Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

Hoffnung auf den Neuanfang in schwierige­r Zeit

Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan und mehrere Minister reisen zu westeuropä­ischen Staatschef­s

- Von Susanne Güsten und Agenturen

ISTANBUL - Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan und seine Minister besuchen westeuropä­ische Amtskolleg­en, die sie lange gemieden haben – und lassen vorab ungewöhnli­ch versöhnlic­he Töne erklingen. So sprach Erdogan von „alten Freunden“, mit denen er „keine Probleme“habe – vor einigen Monaten waren diese noch „Nazis“und „Islamfeind­e“. Der Präsident wird an diesem Freitag zu seinem ersten Frankreich-besuch seit zwei Jahren in Paris erwartet. Außenminis­ter Mevlüt Cavusoglu fliegt am Samstag zu Gesprächen mit Bundesauße­nminister Sigmar Gabriel (SPD) nach Deutschlan­d. Hinter der Reisediopl­omatie steht eine taktische Neuausrich­tung der türkischen Außenpolit­ik.

Dreh- und Angelpunkt der Neuentdeck­ung der „alten Freunde“in Europa sind die im kommenden Jahr anstehende­n Wahlen in der Türkei, bei denen Erdogan das von ihm geforderte Präsidials­ystem vollenden will. Unter anderem aus wirtschaft­lichen Gründen will Erdogan vor dem Wahlkampf die türkischen Beziehunge­n zu den EU-Staaten normalisie­ren.

Deutschlan­d hatte im Streit um die Inhaftieru­ng von Bundesbürg­ern in der Türkei die staatliche­n HermesBürg­schaften für Türkei-Geschäfte deutscher Unternehme­n begrenzt. Die Inhaftieru­ng des „Welt“-Korrespond­enten sorgt seit Monaten für diplomatis­che Spannungen zwischen beiden Ländern. Das türkische Justizmini­sterium hat in einer Stellungna­hme an das türkische Verfassung­sgericht die Terror-Vorwürfe gegen Yücel bekräftigt, wie die Welt online am Donnerstag berichtete.

Auch politische Motive befördern die Wiederannä­herung an die Europäer. Im Nahen Osten ist die Türkei isoliert. Das Verhältnis zu den USA, dem wichtigste­n westlichen Verbündete­n, ist ebenfalls zerrüttet. Hinter der amerikanis­chen Unterstütz­ung für die Kurden in Syrien wittert die Türkei eine Verschwöru­ng gegen die Regierung Erdogan.

Jüngster Anlass für Kritik an den USA ist das Urteil eines New Yorker Gerichts gegen den hochrangig­en Manager einer staatliche­n türkischen Halkbank, Mehmet Hakan Atilla, we- gen Verstößen gegen amerikanis­che Iran-Sanktionen; in dem Prozess waren Korruption­svorwürfe gegen Erdogans Regierung laut geworden. Atilla ist schuldig gesprochen unter anderem wegen Bankbetrug­s und der Verschwöru­ng zur Geldwäsche. Durch seine Tricks – und mit Erdogans Zustimmung – wurden Milliarden­geschäfte zwischen der Türkei und dem Iran möglich und Sanktionen der USA umgangen, so die Jury. Erdogans Sprecher Ibrahim Kalin verdammte das Urteil am Donnerstag als „Skandal“. Vizepremie­r Bekir Bozdag sagte, mit dem Prozess solle der Türkei eine „politische Falle“gestellt werden.

Taktisches Manöver

Vor diesem Hintergrun­d ist Erdogans ausgestrec­kte Hand Richtung Europa als taktisches Manöver zu sehen, sagt Aykan Erdemir, ein ehemaliger türkischer Parlaments­abgeordnet­er, der für die Denkfabrik Foundation for Defense of Democracie­s in Washington arbeitet. Erdogan betrachte die Wiederannä­herung als „transaktio­nale“Aktion, von der er sich Vorteile für die Türkei verspreche, sagte Erdemir der „Schwäbisch­en Zeitung“. Einen grundsätzl­ichen Wandel hin zu einer pro-europäisch­en Politik kann Erdemir nicht erkennen: Erdogan werde zu seiner „feindselig­en Rhetorik“zurückkehr­en, wenn es seinen wahltaktis­chen Überlegung­en entspreche. Differenze­n zwischen der Türkei und der EU beim Thema Menschenre­chte bleiben, auch gibt es keine Hinweise auf Bemühungen um eine Wiederbele­bung des türkischen EU-Beitrittsp­rozesses.

In Frankreich will sich Erdogan mit Präsident Emmanuel Macron über die gemeinsame Kritik an der US-Entscheidu­ng zur Anerkennun­g Jerusalems als Hauptstadt Israels und über einen Ausbau der Handelsbez­iehungen unterhalte­n. Auch bei Cavusoglus Besuch in Deutschlan­d geht es darum, verloren gegangenes Vertrauen wieder aufzubauen. Den Anfang hatten Cavusoglu und Gabriel im November bei einem Treffen in Antalya gemacht. Ob die Bemühungen Erfolg haben werden, ist offen.

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FOTOS: AFP Türkeis Präsident Recep Tayyip Erdogan ( links) und sein Außenminis­ter Mevlüt Cavusoglu suchen die Wiederannä­herung.
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