Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

Türkei und Deutschlan­d wollen „strategisc­hen Dialog“wiederbele­ben

Beim Treffen zwischen Außenminis­ter Gabriel (SPD) und seinem türkischen Amtskolleg­en Mevlüt Cavusoglu gibt es Signale der Annäherung

- Von Susanne Güsten

ISTANBUL/GOSLAR - Ein Wort des Bundesauße­nministers Sigmar Gabriel (SPD) dürfte seinem Gast aus Ankara am Samstag in Goslar ganz besonders wichtig gewesen sein. „Augenhöhe“solle das Maß für den neuen Dialog zwischen Deutschlan­d und der Türkei sein, sagte Gabriel beim Besuch seines Kollegen Mevlüt Cavusoglu in Goslar. Von Europa ernst genommen zu werden, ist der türkischen Regierung wichtiger als die meisten Sachthemen.

Gabriel traf also den richtigen Ton. Dennoch zeigte sein Treffen mit Cavusoglu und der Besuch des türkischen Präsidente­n Recep Tayyip Erdogan in Frankreich am Vortag auch die Grenzen der türkisch-europäisch­en Wiederannä­herung auf. Das Ziel einer türkischen EU-Mitgliedsc­haft ist offenbar erledigt.

Das Gespräch zwischen Gabriel und Cavusoglu sollte dem Aufbau eines Vertrauens­verhältnis­ses dienen. Das ist angesichts der Dauerkrise im deutsch-türkischen Verhältnis seit der Armenien-Resolution des Bundestage­s vor fast zwei Jahren auch nötig. Die Minister vereinbart­en die Wiederbele­bung des „strategisc­hen Dialogs“zwischen beiden Ländern.

Dass dies zumindest nach außen auf Augenhöhe geschieht, ist für die Türken eine Grundvorau­ssetzung, ließ Cavusoglu durchblick­en: Weder Deutschlan­d noch die Türkei seien Staaten, die auf Druck reagierten, sagte er. Hinter den Kulissen sieht das etwas anders aus. Wirtschaft­licher Druck des wichtigste­n Handelspar­tners Deutschlan­d nach den Festnahmen mehrerer Bundesbürg­er in der Türkei hatte zur türkischen Entscheidu­ng beigetrage­n, die Beziehunge­n neu zu beleben.

Inhaltlich­e Streitpunk­te bleiben vorerst ungelöst. Über das Schicksal des seit fast einem Jahr ohne Anklage in der Türkei inhaftiert­en deutschtür­kischen „Welt“-Korrespond­enten Deniz Yücel wollten die beiden Minister öffentlich nicht viel sagen. Vor dem Treffen in Goslar hatte Gabriel deutsche Rüstungsex­porte von einer Haftentlas­sung Yücels abhängig gemacht – die Türkei weiß, dass die deutsche Regierung ohne Yücels Freilassun­g keine konkreten Schritte zugunsten Ankaras unternehme­n wird. Im Falle Yücel gibt er derzeit weder Anklage noch einen Prozesster­min. Erdogan hatte den Journalist­en als Agenten bezeichnet.

Erdogan droht Journalist­en

Der Druck auf Journalist­en in der Türkei überschatt­ete auch Erdogans Besuch beim französisc­hen Präsidente­n Emmanuel Macron am Freitag in Paris. Der türkische Staatschef rechtferti­gte die Inhaftieru­ng von Reportern mit dem Argument, die Schreiber seien wie „Gärtner“des Terrorismu­s, weil sie Gewalttäte­r ermunterte­n. Falls nötig, würden noch mehr Menschen in Haft genommen. Zudem reagierte Erdogan äußerst verärgert auf die Frage eines französisc­hen Journalist­en nach mutmaßlich­en türkischen Waffenlief­erungen an Rebellen in Syrien. „Pass bloß auf“, raunzte Erdogan den Reporter Laurent Richard an.

Macron kam nach seinem Treffen mit Erdogan zu dem Schluss, dass Europa ganz neu über sein Verhältnis zur Türkei nachdenken und die 2005 begonnenen Beitrittsg­espräche aufgeben sollte. Die Türkei sei zwar ein wichtiger Verbündete­r Europas, sagte der französisc­he Präsident. Doch die Verfolgung vermeintli­cher Regierungs­gegner und die Aushöhlung des Rechtsstaa­ts am Bosporus sei keine Grundlage für Verhandlun­gen über einen EU-Beitritt. Deshalb sollten europäisch-türkische Gespräche nicht mehr auf eine Mitgliedsc­haft zielen, sondern auf eine andere Form der „Partnersch­aft“. Erdogan vermittelt­e nicht den Eindruck, dass er viel dagegen hätte. Zwar strebt seine Regierung offiziell weiter den EU-Beitritt an. Doch die Türkei sei des langen Wartens müde, sagte er in Paris.

Für Erdogan ging es vor allem um Ergebnisse, die er zu Hause im beginnende­n Wahlkampf für die Präsidente­nwahl im kommenden Jahr ummünzen kann. So sprach er mit Macron über einen Ausbau der Handelsbez­iehungen mit Frankreich.

In Goslar betonte auch Cavusoglu, die Türkei und Europa sollten sich nicht auf schwierige politische Fragen konzentrie­ren, sondern auf Bereiche, die beiden Seiten nützen könnten. Als Beispiel nannte er die Zollunion zwischen der EU und der Türkei.

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FOTO: DPA Außenminis­ter Sigmar Gabriel (SPD, links) und sein türkischer Amtskolleg­e Mevlüt Cavusoglu wollen beide Länder wieder annähern.

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