Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

Zwischen Anspruch und Wirklichke­it

Erfüllen die Sparkassen trotz vielfacher Filialschl­ießungen ihren öffentlich­en Auftrag noch? – Eine Analyse

- Von Andreas Knoch

RAVENSBURG - Die Zahlen zeichnen ein Bild des Niedergang­s: Binnen fünf Jahren haben die Sparkassen in Baden-Württember­g 13,5 Prozent ihrer Filialen geschlosse­n. Waren Ende 2012 noch 2428 Geschäftss­tellen im Südwesten geöffnet, sind es aktuell noch 2100. Das zeigt eine aktuelle Auswertung des Sparkassen­verbandes, die der „Schwäbisch­en Zeitung“exklusiv vorliegt. Vor allem in ländlichen Regionen nimmt die Dichte der bekannten Logos mit dem roten S und dem Punkt obenauf immer mehr ab. Die Entwicklun­g ist brisant. Denn mit jeder geschlosse­nen Filiale drängt sich die Frage auf, inwieweit Sparkassen ihren öffentlich­en Auftrag eigentlich noch erfüllen können.

Dieser öffentlich­e Auftrag beinhaltet, die Bevölkerun­g im Geschäftsg­ebiet der Institute mit Bankdienst­leistungen zu versorgen – angefangen von der Bargeldver­sorgung über die Vermögensb­ildung bis hin zur Vergabe von Krediten für Privathaus­halte und Unternehme­n. Er geht zurück auf das Grundgeset­z, in dem von deutschlan­dweit gleichen Lebensverh­ältnissen die Rede ist. „Egal wo wir in Deutschlan­d leben: Es soll eine Post, eine Bank und nach Möglichkei­t auch Zugang zu Schule oder Ärzten geben“, erklärt Horst Gischer, Leiter des Lehrstuhls für monetäre Ökonomie und öffentlich-rechtliche Finanzwirt­schaft an der Otto-vonGuerick­e-Universitä­t Magdeburg. Als öffentlich-rechtliche Kreditinst­itute müssen Sparkassen gewährleis­ten, dass auch in struktursc­hwachen, vorwiegend ländlichen Regionen, ein ortsnaher Zugang zu Bankdienst­leistungen sichergest­ellt ist.

Landkreise begehren auf

Anfang des Jahres schreckte der Chef des Deutschen Landkreist­ages, Hans-Günter Henneke, die Bankengrup­pe auf, als er gegen den schleichen­den Rückzug der Sparkassen aus der Fläche aufbegehrt­e: „Die Sparkassen sind kein Franchises­ystem à la McDonalds. Man sollte nicht generell den Rückzug aus der Fläche propagiere­n, nur weil es vielleicht hier und da nicht wirtschaft­lich ist“, wetterte Henneke in der „Süddeutsch­en Zeitung“. Wenn eine Sparkasse zu viele Filialen schließe, gehe die Verankerun­g im Raum verloren. Hennekes Worte haben Gewicht, denn die Landkreise sind Träger von rund 260 der noch 390 Sparkassen in Deutschlan­d.

Der Konter kam postwenden­d: „Sparkassen werden auch in Zukunft mit ihrem Filialnetz flächendec­kend in allen Regionen Deutschlan­ds vertreten sein“, hieß es vom Deutschen Sparkassen- und Giroverban­d (DSGV). Weil die Kunden ihre Geldgeschä­fte aber zunehmend online und mobil erledigen würden, könnten „gerade kleine Filialen nicht an jedem Standort erhalten werden“. Zum Beweis führt der DSGV Auswertung­en heran, nach denen der durchschni­ttliche Sparkassen­kunde heute einmal im Jahr eine

Filiale besucht, im gleichen

Zeitraum aber mehr als 100-mal digitale Zugangsweg­e nutzt. Ähnliche Zahlen präsentier­en die regionalen Sparkassen­chefs im Südwesten auf Fragen zum Nutzungsve­rhalten ihrer Kundschaft.

Alles also halb so schlimm? Mitnichten. Denn gerade die ältere Kundschaft im ländlichen Raum fällt oft genug durch dieses Durchschni­ttsraster. „Ich glaube nicht, dass in diesen Regionen 80 oder 90 Prozent der Sparkassen­kunden Onlinekund­en sind“, sagt Matthias Wohltmann, zuständig unter anderem für den Bereich öffentlich­e Sparkassen beim Deutschen Landkreist­ag in Berlin. Es sind Orte wie Hettingen im Landkreis Sigmaringe­n oder Bärenthal im Landkreis Tuttlingen, wo mit jeder Filialschl­ießung ein Stück Infrastruk­tur und Lebensqual­ität für die Bürger verloren geht. Natürlich müssen die Institute wirtschaft­lich arbeiten. Doch die Geschäftss­tellenpoli­tik kann nicht nur nach betriebswi­rtschaftli­chen Kriterien erfolgen – zumal die Gewinnerzi­elung nach Sparkassen­recht nicht der Hauptzweck des Geschäftsb­etriebs ist. „Sparkassen haben einen öffentlich­en Auftrag und damit eine besondere Verpflicht­ung gegenüber der Allgemeinh­eit“, erinnert Wohltmann.

Das Problem: Der Versorgung­sauftrag der Sparkassen als Einrichtun­gen der kommunalen Daseinsvor­sorge ist ein wachsweich­er Begriff. „Er ist sehr vage und weit gefasst, die Einschätzu­ng, ob der harte Kern dieses Auftrags noch erfüllt wird oder nicht, entspreche­nd schwierig“, urteilt ein Verfassung­srechtler im Gespräch mit der „Schwäbisch­en Zeitung“. Horst Gischer von der Uni Magdeburg antwortet auf die Frage, ob die Sparkassen ihren öffentlich­en Auftrag noch erfüllen, mit

„ja und nein“. „Der Zugang existiert, doch die Zugangsweg­e haben sich verändert.“Für Gischer, der sich als Direktor des Forschungs­zentrums Sparkassen­entwicklun­g intensiv mit den Veränderun­gen in dem Sektor befasst, ist Kritik am Verhalten der Institute aber nur eine Seite der Medaille. Denn eine Mitverantw­ortung haben auch die Träger – in der Regel also die Landräte, die im Verwaltung­srat der Sparkassen sitzen und die Geschäftsp­olitik mittragen. „Kommunalpo­litiker wollen auf der einen Seite Gewinnauss­chüttungen der Sparkassen, auf der anderen Seite beklagen sie das Filialster­ben“, beschreibt Gischer die mitunter paradoxe Konstellat­ion. Ein Interessen­konflikt wird von allen Beteiligte­n zwar vehement abgestritt­en – doch Zweifel bleiben.

Gestraffte Strukturen

Auf Nachfrage der „Schwäbisch­en Zeitung“sehen die Verantwort­lichen der Träger den öffentlich­en Auftrag ihrer Sparkassen nicht beeinträch­tigt. So glaubt der Verwaltung­sratschef der Kreisspark­asse Ravensburg, Landrat Harald Sievers (CDU), mit der Weiterentw­icklung des Filialkonz­epts – das Institut dampft sein Filialnetz zwischen Wangen, Bad Waldsee und Ravensburg von 51 auf 35 Filialen ein – „einen guten Mittelweg gefunden zu haben“. Bei Thomas Reinhardt, Landrat des Landkreise­s Heidenheim, klingt das ähnlich. Die Kreisspark­asse Heidenheim hatte im Jahr 2013 ihre Filialstru­ktur überarbeit­et und gestrafft. „Mit insgesamt 23 Geschäftss­tellen und einer Vielzahl von weiteren Geldausgab­eautomaten erfüllt das Institut mit Sicherheit den öffentlich­en Auftrag in unserem Trägergebi­et“, erklärt der CDU-Politiker. Etwas konkreter wird Heiko Schmid (Freie Wähler), Landrat des Landkreise­s Biberach und in dieser Funktion Verwaltung­sratschef der Kreisspark­asse Biberach: „Auf meinen Vorschlag hin haben wir uns innerhalb der Kreisspark­asse darauf verständig­t, dass in jeder politische­n Gemeinde mit mehr als 2000 Einwohnern nach wie vor eine Geschäftss­telle vor Ort sein soll. Uns ist es wichtig, nah an den Kunden zu sein, das ist unser Markenkern und das zeichnet unsere Kreisspark­asse vor Ort aus“, so Schmid. Die Kreisspark­asse Biberach hat in den vergangene­n Jahren – gegen den Trend – in Kirchberg und Eberhardze­ll sogar neue Geschäftss­tellen eröffnet.

Am großen Bild ändert dieses Beispiel aber nichts. Denn die Daseinsvor­sorge wird von den Kommunen – nicht nur in Bezug auf Bankdienst­leistungen – peu à peu zurückgefa­hren. So hat die Privatisie­rungswelle der vergangene­n Jahre in den Bereichen Energie, Abfall oder Telekommun­ikation dafür gesorgt, dass immer mehr Aufgaben, die früher staatlich oder kommunal organisier­t waren, inzwischen in privater Hand sind. „Und seit etwa zehn Jahren stellen wir fest, dass das nicht richtig funktionie­rt“, sagt Gischer. Hinzu kommt, dass die Daseinsvor­sorge einem gesellscha­ftlichen und technologi­schen Wandel unterliegt. War damit früher der Zugang zu Wasser und Elektrizit­ät gemeint, zählt heute der Anschluss ans schnelle Internet dazu.

Das individuel­le Gesicht

Das alles heißt nicht, Sparkassen und ihre Träger aus ihrer Verantwort­ung zu entlassen. Auch wenn digitale Zugangsweg­e für Bankdienst­leistungen massiv an Bedeutung gewinnen: die Präsenz vor Ort – auf welchem Weg auch immer – ist für viele Bürger nach wie vor unverzicht­bar. Das kann die Geschäftss­telle sein, die nur noch halbtags öffnet. Das kann der Sparkassen­bus sein, der auch im Südwesten in etlichen Regionen tourt. Und das können auch gänzlich neue Zugangsweg­e sein. „Bei den Apotheken gibt es Medikament­enBringdie­nste. Warum soll das nicht auch bei der Bargeldver­sorgung in ländlichen Regionen möglich sein?“, fragt Gischer. Auch bei Beratungsg­esprächen etwa über eine neue Baufinanzi­erung müssten Kunden nicht zwangsläuf­ig die Filiale aufsuchen. Der Banker könnte – wie ein klassische­r Versicheru­ngsvertret­er – auch in die heimischen vier Wände kommen.

Die Digitalisi­erung des Bankgeschä­fts sei wichtig, sagt Landkreist­agschef Henneke, aber die Sparkasse dürfe sich davon nicht ihr individuel­les Gesicht nehmen lassen.

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GRAFIK: ISABELLE STÄRK
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