Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)
Quecksilber-Vergiftung vor Gericht
Ein 70-Jähriger gefährdet in Gammertingen seine Nachbarn.
HECHINGEN - Gut zwei Jahre nachdem in einem Haus an der Gammertinger Hohenzollernstraße Quecksilber gefunden worden war, beschäftigt sich seit Donnerstag das Landgericht Hechingen mit dem aufsehenerregenden Fall. Ein früherer Hausbewohner hat gestanden, in seiner Wohnung aus silberhaltigem Amalgam Quecksilber herausgelöst zu haben. Der Mann benutzte hierfür einen Schwedenofen. Der 70-jährige, siebenfach vorbestrafte Angeklagte wollte mit den Einnahmen aus dem Verkauf des Edelmetalls seine laut Anklageschrift desolaten wirtschaftlichen Verhältnisse aufbessern. Da der Mann ein Geständnis ablegte, verständigten sich Gericht, Staatsanwaltschaft, Nebenklage und Verteidigung auf eine Freiheitsstrafe von maximal zwei Jahren, die zur Bewährung ausgesetzt werden soll. Das Urteil soll am 1. Februar gesprochen werden.
Im November 2015 hatte der Schornsteinfeger bei Routinearbeiten in dem Kamin Ablagerungen von Quecksilber festgestellt. In der Asche wurde eine Menge von vier Kilogramm Quecksilber entdeckt. Der Schornstein wurde von der Feuerwehr versiegelt, die Bewohner Gammertingens vor dem Verzehr des in der Umgebung angebauten Gemüses gewarnt. Wo das Quecksilber herkam, das konnten sich die Behörden damals nicht erklären, denn der Hausbewohner machte keine Angaben. Die Verhandlung vor dem Landgericht brachte nun Licht ins Dunkel. Der Angeklagte ist wegen Gefährdung durch Freisetzung von Giften angeklagt. Die Ermittlungen der Kriminalpolizei ergaben, dass er unter anderem Abfälle aus Zahnarztpraxen in seiner Wohnung auf illegale Weise aufbereitete, um aus silberhaltigem Amalgam reines Silber zu gewinnen. Aus welcher Quelle die Abfälle stammen, ist der Staatsanwaltschaft nicht bekannt. Zusammen mit seiner Tochter hatte er eine Firma betrieben. Wie viel Geld er mit dem Verkauf der Metalle erlöste, wurde vor Gericht nicht erörtert.
Wie der Angeklagte einräumte, erhitzte er die Abfälle im Schwedenofen der Wohnung.
Da Abfallverwerter lediglich quecksilberfreie Metalle annehmen und er sich die Kosten dafür sparen wollte, machte er die Arbeit selbst.
Er lässt das Quecksilber im Schwedenofen verdampfen
Der Mann kannte sich seit einem mehrmonatigen Praktikum in einem Handelshaus für Edelmetalle in der Materie aus: Zudem war er einige Jahre lang Gesellschafter eines Metallgroßhandels. Ab einer Temperatur von 400 Grad beginnt das Quecksilber zu verdampfen. Beim Abkühlen kondensierte das Metall und setzte sich im Kamin sowie auf dem Dach ab. Reste wurden auch in der Dachrinne gefunden. „Dem Angeklagten war bewusst, dass die Dämpfe giftig waren und zu erheblichen Körperschädigungen führen können. Dies war ihm egal“, trug Oberstaatsanwalt Jens Pfohl in der Anklageschrift vor.
Der Angeklagte habe die Gesundheit der anderen Hausbewohner aufs Spiel gesetzt, so die Staatsanwaltschaft. Im Haus lebte noch eine fünfköpfige Familie mit kleinen Kindern und im Erdgeschoss befand sich ein Friseursalon. Über eine Urinuntersuchung wurde nachgewiesen, dass sich in den Körpern der Nachbarn erhebliche Mengen an Quecksilber befanden. Der höchste Wert wurde bei der Ehefrau des Angeklagten festgestellt. Im Friseurgeschäft, einem Versicherungsbüro und den Wohnungen wies das Landeskriminalamt ebenfalls eine Quecksilberbelastung nach. Der Anwalt der fünfköpfigen Familie sagte, dass das jüngste Kind auch zwei Jahre nach der Entdeckung regelmäßig medizinisch untersucht werde. Quecksilber im Körper kann die Lunge, das zentrale
„Bei mir ist nichts zu pfänden“, sagt der Angeklagte. Er lebt von knapp 500 Euro Rente und hat Schulden.
Nervensystem und die Nieren schädigen, so der Staatsanwalt. Dies habe der Angeklagte billigend in Kauf genommen.
Verteidiger handelt eine Bewährung aus
Gleich nach Verlesung der Anklageschrift zogen sich die Prozessbeteiligten zu einem Rechtsgespräch hinter verschlossene Türen zurück. Der Verteidiger hatte die Initiative ergriffen, um auszuloten, in welcher Form sich ein Geständnis strafmildernd auswirken könnte. Der gesetzliche Strafrahmen sehe eine Freiheitsstrafe zwischen einem und zehn Jahren vor, so das Gericht.
Als die öffentliche Sitzung fortgesetzt wurde, stellte der Vorsitzende Richter Hannes Breucker ein Strafmaß von höchstens zwei Jahren in Aussicht. „Mit einem Geständnis können Sie den quälenden Schwebezustand für sich beenden“, sagte Richter Breucker. Daraufhin räumte der Angeklagte die Tat ein. Sein Verteidiger und der Anwalt der geschädigten Familie wollen bis zum nächsten Verhandlungstermin am 1. Februar einen Vergleich hinsichtlich der Schadensersatzansprüche aushandeln. Ein Zivilprozess wäre dann hinfällig. Viel wird bei dem zwischenzeitlich in einer Lauchertalgemeinde wohnenden Mann nicht zu holen sein, denn er lebt von weniger als 500 Euro Rente. „Bei mir ist nichts zu pfänden“, sagte er und verwies auf seine Gefängnisstrafen. Wegen mehrerer Banküberfälle saß er mehr als 20 Jahre in Haft.
Was mit dem Haus an der Hohenzollernstraße geschieht und ob die Eigentümer entschädigt werden, ist indes unklar. Das Haus ist vom Landratsamt gesperrt worden und seither unbewohnbar. Bevor es abgerissen werden kann, muss es von den Quecksilber-Resten befreit werden.