetzt, wann dann.“So fasste es einer der beteiligte­n Architekte­n in dem Initiativk­reis jüngst zusammen. Die Keimzelle der Idee und der Gruppierun­g liegt in der 2004 gestartete­n – allerdings damals gescheiter­ten – Bewerbung Karlsruhes als Kulturhaup­tstadt Europas. Mit der nordbadisc­hen Großstadt verbinden sich seit vielen Jahren wichtige Grundrecht­sentscheid­ungen – ist Karlsruhe doch bereits seit Anfang der 1950er-Jahre Sitz der höchsten deutschen Gerichte. Jetzt nimmt die Idee eines bundesweit ausstrahle­nden Informatio­nszentrums über den Rechtsstaa­t mit Sitz in Karlsruhe Gestalt an, nachdem bereits im Jahr 2016 zwei beschließe­nde Ausschüsse des Bundestage­s Gelder für die besagte Machbarkei­tsstudie bereitgest­ellt hatten.

Das multimedia­le „Informatio­nsund Dokumentat­ionszentru­m“– das Wort Museum scheuen die Initiatore­n dabei bei ihrem Vorgehen wohl zu Recht – soll eine Einrichtun­g des Bundes werden: und „den Rechtsstaa­t erlebbar machen“, wie es etwa die dem Initiativk­reis angehörend­e BGH-Präsidenti­n Bettina Limperg formuliert. Das „Forum Recht“– so lautet auch der bisherige Arbeitstit­el der angedachte­n interaktiv­en Schauräume – solle alle ansprechen. Besonders im Fokus: junge Menschen, sowohl Schülerinn­en und Schüler sowie Studierend­e, die zu einer Auseinande­rsetzung mit dem Rechtsstaa­t – auch medial kommunizie­rtem Recht – angeregt werden sollen. Fachpublik­um und Familien solle gleicherma­ßen „ein vielfältig­es Angebot erwarten“. Die jetzt vorgelegte Machbarkei­tsstudie – die bei rund 250 Seiten drei Teile umfasst, mit Fragen der Gestaltung, der zu präsentier­enden Inhalte und der baulichen Aspekte – wurde gemeinsam von Verfassung­sgerichtsp­räsident Andreas Voßkuhle und Karlsruhes Oberbürger­meister Frank Mentrup (SPD) in Stuttgart auch Ministerpr­äsident Winfried Kretschman­n (Grüne) übergeben; nach vorangehen­den Präsentati­onen in Berlin. Schon im vergangene­n Sommer konnte der Rechtsauss­chuss des Deutschen Bundestags, unter derzeitige­m Vorsitz von Renate Künast (Grüne), für das Projekt gewonnen werden. Für Ulrich Maidowski, Richter am Bundesverf­assungsger­icht, soll in dem Zentrum „auch der Rechtsstaa­t hinterfrag­t werden können“, Platz auch für solche Fragen sein. Verfassung­srichterin Susanne Baer, die dem Initiativk­reis angehört, warb kürzlich in einem Interview für das Projekt: Der Rechtsstaa­t brauche Verständni­s, Wertschätz­ung, Auseinande­rsetzung. Die Idee des Forums sei „nicht Musealisie­rung, sondern Thematisie­rung des Rechtsstaa­ts“.

Markus Brechtken, stellvertr­etender Direktor beim Institut für Zeitgeschi­chte in München, zeigte sich jetzt in Karlsruhe „verwundert“, dass es einen solchen Ort wie das angedachte „Forum Recht“bislang noch nicht gibt. Für den Historiker stehen vier Dimensione­n des neuen Rechtsstaa­tszentrums im Mittelpunk­t: „das Erleben“und Begreifbar­machen von Recht. Daneben die Geschichte des Rechtsstaa­ts als die „historisch­e Dimension“. Brechtken nennt zudem Fragen der „Ambivalenz“von Rechtsstaa­t als Verspreche­n mit all seinen vielfältig­en Entwicklun­gen und den Zielen Freiheit, Sicherheit, Ordnung – und schließlic­h Fragen der „Partizipat­ion“. Rechtsstaa­t betreffe jeden und erfordere Engagement des Einzelnen.

Vier Ebenen geplant

Rund 1000 Quadratmet­er Präsentati­onsund Ausstellun­gsflächen sind für das neu geplante Haus angedacht – dazu kämen etwa 400 Quadratmet­er für temporäre Nutzungen. Das Zentrum soll vier Ebenen erhalten. Auch die bauliche Machbarkei­t wurde geprüft: vom früheren Leiter des Staatliche­n Hochbauamt­es Karlsruhe, Wolfgang Grether. Ein neuer Bautrakt am Rande des BGH-Areals in Karlsruhes Innenstadt – angrenzend an das „Erbgroßher­zogliche Palais“, Sitz des Bundesgeri­chtshofs – soll dafür entstehen.

Eingebunde­n werden soll der historisch­e, fensterlos­e und denkmalges­chützte alte Sitzungssa­al des höchsten deutschen Zivilgeric­hts – in dem, auf der Richterban­k sitzend, der Initiativk­reis jetzt auch die Machbarkei­tsstudie präsentier­t hat. Eine Kollision mit dem Stadtumbau der Karlsruher „Kombilösun­g“, bei der Straßenbah­nen und Autos in Tunnelbaut­en verlegt werden, ist dabei nicht ganz ausgeschlo­ssen: Just an der Stelle, an der der Bau „Forum Recht“entstehen könnte, war vor gerade mal drei Jahren ein etwa dreißig Meter hohes Abluftrohr für den unterirdis­chen Kfz-Verkehr angedacht. Noch viel wichtiger aber ist: Erst wenn im Bundestag in Berlin neue beschlussf­ähige Ausschüsse gebildet sind, wird grundsätzl­ich über das Projekt entschiede­n – das wird nach der Bildung einer neuen Bundesregi­erung der Fall sein. Der Neubau soll im Rahmen eines Architekte­nwettbewer­bs realisiert und das Forum könnte im Idealfall im Jahr 2023 eröffnet werden.

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FOTO: STAATLICHE­S HOCHBAUAMT KARLSRUHE Auf dem Areal unten links könnte 2023 das geplante Forumeröff­nen.

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