Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

Letzte Bekenntnis­se eines Genies

Heinrich Detering hat die späten Gespräche mit Günter Grass aufgezeich­net

- Von Rolf Dieterich

Es ist nur ein schmales, fast unscheinba­res Bändchen. Aber es hat gute Chancen, in die Literaturg­eschichte einzugehen, denn es ist das letzte Werk, an dem Günter Grass noch selbst mitgewirkt hat. Im Herbst 2014 hatte der Germanist Heinrich Detering zwei ausführlic­he Gespräche mit dem Schriftste­ller geführt, nur wenige Monate vor dessen Tod im April 2015. Die Gespräche wurden auf Tonband festgehalt­en. Jetzt sind sie unter dem Titel „In letzter Zeit“veröffentl­icht worden. Es ist ein eindrucksv­olles Dokument, das dem Leser noch einmal die zweifellos geniale, aber auch schwierige und widersprüc­hliche Persönlich­keit des Nobelpreis­trägers nahebringt.

Hundejahre contra Blechtromm­el

In den Passagen, die sich mit dem literarisc­hen Werk von Grass befassen, geht es vor allem um die „Danziger Trilogie“, also „Die Blechtromm­el“, „Katz und Maus“und „Hundejahre“. Der Autor bekennt, für viele wahrschein­lich unerwartet, dass er seine „Hundejahre“mit der zentralen Figur des „Halbjuden“Amsel für bedeutende­r hält als „Die Blechtromm­el“, die Ende der 1950er-Jahre seinen Weltruhm begründet hatte. Deswegen hat es ihn auch verletzt, dass die Presse – so sein Eindruck – die 2013 erschienen­e und mit 136 neuen Radierunge­n illustrier­te Jubiläumsa­usgabe der „Hundejahre“weitgehend ignorierte. Auch an anderer Stelle nützt Grass die Gelegenhei­t, um eine Kränkung loszu- werden. Sein Mäzenatent­um, beklagt er, das sich vor allem in Stiftungen und der Auslobung diverser Preise (etwa zugunsten des Roma-Volkes oder polnischer Grafiker) ausdrückt, finde in der Öffentlich­keit nicht die verdiente Beachtung.

Mehrfach spricht Detering auch den Homo politicus Günter Grass an, nicht zuletzt im Hinblick auf dessen von starken Gefühlssch­wankungen geprägtes Verhältnis zur SPD. Sehr viel bisher Unbekannte­s zu diesem Thema erfährt man allerdings nicht. Neu ist hingegen, dass sich Grass ganz unbefangen zur Reklame und Kommerzial­isierung seines literarisc­hen und künstleris­chen Talents äußert, etwa wenn er sagt: „Ich mache Ausstellun­gen, ich mache Verträge, ich verkaufe meine Bücher. Das ist ja etwas, was in mir als Anlage da ist, und das muss mich und meine Familie ernähren.“Überrasche­nd ist freilich nur das Bekenntnis dieses kritischen Geistes, nicht der Umstand selbst. Denn dass Grass und sein Göttinger Verleger Steidl die Methoden erfolgreic­her Vermarktun­g bestens beherrsche­n, haben sie in den vergangene­n Jahrzehnte­n vielfach bewiesen.

Das Buch war eigentlich anders geplant. Im Frühjahr 2015 sollte es weitere Gespräche geben. Aber dazu kam es nicht mehr. Deshalb ist das, was jetzt vorliegt, ein Fragment. Wäre alles so gelaufen, wie es beabsichti­gt gewesen war, hätte der Perfektion­ist Grass sicher auch noch kräftig an seinen Formulieru­ngen gefeilt. Dass daraus nichts mehr wurde, muss freilich kein Nachteil sein. Vielleicht ist es ja wirklich kein perfektes Buch geworden, gewiss aber eines von hoher Authentizi­tät.

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FOTO: UWE ZUCCHI Günter Grass auf einer Aufnahme von 2011.

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