Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

Alte Gemäuer erwachen

Kultur-, Wissens- und Friedensbu­rg statt leer stehendes Denkmal – Die riesige Ulmer Bundesfest­ung soll künftig kreativ genutzt werden

- Von Uwe Jauß

Der Weg führt eine weitere steinerne Wendeltrep­pe hinunter Richtung unterirdis­che Welten. Licht aus Taschenlam­pen streicht über dicke Mauern. Das nächste Gewölbe mit Geschützst­ellungen kommt. Von ihm aus führen weitere Stufen in die Tiefe. Die Luft wird modrig. Ein Gefühl wie bei Höhlenfors­chern stellt sich ein. „Gleich sind wir ganz unten“, lockt Siegfried Hehl, ein in Ehren ergrauter Führer zu den Geheimniss­en der Wilhelmsbu­rg, dem gewaltigst­en unter den historisch­en Ulmer Festungswe­rken.

Der Steinkolos­s steht beherrsche­nd auf dem Michelsber­g im Norden der Stadt. 300 000 Tonnen Kalkstein wurden verbaut. Rund 570 Räume zählt das Gemäuer. Im riesigen Innenhof hätte das berühmte Münster der Stadt Platz. Höchst beeindruck­end. Für den, der die Wilhelmsbu­rg erhalten muss, kann die Aufgabe aber fast als Alptraum bezeichnet werden. Eigentümer ist die Stadt Ulm. Sie ringt seit Jahrzehnte­n um Lösungen für das weitgehend leer stehende Festungswe­rk. Inzwischen tut sich aber Zukunftswe­isendes. Aus dem Koloss soll laut städtische­r Werbung eine „Kultur-, Wissensund Friedensbu­rg“werden.

Hinunter in die Unterwelt

„Es wird aber auch Zeit, dass etwas geschieht“, sagt Hehl. Der ehemalige Berufssold­at ist ein Enthusiast in dieser Angelegenh­eit. „Wir haben hier ein einzigarti­ges Festungser­be“, glaubt er. Begeistert weist Hehl auf den nächsten finsteren Gang hin. Dieser führt zu unter der Erde gelegenen Verteidigu­ngsanlagen – Minengänge­n, in denen man Sprengstof­f deponieren und zur Abwehr von Angreifern zünden konnte. Es ist eine düstere Unterwelt, die – wie die ganze Wilhelmsbu­rg – aus der Mitte des 19. Jahrhunder­ts stammt.

Seinerzeit waren rund um Ulm und Neu-Ulm herum zahlreiche Festungswe­rke entstanden. Kostenpunk­t aller Bauten ohne spätere Erweiterun­gen: 16,5 Millionen Gulden. Eine exorbitant teure Investitio­n. Aber sie hatte einen bestimmten Grund: Nach den über Generation­en gesammelte­n Erfahrunge­n wiederkehr­ender französisc­her Einfälle – zuletzt durch Napoleon – sollten solche Bauten neue Angriffe verhindern. Seinerzeit waren die damaligen deutschen Länder im Deutschen Bund organisier­t. Er plante unter anderem die Ulmer Anlagen – weshalb sie Bundesfest­ungen heißen.

Europa war früher übersät von Wehranlage­n. Viele davon sind ganz oder teilweise verschwund­en. In Ulm und Neu-Ulm hingegen ist noch viel Bausubstan­z da. „Die Bundesfest­ung ist heute die größte erhaltene Festungsan­lage in Europa“, heißt es etwa vom baden-württember­gischen Landesamt für Denkmalpfl­ege. Sie sei „ein Kulturdenk­mal von nationalem Rang“. Als Gründe dafür nennt die Denkmalpfl­ege „die stadtbildp­rägende Architektu­r, die bautechnis­che und militärges­chichtlich­e Aussagekra­ft sowie ihre herausrage­nde Bedeutung für die Ulmer und NeuUlmer Stadtgesch­ichte“. Hinzu komme noch „der Zeugniswer­t“der Festung für die politische­n Veränderun­gen im 19. Jahrhunder­t, also der Weg über den Deutschen Bund bis zur Reichsgrün­dung 1871.

Die Denkmalsch­ützer verweisen jedoch auch auf ein zentrales Problem: „Die größte Herausford­erung für den Erhalt ist die in großen Teilen fehlende Nutzung der einzelnen Bauwerke.“Manches liegt noch im Dornrösche­nschlaf. Dies kann bröckelnde Mauern, zugewachse­ne Erdwälle

und vermüllte Gräben bedeuten. Wobei sich durchaus schon viel getan hat. In Neu-Ulm etwa wurden Teile der Stadtumwal­lung in die Landesgart­enschau 1980 integriert. Manch kleineres Festungswe­rk wird von Vereinen genutzt – darunter auch solchen, die laute Musik machen, aber damit hinter dicken Mauern niemanden stören.

Die zur Alb-Hochfläche vorgeschob­enen Vorwerke Wilhelmsfe­ste und Fort Prittwitz gehören noch der Bundeswehr und werden von ihr gepflegt. Sie hatte einst auch die angrenzend­e Wilhelmsbu­rg besessen. Bis 1970 waren deren Gewölbe Soldatenqu­artiere. Wegen undichter Dächer wurden sie aber zu unkommod. Das Militär räumte die Anlage. Seitdem stellt sich die Frage: Was tun mit diesem Koloss?

1986 überließ die Bundeswehr das Festungswe­rk der Stadt für den symbolisch­en Preis von einer Mark. Ein neues Dach kam hinauf. Bundes- und Landeszusc­hüsse halfen auch , einige Mauern zu sichern. Zwei der vielen Gewölbe wurden zur gewerblich­en Nutzung ausgebaut. Der riesige Hof wiederum diente als Kulisse für Konzerte oder Militärapp­elle. Ansonsten blieb es beim Kopfzerbre­chen, was man mit der gigantisch­en Bausubstan­z anfangen könnte. Dem heutigen Zeitgeist folgend, ist in Ulm inzwischen die Idee aufgekomme­n, den Bau für „kreative Nutzungen“herzuricht­en. Vor drei Jahren hat die Stadt deshalb einen Projektant­rag für das Bundesprog­ramm „Förderung von Investitio­nen in nationalen Projekten des Städtebaus“gestellt. Der Bund gibt nun 4,3 Millionen Euro. Die Stadt Ulm zahlt 2,7 Millionen Euro. Mit diesem Geld wurde bereits der Zugang zur Wilhelmsbu­rg verbessert. Bauarbeite­r haben eine Brücke über den Graben vor der rechten Flanke gebaut, um Lkws die Zufahrt zu ermögliche­n. Das dortige Nebentor erhielt ein größeres Profil. Theaterleu­te nutzen bereits diverse Gewölbe – unter den argwöhnisc­hen Blicken der Denkmalpfl­eger, die gleichzeit­ig auch erleichter­t sind angesichts der sich anbahnende­n neuen Nutzung.

Eine ähnliche Gefühlslag­e findet sich im Förderkrei­s Bundesfest­ung Ulm. „Klar ist, dass die Wilhelmsbu­rg ein Konzept braucht. Bauchweh machen uns aber verschiede­ne Eingriffe, auch wenn sie unumgängli­ch sind“, sagt Vereinsche­f Matthias Burger, ansonsten Lehrer für Mathematik und Physik. Der Förderkrei­s entstand 1974. Seine Grundidee: Die Bauten zu erhalten und sie einer breiten Öffentlich­keit zugänglich zu machen. Anfangs eine schwierige Angelegenh­eit. Der Zweite Weltkrieg wirkte noch nach. Viele Ulmer hatten für Militärbau­ten wenig übrig – und der städtische Architektu­rstolz machte sich eher am Münster mit seinem 162 Meter hohen Rekordturm fest.

Burger berichtet: „Wir haben kontinuier­liche Überzeugun­gsarbeit leisten müssen.“Und das mit Erfolg. Burger meint, die Bundesfest­ung erfahre seit einem guten Jahrzehnt „eine fachlich bessere Beachtung“durch den Denkmalsch­utz. In Ulm und Neu-Ulm dürften zudem die Veranstalt­ungen im Jahr 2009 zum 150-jährigen Jubiläum der Festungsfe­rtigstellu­ng positiv gewirkt haben. Für die nächste außerorden­tliche Feierlichk­eit der Ulmer sollen nun die Festungswe­rke im Zentrum stehen. Gemeint ist die Landesgart­enschau 2030.

Restaurier­tes Fort am Kuhberg

Auch sonst scheint das Interesse zu wachsen. Wie Burger sagt, werden bei Führungen zu den Werken jährlich über 10 000 Menschen gezählt – Tendenz steigend. Hauptanlau­fpunkt ist dabei das vom Verein liebevoll restaurier­te Fort Oberer Kuhberg. Dessen Mitglieder sind aber auch sonst überall aktiv. Dass es etwa möglich ist, in die Minengaler­ien der Wilhelmsbu­rg zu steigen, liegt an ihrem Arbeitsdra­ng. Sie haben die halbverfül­lten Gänge freigelegt.

„Laufen Sie ruhig rein“, empfiehlt Festungsfü­hrer Hehl. Leicht gebückt geht es. Ein fast bedrückend­es Gefühl. Für Platzangst ist in den Gängen kein Raum. Ganz vorne wäre der Sprengstof­f für die Feindesbek­ämpfung hingekomme­n – hätte es je einen Ernstfall gegeben. Dies war nicht der Fall. Die Bundesfest­ung war auch kurz nach ihrer Fertigstel­lung wehrtechni­sch überholt, weil die Artillerie besser geworden war.

Wir haben hier ein einzigarti­ges Festungser­be.

Siegfried Hehl

 ?? FOTO: MICHAEL SCHEYER ?? Ein Blick auf die rechte Ecke der Wilhelmsfe­ste und die davorliege­nden Gräben. Dieser Festungste­il gehört noch der Bundeswehr. Er sicherte einst die benachbart­e Wilhelmsbu­rg gegen die Hochfläche der Schwäbisch­en Alb ab. Beide Anlagen zusammen sollten...
FOTO: MICHAEL SCHEYER Ein Blick auf die rechte Ecke der Wilhelmsfe­ste und die davorliege­nden Gräben. Dieser Festungste­il gehört noch der Bundeswehr. Er sicherte einst die benachbart­e Wilhelmsbu­rg gegen die Hochfläche der Schwäbisch­en Alb ab. Beide Anlagen zusammen sollten...
 ??  ?? Ein Gang im Reduit der Wilhelmsbu­rg, dem letzten Widerstand­snest der Anlage bei einem Angriff.
Ein Gang im Reduit der Wilhelmsbu­rg, dem letzten Widerstand­snest der Anlage bei einem Angriff.
 ?? FOTOS: MICHAEL SCHEYER ?? Festungsfü­hrer Siegfried Hehl erklärt im Innenhof der Wilhelmsbu­rg Einzelheit­en der Anlage.
FOTOS: MICHAEL SCHEYER Festungsfü­hrer Siegfried Hehl erklärt im Innenhof der Wilhelmsbu­rg Einzelheit­en der Anlage.

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