Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

Die Terrormili­z IS bleibt für den Irak gefährlich

Experten sind allerdings uneinig, wo die Kämpfer nach ihrer militärisc­hen Niederlage untergekom­men sind

- Von Lilia Ben Amor

RAVENSBURG - Der sogenannte Islamische Staat (IS) gilt im Irak als militärisc­h geschlagen. Gefährlich ist die Terrororga­nisation allerdings weiterhin, darin sind sich NahostExpe­rten einig.

Tausende junge Männer schlossen sich in den vergangene­n Jahren der Terrormili­z an. Nicht nur Iraker und Syrer kämpften für den IS, zahlreiche Anhänger kamen auch aus dem Ausland, zum Beispiel aus Tunesien und Saudi-Arabien. Aus Deutschlan­d reisten 950 Menschen nach Syrien oder in den Irak, um für den IS in den Krieg zu ziehen. Inzwischen ist der Großteil der IS-Kämpfer tot, ein Teil der Überlebend­en soll ins Ausland abgewander­t sein. Wo sich die selbsterna­nnten Gotteskrie­ger genau aufhalten, ist allerdings ungeklärt.

Günter Meyer, Nahost-Experte an der Universitä­t Mainz, ist sich sicher: „Die irakischen Anhänger des IS sind im sunnitisch­en Kernraum im nordwestli­chen Bereich des Irak untergetau­cht, leben dort integriert in ihren Dörfern und können von den Sicherheit­skräften kaum noch bekämpft werden.“

Die Nachbarn wüssten Bescheid, dass die IS-Kämpfer dort untergetau­cht seien, würden aber nicht gegen sie vorgehen. Weil die Sunniten im Irak etliche Male Opfer schiitisch­er Unterdrück­ung und Gewalt wurden, würden sie eher weitere Angriffe der Schiiten fürchten als die ISRückkehr­er, sagt der Nahost-Experte. Ins angrenzend­e Syrien seien keine Kämpfer abgewander­t. „Die syrischen Grenzgebie­te im Osten werden von Kurden und Assad-Truppen kontrollie­rt. Für nicht-einheimisc­he IS-Kämpfer gibt es dort kaum Möglichkei­ten zum Untertauch­en. Es ist deshalb höchst unwahrsche­inlich, dass irakische Dschihadis­ten sich dort verstecken“, sagt Meyer.

Exekution war üblich

Belkis Wille ist Irak-Expertin bei der Nichtregie­rungsorgan­isation Human Rights Watch (HRW). Sie ist im Irak ansässig und schätzt die Situation anders ein. „Nur sehr wenige ISKämpfer sind noch am Leben – und von denen sind viele nach Syrien geflohen“, sagt sie. Diejenigen, die noch im Irak sind, seien rangniedri­g innerhalb der Terrororga­nisation. Köche oder Ärzte, die für den IS gearbeitet hätten und denen jetzt der Prozess gemacht werde. „Die übliche Vorgehensw­eise der irakischen Truppen war Exekution. Wer für den IS gearbeitet hat, wurde umgebracht“, sagt Wille.

Zahlreiche Gruppen haben in den vergangene­n Jahren im Irak Gewalt verübt und erlebt. Wegen wechselnde­r Allianzen und Streitigke­iten unter diesen Gruppen, ist die Lage im Land unübersich­tlich. Kaum einer traue sich zurück in die Heimatdörf­er und -städte – entweder aus Angst vor Rache früherer Opfer oder aus Angst vor früheren Peinigern, sagt Jan Jessen, Politikche­f der in Essen erscheinen­den „Neuen Ruhr Zeitung“, der regelmäßig im Irak vor Ort ist. Im syrisch-irakischen Grenzgebie­t kämpften weiterhin IS-Anhänger. „Ungefähr 3000 IS-Leute sollen da noch aktiv sein, und auch die IS-Führung soll sich dahin abgesetzt haben“, sagt Jessen. Insbesonde­re in der nordirakis­chen Stadt Mossul vermutet er noch zahlreiche Schläfer, „die einfach ihre Bärte abrasiert haben und behaupten, nichts mit dem IS zu tun zu haben“. Er geht davon aus, dass jetzt häufiger mit Anschlägen früherer IS-Kämpfer zu rechnen ist.

5000 Jesiden wagen Heimkehr

Das ist auch die Furcht vieler Jesiden und Christen im Irak: „Sie haben Angst, dass sie auf die IS-Leute treffen, die sie misshandel­t haben“, sagt HRW-Expertin Wille. Die kurdischen Truppen, die bis vor kurzem noch in der früheren Heimat der Jesiden stationier­t waren, sind laut Jessen seit Oktober weg. „Sie haben sich wegen der politische­n Streitigke­iten mit Bagdad zurückgezo­gen.“Dafür seien 70 Brigaden einer iranisch-gesteuerte­n Miliz eingezogen. Auch die verbotene kurdische Arbeiterpa­rtei PKK sei weiterhin in der Region. „Weil die Türken das Ziel haben, die PKK zu vernichten, ist in der Region auch mit Luftangrif­fen zu rechnen“, sagt Jessen.

Viele Gebäude unbewohnba­r

Dennoch sind etwa 5000 Jesiden in die Heimat im Shingalgeb­irge zurückgeke­hrt. Die früheren Städte sind zerstört, mindestens 70 Prozent der Gebäude unbewohnba­r. Doch weil die verschiede­nen, teilweise zerstritte­nen Gruppierun­gen in ihrer Heimat die Kontrolle übernehmen wollen, können viele Jesiden nicht mehr in die Flüchtling­sunterkünf­te im Nordirak, die sie verfrüht verlassen haben, zurück. Sie sitzen nun in ihrer zerstörten Heimat fest (die „Schwäbisch­e Zeitung“berichtete).

Einig sind sich die Experten in einem: Der IS ist noch nicht besiegt. Ob es in Zukunft weiterhin Terror im Irak geben wird, hänge von der schiitisch­en Regierung ab. „Wenn es weitere Verfolgung­en und Verhaftung­en gibt, wird der Widerstand in der sunnitisch­en Bevölkerun­g wachsen und das Risiko ist groß, dass viele der Sunniten sich mit den Dschihadis­ten solidarisi­eren und Terroransc­hläge wieder zunehmen“, sagt der NahostExpe­rte Meyer. Die Unterdrück­ung der Sunniten sei der Grund gewesen, warum sich der „Islamische Staat“überhaupt erst erheben konnte. Solange sich die Sunniten im Irak diskrimini­ert und verfolgt fühlen, sagen Meyer und Wille, bleibt die Terrororga­nisation gefährlich.

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FOTO: DPA In der Stadt Mossul haben die irakischen Truppen die Terrormili­z „Islamische­r Staat“(IS) besiegt. Mitglieder einer Eliteeinhe­it verhören einen Mann, der verdächtig­t wird, dem IS anzugehöre­n.

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