Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)
Die verborgene Müllhalde vor Weingarten
Beim Zundelbacher Hof liegen Tonnen von Müll unter der Erde – Werte ungefährlich
WEINGARTEN - Rund 143 000 Kubikmeter Hausabfälle, alte Möbel und Elektroschrott liegen auf einer Fläche von knapp fünf Fußballfeldern oberhalb von Weingarten. Bis zu sechzehn Meter türmen sie sich an mancher Stelle auf. Doch da der Müll verscharrt ist und 40 bis 80 Zentimeter Erde darüber liegt, weiß kaum jemand von der ehemaligen Müllhalde beim Zundelbacher Hof. Und obwohl der Zundelbach – der direkt unter der ehemaligen Müllhalde durchfließt – an dieser Stelle mit Betonrohren verschalt ist, weist das Wasser an der Austrittsstelle erhöhte Ammonium-Werte auf.
Da das gefährlich sein kann, wird das Wasser an dieser Stelle alle fünf Jahre geprüft. Die letzte Prüfung hat gerade erst stattgefunden, die Ergebnisse liegen der „Schwäbischen Zeitung“exklusiv vor. Noch immer werden die Ammonium-Werte deutlich überschritten. Eine Gefahr für den Zundelbach oder aber gar das Trinkwasser besteht laut Experten von Stadt und Landratsamt allerdings nicht.
Das hat vor allem etwas mit der Zusammensetzung des riesigen Müllberges zu tun. Zwischen 1963 und 1973 luden hier die Bürger aus Weingarten und Schlier legal ihren normalen Müll ab. Mülltrennung war damals eigentlich noch ein Fremdwort. Daher wurden überall im Land Gruben und Schächte mit Müll aufgefüllt. „Das war damals gesellschaftlicher Konsens“, sagt Walter Sieger, Leiter des Dezernats Kreisentwicklung, Wirtschaft und Ländlicher Raum. Allein im Landkreis Ravensburg sind rund 1600 alte Mülldeponien bekannt. Die Experten vom Landratsamt haben alle, vornehmlich Kiesgruben und Tobel, mehr oder weniger im Blick.
So auch die alte Deponie oberhalb Weingartens, die eigentlich auf Schlierer Gemarkung liegt.
Seit 1989 gibt es Untersuchungen. 1991 wurden Bohrungen gemacht, bei denen an verschiedenen Stellen Stichproben genommen wurden. Diese lassen die Experten annehmen, dass über dem Zundelbach etwa 70 Prozent Hausmüll, 18 Prozent Erdaushub, 10 Prozent Bauschutt und 2 Prozent Gewerbeabfall liegen. Bei Letzterem handelt es sich wohl um Industrieschlacke der damaligen Maschinenfabrik Müller Weingarten. Diese soll – laut Experten – aber keine negativen Auswirkungen haben. Auch wurden bei den Bohrungen keine Schwermetalle, Mineralöle oder sonstige Schadstoffe wie PCB oder CKW entdeckt.
Einzig die Ammonium-Werte überschreiten die üblichen Normen. Ursächlich dafür ist der geringe Sauerstoffanteil in der Müllhalde. Da quasi kein Sauerstoff in die Deponie gelangt, wandeln sich die organischen Stoffe durch Bakterien zu Ammonium um. Regnet es dann auf die Müllhalde, gelangt das Ammonium in das Sickerwasser, das sich letztlich den Weg nach unten zum Zundelbach bahnt. Da dieser allerdings in Rohren verschalt ist, kommt kaum Sickerwasser in den Bach. In diesem Zustand wäre das Ammonium tatsächlich gefährlich. Sobald es allerdings mit Sauerstoff in Berührung kommt, wandelt es sich in Nitrit und Nitrat um und wird dadurch ungefährlich. Und genau das geschieht dort, wo das Wasser unterhalb der Deponie wieder an das Tageslicht kommt. „Nach 200 Metern kann man nichts mehr nachweisen“, sagt Peter Hering, zuständig für den Bereich Altlasten im Landratsamt.
Kein Ammonium im Grundwasser
Schädlich ist das Sickerwasser also nur im Erdreich direkt unter der Deponie, wo es keinen Sauerstoff gibt. Dieser Bereich ist aber nicht zugänglich. Wirklich gefährlich wäre es, wenn das Ammonium-Sickerwasser in das Grundwasser gelangen würde, weil dieses nicht zwangsläufig in Berührung mit Sauerstoff kommt. „Im Grundwasser möchte man es nicht haben.
Da wäre es durchaus ein Problem“, sagt Geologe und Vermessungstechniker Günther Braungart. Allerdings verhindert eine Lehmschicht, dass das Sickerwasser zum Grundwasser gelangt. Doch zumindest ein gewisser Teil des Sickerwassers gelangt in die Rohre. „Die sind nicht ganz dicht. Das Sickerwasser tropft rein“, sagt Hering. Das sei aber nicht gefährlich. Ganz im Gegenteil. Denn so kann die Sickerwasserlinie sinken, und der Druck auf den ganzen Tobel nimmt ab. Das ist besonders bei starken Regenfällen von großer Bedeutung, wenn der Druck auf den Tobel steigt. Und das birgt letztlich ein anderes Risiko: Denn je höher der Druck, desto größer die Gefahr, dass ein Teil des Tobels abrutscht. „Für die Böschung ist es von Vorteil, wenn das Rohr undicht ist“, sagt Hering.
Müll verrottet nur langsam
Denn der Hang bewegt sich ohnehin schon – wenn auch nur minimal. Aktuell sind es drei Millimeter im Jahr. Zwar widerspricht das den DIN-Vorschriften, ist für die Experten aber tolerierbar. „Bei zwei bis drei Zentimetern pro Jahr wäre Handlungsbedarf angesagt“, erklärt Geologe Braungart. Jede Böschung sei in Bewegung und man müsse diese auch weiter – wie schon seit Jahrzehnten – beobachten. Aktuell bestehe aber kein Handlungsbedarf.
Ein sichtbares Phänomen im Bereich des Zundelbach-Austritts unterhalb der Müllhalde ist übrigens der hohe Eisenanteil. Denn dieser oxidiert und rostet im Flussbett auf einer Länge von etwa 100 Metern. Dadurch gibt es in diesem Bereich auch weniger Tier- beziehungsweise Amphibien und Pflanzenarten, was sich beispielsweise bei Würmern und Schnecken bemerkbar mache. „100 Meter weiter sieht die Welt aber schon wieder ganz anders aus“, sagt Hering, der nicht sagen kann, wie lange es dauern wird, bis sich der Müll abgebaut hat.
Allerdings: Ohne Sauerstoff dauere der Prozess sehr lange – wahrscheinlich mehrere Hundert Jahre.
Im Landkreis Ravensburg sind 1600 alte Mülldeponien bekannt.