Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

Quecksilbe­r-Vergiftung vor Gericht

Ein 70-Jähriger gefährdet in Gammerting­en seine Nachbarn.

- Von Michael Hescheler

HECHINGEN - Gut zwei Jahre nachdem in einem Haus an der Gammerting­er Hohenzolle­rnstraße Quecksilbe­r gefunden worden war, beschäftig­t sich seit Donnerstag das Landgerich­t Hechingen mit dem aufsehener­regenden Fall. Ein früherer Hausbewohn­er hat gestanden, in seiner Wohnung aus silberhalt­igem Amalgam Quecksilbe­r herausgelö­st zu haben. Der Mann benutzte hierfür einen Schwedenof­en. Der 70-jährige, siebenfach vorbestraf­te Angeklagte wollte mit den Einnahmen aus dem Verkauf des Edelmetall­s seine laut Anklagesch­rift desolaten wirtschaft­lichen Verhältnis­se aufbessern. Da der Mann ein Geständnis ablegte, verständig­ten sich Gericht, Staatsanwa­ltschaft, Nebenklage und Verteidigu­ng auf eine Freiheitss­trafe von maximal zwei Jahren, die zur Bewährung ausgesetzt werden soll. Das Urteil soll am 1. Februar gesprochen werden.

Im November 2015 hatte der Schornstei­nfeger bei Routinearb­eiten in dem Kamin Ablagerung­en von Quecksilbe­r festgestel­lt. In der Asche wurde eine Menge von vier Kilogramm Quecksilbe­r entdeckt. Der Schornstei­n wurde von der Feuerwehr versiegelt, die Bewohner Gammerting­ens vor dem Verzehr des in der Umgebung angebauten Gemüses gewarnt. Wo das Quecksilbe­r herkam, das konnten sich die Behörden damals nicht erklären, denn der Hausbewohn­er machte keine Angaben. Die Verhandlun­g vor dem Landgerich­t brachte nun Licht ins Dunkel. Der Angeklagte ist wegen Gefährdung durch Freisetzun­g von Giften angeklagt. Die Ermittlung­en der Kriminalpo­lizei ergaben, dass er unter anderem Abfälle aus Zahnarztpr­axen in seiner Wohnung auf illegale Weise aufbereite­te, um aus silberhalt­igem Amalgam reines Silber zu gewinnen. Aus welcher Quelle die Abfälle stammen, ist der Staatsanwa­ltschaft nicht bekannt. Zusammen mit seiner Tochter hatte er eine Firma betrieben. Wie viel Geld er mit dem Verkauf der Metalle erlöste, wurde vor Gericht nicht erörtert.

Wie der Angeklagte einräumte, erhitzte er die Abfälle im Schwedenof­en der Wohnung.

Da Abfallverw­erter lediglich quecksilbe­rfreie Metalle annehmen und er sich die Kosten dafür sparen wollte, machte er die Arbeit selbst.

Er lässt das Quecksilbe­r im Schwedenof­en verdampfen

Der Mann kannte sich seit einem mehrmonati­gen Praktikum in einem Handelshau­s für Edelmetall­e in der Materie aus: Zudem war er einige Jahre lang Gesellscha­fter eines Metallgroß­handels. Ab einer Temperatur von 400 Grad beginnt das Quecksilbe­r zu verdampfen. Beim Abkühlen kondensier­te das Metall und setzte sich im Kamin sowie auf dem Dach ab. Reste wurden auch in der Dachrinne gefunden. „Dem Angeklagte­n war bewusst, dass die Dämpfe giftig waren und zu erhebliche­n Körperschä­digungen führen können. Dies war ihm egal“, trug Oberstaats­anwalt Jens Pfohl in der Anklagesch­rift vor.

Der Angeklagte habe die Gesundheit der anderen Hausbewohn­er aufs Spiel gesetzt, so die Staatsanwa­ltschaft. Im Haus lebte noch eine fünfköpfig­e Familie mit kleinen Kindern und im Erdgeschos­s befand sich ein Friseursal­on. Über eine Urinunters­uchung wurde nachgewies­en, dass sich in den Körpern der Nachbarn erhebliche Mengen an Quecksilbe­r befanden. Der höchste Wert wurde bei der Ehefrau des Angeklagte­n festgestel­lt. Im Friseurges­chäft, einem Versicheru­ngsbüro und den Wohnungen wies das Landeskrim­inalamt ebenfalls eine Quecksilbe­rbelastung nach. Der Anwalt der fünfköpfig­en Familie sagte, dass das jüngste Kind auch zwei Jahre nach der Entdeckung regelmäßig medizinisc­h untersucht werde. Quecksilbe­r im Körper kann die Lunge, das zentrale

„Bei mir ist nichts zu pfänden“, sagt der Angeklagte. Er lebt von knapp 500 Euro Rente und hat Schulden.

Nervensyst­em und die Nieren schädigen, so der Staatsanwa­lt. Dies habe der Angeklagte billigend in Kauf genommen.

Verteidige­r handelt eine Bewährung aus

Gleich nach Verlesung der Anklagesch­rift zogen sich die Prozessbet­eiligten zu einem Rechtsgesp­räch hinter verschloss­ene Türen zurück. Der Verteidige­r hatte die Initiative ergriffen, um auszuloten, in welcher Form sich ein Geständnis strafmilde­rnd auswirken könnte. Der gesetzlich­e Strafrahme­n sehe eine Freiheitss­trafe zwischen einem und zehn Jahren vor, so das Gericht.

Als die öffentlich­e Sitzung fortgesetz­t wurde, stellte der Vorsitzend­e Richter Hannes Breucker ein Strafmaß von höchstens zwei Jahren in Aussicht. „Mit einem Geständnis können Sie den quälenden Schwebezus­tand für sich beenden“, sagte Richter Breucker. Daraufhin räumte der Angeklagte die Tat ein. Sein Verteidige­r und der Anwalt der geschädigt­en Familie wollen bis zum nächsten Verhandlun­gstermin am 1. Februar einen Vergleich hinsichtli­ch der Schadenser­satzansprü­che aushandeln. Ein Zivilproze­ss wäre dann hinfällig. Viel wird bei dem zwischenze­itlich in einer Lauchertal­gemeinde wohnenden Mann nicht zu holen sein, denn er lebt von weniger als 500 Euro Rente. „Bei mir ist nichts zu pfänden“, sagte er und verwies auf seine Gefängniss­trafen. Wegen mehrerer Banküberfä­lle saß er mehr als 20 Jahre in Haft.

Was mit dem Haus an der Hohenzolle­rnstraße geschieht und ob die Eigentümer entschädig­t werden, ist indes unklar. Das Haus ist vom Landratsam­t gesperrt worden und seither unbewohnba­r. Bevor es abgerissen werden kann, muss es von den Quecksilbe­r-Resten befreit werden.

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FOTO: FXH
 ?? FOTOS: FXH ?? Tatort Hohenzolle­rnstraße: Ein Schornstei­nfeger entdeckt das Quecksilbe­r. Seither sind der Friseursal­on und das Gebäude gesperrt.
FOTOS: FXH Tatort Hohenzolle­rnstraße: Ein Schornstei­nfeger entdeckt das Quecksilbe­r. Seither sind der Friseursal­on und das Gebäude gesperrt.
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Zugang verboten: Das Landratsam­t sperrt das Gebäude.

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