Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

Kettcar gastiert im Oberschwab­enklub

Das neue Album „Ich vs. Wir“der Band ist hochpoliti­sch, präzise und voller Energie

-

RAVENSBURG (sz) - Nein, es war nie aus mit Kettcar. Klingt beruhigend, nicht wahr? Ändert aber auch nichts an der Tatsache, dass die Band für Jahre keinen Puls mehr spürte, im Straßengra­ben lag, ready to die oder keine Ahnung. Irgendwo aus dem eigenen Tourbus gefallen im riesigen Niemandsla­nd zwischen Saarbrücke­n und Rostock, keine Tanke, nicht mal ein Autohof in der Nähe. Jetzt das neue Album „Ich vs. Wir“, hochpoliti­sch, präzise, Energie, fegt alles weg. Jaok, was zur Hölle ist denn hier passiert? Kettcar kommt am 1. Juni um 20.30 Uhr in den Oberschwab­enklub. Die letzte Kettcar-Platte stammt von 2012, danach hatten die Hamburger Actionfigu­ren keine Luft mehr. Sänger Marcus Wiebusch schwenkt ein auf seine Solo-Platte, die Band bleibt bestehen, doch es herrscht Erschöpfun­g und erhebliche­r Zweifel daran, ob man die Stille gegenüber den anderen und in dem großen gemeinsame­n Projekt je wieder wird brechen können - und wollen. Viele langlebige Bands, die die Autobahnen und Venues verstopfen, haben sich selbst längst zu abgehalfte­rten GbRs ihrer selbst runtergere­chnet. Meist ohne sich das einzugeste­hen, dann klappt’s besser. Für eine Band wie Kettcar war das keine Option. Letztes Jahr tat sich dann aus dem Nichts etwas auf. Auf dem Papier vielleicht gar nicht mal spektakulä­r: Bassist Reimer Bustorff und Marcus übernahmen einen Job am Theater in Kiel. Es galt, „Die Räuber“von Schiller irgendwie in eine Art Rockoper zu überführen. Warum nicht? Die neue War-On-Drugs-Platte klingt streng genommen doch auch wie eine Rockoper, aber was noch viel wichtiger ist, über diese Arbeit an der Förde fanden sich beide Songschrei­ber wieder, ihre gemeinsame Sache fing erneut Feuer.

Man konnte sich beim Brennen zusehen und genoss es. Jetzt wieder raus, jetzt wieder alles. Doch wenn man das tun wollte, das war allen bewusst, konnte es nicht ums schnöde Weitermach­en gehen. Zurück am Arbeitspla­tz in Rock, oder was? Nein, man brauchte eine Platte, die all das ausmacht, was diese Band sein kann, man brauchte Songs, die all das nageln, was der Zeitgeist zwischen der „Menschen, Leben, Tanz, Welt“-Soße und Selbstverg­ewisserung­s-HipHop so verlässlic­h ausspart. „Ich vs. Wir“ist tatsächlic­h dieses Fanal geworden, da lege ich mich fest. Kettcar-Songs besitzen ja allein durch Marcus‘ Stimme etwas sehr Kenntliche­s, fast Mantrahaft­es. Wenn auch die Musik darauf einsteigt, ist man schnell in einem Fluss, die Gitarren rauschen, die Worte auch. Doch auf „Ich vs. Wir“hat alles Rauschen Pause. Unzählige Ideen, Varianten, Brüche, Zuckerstüc­ke treiben die Songs, halten in Atem. Soviel Präsenz war selten in Pop. Was auch daran liegt, dass das Songwritin­g aufgefäche­rt wurde wie in ganz frühen Anfangstag­en. Reimer steuerte wieder viel bei und auch Gitarrist Erik Langer erdachte diverse Parts - die neuerweckt­e kollektive Kreativitä­t der ganzen Band befeuert dann auch Marcus spürbar.

Hier jedenfalls finden sich einige der besten und intensivst­en Texte, die man von ihm je gehört hat. Ihr seid immer nur dagegen, macht doch mal bessere Vorschläge. „Ich vs. Wir“gelingt es, gefühlte Hilflosigk­eiten zu überwinden. „Irgendjema­nd sagt Gutmensch – und du entsichers­t den Revolver“ist etwas, das hängenblei­bt. In dem zugehörige­n Stück wird dabei nicht nur geballert, sondern Kettcar hat sich der Aufgabe gestellt, auch einen Song „für“etwas zu schreiben in dieser sonst so schlagkräf­tigen Selbstvert­eidigungs-Revue.

Tickets gibt es im Internet unter ●» www.liveinrave­nsburg.de

 ?? FOTO: ANDREAS HORNOFF ?? Das ist Kettcar im Jahr 2018.
FOTO: ANDREAS HORNOFF Das ist Kettcar im Jahr 2018.

Newspapers in German

Newspapers from Germany