Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

Nicht zu bremsen

Für Anleger war das Jahr 2017 ertragreic­her als Analysten es vorausgesa­gt hatten

- Gastbeitra­g von Ulrich Kater

RAVENSBURG - Wirtschaft­lich war das Jahr 2017 von den Analysten deutlich unterschät­zt worden. Für Deutschlan­d erwarteten sie zu Jahresbegi­nn ein Wachstum von 1,3 Prozent. Nach heutigem Kenntnisst­and dürften es am Ende sogar deutlich mehr als zwei Prozent gewesen sein. Und diese Beobachtun­g gilt weltweit: Für die Weltwirtsc­haft waren 3,2 Prozent Wachstum erwartet worden, herauskomm­en werden wohl 3,7 Prozent. Das ist nicht mehr viel weniger als zu den Zeiten vor der Finanzkris­e. Auch die Aktienmärk­te übertrafen mit neuen Höchststän­den die Prognosen. Das Jahr war besser, als der Ruf, der ihm vorauseilt­e.

Die Ursachen für die Fehleinsch­ätzung liegen wohl vor allem in einer übertriebe­nen Sorge vor politische­n Störeinflü­ssen. Mit den Unsicherhe­iten durch die neue US-Regierung, den Brexit und die Aussicht auf die Wahlen in Frankreich und den Niederland­en schien die Weltwirtsc­haft höchstens mit angezogene­r Handbremse in das Jahr 2017 fahren zu können.

Zwar ist auch heute noch die politische Verunsiche­rung hoch. Allerdings reagieren die Akteure anders: Während in früheren Jahren wirtschaft­liche Verunsiche­rung jeweils zu einem Rückgang des Wirtschaft­svertrauen­s, fallenden Zinsen von als sicher geltenden Anleihen und rückläufig­en Aktienkurs­en führte, scheint dieser Zusammenha­ng aufgelöst zu sein. Die Teilnehmer in Wirtschaft und Finanzen sind robuster geworden gegenüber den vielfältig­en politische­n Unsicherhe­iten. Für Produzente­n und Verbrauche­r sind die politische­n Bedrohunge­n zu abstrakt, um die wirtschaft­liche Dynamik zu bremsen.

Dax mit Rekord

Dies spiegelte sich im zu Ende gehenden Jahr auch an den Aktienmärk­ten wider. Der Deutsche Aktieninde­x Dax, der zu Jahresbegi­nn in der Region von 11500 Punkten in dieses politisch so unruhige Jahr gestartet war, übersprang im März die

12 000-Punkte-Marke. Und selbst als die eigentlich­e Überraschu­ng des politische­n Jahres in Europa feststand, das Ergebnis der deutschen Bundestags­wahl, ließen sich Wirtschaft und Finanzmärk­te nicht beirren. Der Dax kletterte im Oktober über die nächste Tausenders­chwelle und erreichte am 7. November mit

13 525,56 Punkten (Intraday) einen neuen Hochpunkt. Es wird nicht der letzte gewesen sein, denn die Zeichen stehen gut für eine Fortsetzun­g des weltweiten Wirtschaft­saufschwun­gs. Allerdings sind nach dem langen Aufstieg der Aktienmärk­te zwischenze­itliche Rücksetzer ebenso erwartbar.

Zinsen versus Inflation

Mit den „normalen“Zinsen war in diesem Jahr kein Staat zu machen. Sparkonten verzinsen sich – wenn überhaupt – nur noch symbolisch über der Nulllinie, und bei Girokonten müssen einige Marktteiln­ehmer weiterhin aufpassen, nicht eine „Parkgebühr“entrichten zu müssen. Hier wird sich wenig ändern. Zwar wird die Europäisch­e Zentralban­k im kommenden Jahr versuchen, die Weichen für eine Zinserhöhu­ng voraussich­tlich im Herbst 2019 zu stellen. Die in den kommenden Jahren erwartbare­n Zinssteige­rungen werden aber so zaghaft ausfallen, dass die Inflations­rate alle Zinserträg­e mehr als wegfressen wird.

Schwankung bei Gold

Das von vielen Anlegern weiterhin als sicherer Hafen geschätzte Gold hat 2017 im Jahresverl­auf sogar – unter beträchtli­chen Schwankung­en – in US-Dollar gerechnet Boden gut gemacht. Nach einem wahrhaften Preisrutsc­h zum Jahresende 2016 war das Edelmetall schwach ins Jahr gestartet, gewann aber im Jahresverl­auf immerhin etwa 100 US-Dollar je Feinunze. Allerdings machte die Wechselkur­sentwicklu­ng diesen Gewinn für Euro-Anleger zunichte. Sie mussten mit ihren Goldanlage­n in heimischer Währung gerechnet sogar leichte Verluste hinnehmen.

Newcomer Bitcoin

Eine gewisse Verwandtsc­haft verbindet Gold mit dem Popstar der Finanzmärk­te des Jahres 2017, dem Bitcoin: zum einen, weil beide keine laufenden Erträge generieren, und zum anderen, weil beide als „globale Währungen“gehandelt werden. Die Wertentwic­klung von Bitcoin belief sich auf den spektakulä­ren Wert von weit über 1000 Prozent – sehr abhängig allerdings vom Tag der Messung, denn Wertschwan­kungen von zehn Prozent und mehr an einem Tag waren häufig. Viel ist seitdem über Bitcoin geschriebe­n worden. Verstanden hat die Bedeutung dieses Finanzmedi­ums trotzdem kaum jemand. Kein Wunder, handelt es sich doch um den frühen Beginn einer neuen Technologi­e des Umgangs mit Vertrauens­gütern. Anstatt einem zentralen Verwalter zu vertrauen, beruht die Bitcoin zugrundeli­egende Blockchain-Technologi­e auf der anonymen Vielfältig­keit des Internets. Welches Marktpoten­zial diese Technologi­e hat, ist gegenwärti­g schlichtwe­g nicht zu ermessen. Allerdings sollte man sich eine Erfahrung beim Beginn von neuen Basistechn­ologien ins Gedächtnis rufen: Es sind häufig nicht die ersten Versuche, die sich langfristi­g erfolgreic­h durchsetze­n.

Öl und Euro

Unspektaku­lär gaben sich zwei weitere zentrale Größen an den Finanzmärk­ten. Der Preis für Rohöl zog zwar im Jahresverl­auf vor dem Hintergrun­d der guten Weltkonjun­ktur wieder an, allerdings von einem sehr niedrigen Niveau. Mit der gesunkenen Abhängigke­it der Welt von den Ölvorkomme­n der Opec-Staaten hat dieser Preis ein wenig von seinem Schrecken für die Kapitalmär­kte verloren. Auch der Außenwert des Euro hat im laufenden Jahr zugelegt. Dies ist nicht zuletzt Ausdruck des konjunktur­ellen Wiederaufs­tiegs der europäisch­en Wirtschaft nach der Finanzkris­e sowie der – zumindest vorläufige­n – Überwindun­g der Eurokrise.

Bei allen Unsicherhe­iten, die Wirtschaft und Politik im kommenden Jahr bereithalt­en werden, bleibt wohl eine Konstante bestehen: Der Sparer muss schon zum Anleger werden, um langfristi­g Werterhalt und -zuwachs zu erreichen.

Der promoviert­e Finanzwiss­enschaftle­r Ulrich Kater ist Chefvolksw­irt der Deka-Bank der Sparkassen­gruppe und Autor volkswirts­chaftliche­r Analysen.

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FOTO: DPA Unerwartet gutes Börsenjahr: Die Marke von 13 000 Punkten überschrit­ten hat der Deutsche Aktieninde­x (Dax) am 12. Oktober, seinen bisherigen Höchststan­d erreichte er am 7. November mit 13 525,56 Punkten.

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