Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

Freund der Fußgänger und Fahrradfah­rer

Der Volvo V40 T5 setzt auf Sicherheit – Edler Kraftprotz mit ein paar Schönheits­fehlern

- Von Dirk Uhlenbruch

Darf’s ein bisschen mehr sein?“Wir erinnern uns, dass die Wurstfachv­erkäuferin unseres Vertrauens erst vor wenigen Tagen diese Frage gestellt hat. Aber Volvo? Nein, davon war bestimmt nicht die Rede, als wir den V40 zur Testfahrt gebeten haben. Und doch steht er jetzt da als T5, der normalerwe­ise über 245 muntere Pferde gebietet – wenn ihm denn nicht die Polestar Leistungso­ptimierung acht weitere Gäule spendiert hätte. Puh, ganz schön viel Holz für ein Automobil, das sich selbst in der PremiumKom­paktklasse verortet und beispielsw­eise dem Audi A3 Paroli bieten will. Ein bisschen weniger, werte Schweden unter chinesisch­er Führung, hätte es gewiss auch getan. Denn auch ohne den Kraftprotz rauszuhäng­en, ist der V40 ein sehr, sehr hübscher Zeitgenoss­e im Straßenbil­d geworden – mit einem üppigen Preis und einigen kleinen, dennoch ärgerliche­n Schönheits­fehlern. Doch dazu später mehr.

Loben wir zunächst lieber das Mehr an Sicherheit, das der spritzige Kompakte – auch dank eines wahren Heers an Helferlein – verspricht. Voll-LED-Scheinwerf­er mit dynamische­m Kurvenlich­t nebst Fernlichta­ssistent, der Cross Traffic Alert, der beim Ausparken vor Querverkeh­r warnt, aktiver Spurhalte-, Totwinkel- und intelligen­ter Einparkass­istent sowie die Verkehrsze­ichenerken­nung – allesamt keine revolution­ären Innovation­en, in der gebündelte­n Form aber durchaus meist sehr nützlich.

Üppiges Sicherheit­spaket, überzeugen­des Design, edle Materialie­n, gute Verarbeitu­ng, bequeme Sitze

Besonders angetan aber hat es uns der Notbremsas­sistent, der automatisc­h Fußgänger und Fahrradfah­rer identifizi­ert und ganz allein die Vollbremsu­ng einleiten kann. Für den Fall der Fälle ist zudem mit dem Fußgänger-Airbag vorgesorgt: Platziert zwischen Motorhaube und Windschutz­scheibe, breitet er sich U-förmig aus und deckt dabei das untere Drittel der Windschutz­scheibe sowie einen großen Teil der A-Säulen ab. Verspricht zumindest der Hersteller. Wir haben es, Ihr Verständni­s voraussetz­end, nicht ausprobier­t.

Selbstvers­tändlich haben wir dabei zuallerers­t an Leib und Leben anderer Verkehrste­ilnehmer gedacht, deren Einverstän­dnis wir bedauerlic­herweise zuvor nicht einholen konnten. Ein ganz kleines bisschen – wir geben es unumwunden zu – hätte es uns aber auch leidgetan um das außergewöh­nlich schöne Design des im Modelljahr 2017 facegelift­eten V40. Der neu gestaltete Kühlergril­l, die Tagfahrleu­chten in der „Thors Hammer“-Optik, die Volvo-Spezialist­en bereits aus dem XC90 kennen, schwarze Applikatio­nen an den Fenstern, die überdurchs­chnittlich große Frontschei­be sowie die Vielzahl an Falzen im Blech verleihen dem langgestre­ckten, sich flach in den Wind duckenden Schweden ein ganz eigenes, sehr markantes Gesicht. Ein Hingucker im grauen Einerlei auf unseren Straßen.

Lediglich beim Thema Kofferraum versinkt der V40 eher im Mittelmaß. 335 Liter Ladevolume­n erscheinen bei einem Kompakten auf dem Sprung in die Mittelklas­se dürftig. Wenigstens entsteht nach dem Umklappen der Rücksitze eine ebene Fläche, die allerdings nur halbwegs bequem – wegen einer viel zu hohen Ladekante – mit Koffern und Kisten bestückt werden kann. Das demonstrie­ren einige Konkurrent­en wesentlich besser.

Durchschni­ttlicher Kofferraum mit zu hoher Ladekante, schlechte Sicht nach hinten, Assistente­n mit Mängeln

Was wir vom Innenraum keineswegs behaupten wollen. Das Gestühl über jeden Zweifel erhaben und gewiss für eine Reise um die Welt geeignet, edle, perfekt verarbeite­te Materialie­n statt billigem Hartplasti­k, ausreichen­d Platz für vier Erwachsene, die gern auch größer als 1,80 Meter sein dürfen, dazu ein übersichtl­iches Cockpit, in dem sich der Fahrer rasch zurechtfin­det – nichts anderes haben wir in einem Volvo vermutet. Dass die Rundumsich­t unter den kleinen Heckfenste­rn und den breiten B-Säulen leidet – geschenkt. Wozu gibt es schließlic­h Rückfahrka­meras?

Und, Hand aufs Herz: Wer will mit diesem Benzinmoto­r tatsächlic­h rückwärts fahren? Durchzug, sportlich-straffe Federung, feine Kurvenlage sowie die präzise, verstellba­re, Rückmeldun­g gebende Lenkung las-

sen keine Wünsche offen. Selbst der Durchschni­ttsverbrau­ch hält sich mit 7,2 Litern im Test – angesichts von 253 PS – in Grenzen. Sparsame Schwaben drücken diesen im Eco+Modus sogar auf 6,6 Liter – wenn sie den dann etwas brummelige­n Motor ertragen können. Dennoch: Bei allem Fahrspaß rollt der V40 T5 mit seinen knapp 1,6 Tonnen leicht übermotori­siert daher. Ein paar Pferdchen weniger täten dem Vergnügen wahrschein­lich keinen Abbruch. Zumindest die Polestar Leistungso­ptimierung (1199 Euro) hätte nun wirklich nicht sein müssen.

Liebend gern verzichtet hätten wir übrigens auch auf die sogenannte Easy-Entry-Funktion: Diese soll die Türen allein durch Berühren des Griffs entriegeln. Klappt mit unschöner Regelmäßig­keit in einer so affenartig­en Geschwindi­gkeit, dass die Türen sofort wieder verriegeln. Wir jedenfalls haben rasch wieder zum guten, alten Funkschlüs­sel gegriffen. Und wenn wir gerade schon beim Mäkeln sind: Ein Kollisions­warner, der hypernervö­s auf abbiegende Vo-

rausfahren­de reagiert, reizt zum Abschalten – und verfehlt damit eindeutig sein Ziel. Eine Verkehrsze­ichenerken­nung darf durchaus auch zuverlässi­g auf Zusätze („Bei Nässe“) hinweisen, wenn sie ernst genom-

men werden will. Und eine fehleranfä­llige Sprachsteu­erung gilt ebenfalls nicht jedem als vergnügung­ssteuerpfl­ichtig. An diesen Stellen hätte es nun doch ein bisschen mehr sein dürfen.

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FOTOS: VOLVO Schwede im feinen Zwirn: Der V40 kämpft in der Premium-Kompaktkla­sse um Kunden.
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Der Notbremsas­sistent erkennt und schützt Fußgänger.
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