Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)
Love and Peace in Schwabing
Stefan Moses’ Fotos von der Flower-Power-Zeit in München
MÜNCHEN - Überraschung im Münchner Literaturhaus: Stefan Moses hat nicht nur Berühmtheiten wie Ernst Jünger und Peggy Guggenheim porträtiert – vor 50 Jahren fing der Fotokünstler auch die Schwabinger „Blumenkinder“ein
Die Wände leuchten orange, gelb oder violett. Und wenn man im richtigen Moment ins Literaturhaus kommt, läuft gerade einer dieser Songs vom ewigen Sommer in Kalifornien. In den Sechzigern ließen sie Millionen junger Leute von einer besseren Welt träumen. „Love and Peace“– Liebe und Frieden – war die Botschaft, die man am besten mit Blumen im Haar weitertrug: von San Francisco, das Scott McKenzie in seiner sanften Hippie-Hymne verklärt hat, bis ins alte Europa.
Erstmals öffentlich gezeigt
Und wer es damals nicht bis in die Staaten geschafft hat, der ist nach Schwabing getrampt, um in Kommunen ein neues Miteinander und freie Liebe auszuprobieren. Berührungsängste schien es sowieso nicht zu geben. Auf den Bildern des Fotokünstlers Stefan Moses wird geküsst und gekuschelt, und manchmal sind gleich fünf, sechs WG-Bewohner auf ihrem Flokati ineinander verkeilt. Das Bedürfnis nach Wärme war groß unter den Kindern einer kriegstraumatisierten Elterngeneration.
Erstaunlich sind Moses‘ Aufnahmen in mehrerlei Hinsicht. Denn sie vermitteln nicht nur das Gefühl und die „Vibrations“der Blumenkinder um die „Zeitwende 1968“, wie es im Ausstellungstitel heißt. Diese kleinen Serien sind selbst für Moses-Kenner eine Überraschung, zumal sie bis auf ein, zwei Beispiele nun erstmals in der Öffentlichkeit gezeigt werden.
Moses, der im August 90 Jahre alt wird, ist durch psychologisch präzise Porträts von Schauspielern, Schriftstellern, Philosophen, Politikern – man denke an Willy Brandt – und Künstlern bekannt geworden. Ernst Jünger, Peggy Guggenheim, Oskar Maria Graf (das berühmte Bild im Wald), Erich Kästner, Ilse Aichinger und noch viele mehr haben seinem Blick vertraut, denn Moses war ihnen ein wacher, unvoreingenommener sowie kultur- und geistesgeschichtlich höchst versierter Gesprächspartner. Ein Intellektuellen- und Künstler-Versteher, könnte man sagen. Er war zugleich aber auch ein Porträtist der Deutschen, der sich in den 60ern durch sämtliche Schichten fotografiert hat, angefangen beim Würstlverkäufer bis zum Firmendirektor. Jugendkulturen spielten dabei nie eine Rolle, umso mehr frappieren nun beseelt lächelnde Studentenväter mit Baby im Arm, Hippie-Mädchen in wallenden Maxikleidern, Sinnsucher mit Schlapphüten, langen Mähnen oder beachtlichen Afro-Looks. Moses hat seine Blumenkinder auf Kunsthappenings und in Selbsterfahrungsgruppen gefunden oder einfach auf der Straße angesprochen und vor sein typisches neutral-graues Theatertuch gebeten. Sieht man vom splitterfasernackten Friedensreich Hundertwasser (1967 bei einer „Frauenbemalungs“-Aktion in der Münchner Galerie Hartmann) ab, ist sein Personal anonym geblieben.
Nur eine Schöne mit tiefem Dekolleté sei einst in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“erschienen und hätte daraufhin mächtigen Ärger mit den Eltern bekommen. Weniger wegen der Offenherzigkeit als wegen eines Joints, an dem die junge Frau genussvoll zog. Dies erklärt Ex-Museumsmann und Kulturfunktionär Christoph Stölzl, der als Vertrauter Moses‘ die Schau mit betreut hat.
Geschichten in Schwarz-Weiß
Wobei sich die harmlose Hasch-Session langsam entwickelt. Denn im Gegensatz etwa zu Henri CartierBresson gibt es für Stefan Moses nicht den „moment décisif“, also den einen entscheidenden Augenblick, der alles aussagt. Deshalb hat er immer in Sequenzen fotografiert, das heißt, den „moment fugitif“eingefangen und kurze, eindringliche Geschichten in Schwarz-Weiß erzählt. So, wie ein paar Takte aus McKenzies „San Francisco“halt doch mehr Flower-Power-Feeling rüberbringen als ein einzelner Gitarrenriff.