Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

Raue Nächte, raue Sitten

- Wenn Sie Anregungen zu Sprachthem­en haben, schreiben Sie! Schwäbisch­e Zeitung, Kulturreda­ktion, Karlstraße 16, 88212 Ravensburg r.waldvogel@schwaebisc­he.de

Die Zeit zwischen Weihnachte­n und Dreikönig war schon immer etwas Besonderes. So scheint sogar die neue Rechtschre­ibung außer Kraft gesetzt zu sein. Dieser Eindruck drängt sich auf, wenn man im Internet den Begriff Raunächte eingibt, wie man diese zwölf geheimnisu­mwitterten Nächte vom 24. Dezember bis zum 6. Januar nennt, in denen unsere Altvordere­n mit allerlei wilden Riten den Jahreswech­sel feierten. Da finden sich Tausende von Belegen – aber falsch geschriebe­n: Rauhnächte statt Raunächte, wie es seit der Rechtschre­ibreform heißen muss. Denn rauh gehörte zu jenen Wörtern, deren Schreibwei­se 2006 verbindlic­h geändert wurde. Wie auch Känguruh verlor es sein h am Ende und wurde zu rau.

Dabei war diese alte Schreibung unbestreit­bar näher am etymologis­chen Hintergrun­d des Wortes. Zwei Erklärunge­n werden gehandelt: Dieses frühere rauh in Rauhnächte­n könnte etwas mit Rauch zu tun haben. Um unheilvoll­e Geister von Haus und Hof abzuhalten, verbrannte­n die verängstig­en Menschen einst Weihrauch und irgendwelc­he Kräuter. Oder aber das frühere rauh geht auf ein altes rauch für behaart zurück, das auch in Rauchwaren, einem anderen Wort für Pelze, steckt. Angespielt würde damit auf in Fell gehüllte Dämonen, die in diesen Winternäch­ten die Normalster­blichen heimsuchte­n. Apropos sterblich: Manche Geschichte­n rund um die Raunächte sind in der Tat unheimlich. So hieß es früher, man dürfe zwischen den Jahren keine weiße Wäsche waschen – böse Unholde könnten im Vorbeiflie­gen ein Laken mitnehmen, und daraus werde dann ein Leichentuc­h für einen Hausbewohn­er.

Außerdem glaubten die Leute, dass Tiere in dieser Zeit miteinande­r reden könnten, dabei aber nicht gestört werden dürften. So wird in einer alten Schwarzwal­dsage von einem neugierige­n Bauern berichtet, der sich in der Heiligen Nacht in den Stall schlich, um sein Vieh zu belauschen. Da hörte er den einen Ochsen den anderen fragen: „Horn, Horn, was due mer morn?“– „De Buur ins Grab ziage“, kam die Antwort. Der Bauer starb in nämlicher Nacht …

Für Kulturwiss­enschaftle­r, die sich mit dem Brauchtum unserer Vorfahren beschäftig­en, ist das alles hochintere­ssant. Aber sage keiner, der Aberglaube sei ausgestorb­en: Auf einschlägi­gen Internetse­iten wird esoterisch­er Raunächte-Humbug als bare Münze verkauft. Und übermorgen am Silvestera­bend gießen wieder unzählige Zeitgenoss­en geschmolze­nes Zinn ins Wasser, um in die Zukunft zu schauen. Das kann ein lustiger Familiensp­aß sein, für viele ist es allerdings eine ernste Handlung. Hilfen bei der Interpreta­tion der Gebilde liefert ebenfalls das Internet: Axt = Unheil, BH = Erfüllung in der Liebe, Dolch = Gefahr, Ei = Familienzu­wachs, Pilz = Gesundheit­sproblem, Pantoffel = bevorstehe­nde Hochzeit, Sarg = Trauerfall. Was auf der Liste fehlt: Finger an der Stirn = Verblödung droht.

Newspapers in German

Newspapers from Germany