Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)
Justizminister für weniger Jugendstrafrecht
Wolf und Bausback fordern härtere Strafen für junge Täter von 18 bis 21 Jahren
STUTTGART (tja/kab) - Heranwachsende Straftäter zwischen 18 und 21 Jahren sollen nur noch in wenigen Ausnahmefällen nach dem Jugendstrafrecht verurteilt werden. Das fordern die Justizminister von Baden-Württemberg und Bayern, Guido Wolf (CDU) und Winfried Bausback (CSU). „Ein Heranwachsender übernimmt ab dem 18. Lebensjahr alle Rechte und Pflichten eines mündigen Staatsbürgers. Warum sollte das im Strafrecht anders sein? Das ist den Bürgern nicht zu vermitteln“, sagte Wolf der „Schwäbischen Zeitung“.
Derzeit werde die Mehrzahl aller Heranwachsenden nach Jugendstrafrecht verurteilt. Gerade bei schweren Delikten werde durch die Gerichte nahezu ausschließlich Jugendstrafrecht angewandt. „Das halten mein Kollege Bausback und ich für bedenklich“, sagte Wolf. Das reguläre Strafrecht sieht härtere Strafen vor, während bei Jugendlichen oder noch unreifen Heranwachsenden der Erziehungsgedanke bei einem Urteil im Vordergrund stehen soll. „Man könnte zum Beispiel im Jugendgerichtsgesetz klarstellen, dass bei Heranwachsenden zwischen 18 und 21 Jahren nur im absoluten Ausnahmefall Jugendstrafrecht angewandt werden darf“, sagte Wolf. Gemeinsam mit seinem bayerischen Kollegen von der CSU wolle er prüfen, ob sich hierfür bundesweit eine Mehrheit finden lässt.
STUTTGART - Ein Heranwachsender übernehme vom 18. Lebensjahr an alle Rechte und Pflichten eines mündigen Staatsbürgers, sagt BadenWürttembergs Justizminister Guido Wolf (CDU) und fragt sich deshalb, warum das im Strafrecht anders ein sollte. Kara Ballarin und Katja Korf haben sich mit Wolf und seinem bayerischen Kollegen Winfried Bausback (CSU) unterhalten.
Die Gefängnisse sind überfüllt: In Baden-Württemberg sitzen derzeit 670 Häftlinge mehr hinter Gittern, als es eigentlich Plätze gibt. In Bayern sind derzeit rund 94 Prozent der Haftplätze belegt. Wie können Sie für Entspannung sorgen?
Wolf: Wir haben gerade eine neue Justizvollzugsanstalt (JVA) in Stuttgart-Stammheim mit zusätzlichen
230 Haftplätzen in Betrieb genommen. Außerdem ist eine neue JVA in Rottweil in Planung, wobei dieser Prozess für meinen Geschmack etwas schneller vorangehen dürfte. Vorerst sind wir gezwungen, das alte Gefängnishochhaus der JVA Stammheim weiter zu nutzen. Trotzdem haben wir eine Überbelegung und das macht uns Sorgen: Wenn es eng wird, nimmt das Konfliktpotenzial unter den Gefangenen zu. Die zuletzt geschaffenen Neustellen für den Justizvollzug leisten daher einen unverzichtbaren Beitrag, um unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu entlasten.
Bausback: Wir planen derzeit drei neue Justizvollzugsanstalten, so etwas gab es noch nie in Bayern! Die Anstalt in Passau – eine bundesweit einzigartige kombinierte Straf- und Abschiebungshafteinrichtung – soll voraussichtlich 2022 in Betrieb gehen, die in Marktredwitz 2024 und eine weitere in Bamberg-Burgebrach
2026. Gleichzeitig setze ich mich selbstverständlich weiter für mehr Stellen im bayerischen Justizvollzug ein, denn wir brauchen beides: mehr Haftplätze und mehr Personal!
In beiden Bundesländern ist die Zahl der Stellen im Justizvollzug bereits gestiegen. Reicht das noch nicht?
Bausback: Seit meinem Amtsantritt haben wir allein im Vollzug über 400 neue Planstellen geschaffen. Verglichen mit 1990 haben wir in Bayern 38 Prozent mehr Mitarbeiter im Justizvollzug. Aber so einfach ist die Rechnung nicht: Die Zeiten haben sich geändert, die Herausforderungen sind andere. Wenn wir einen starken Rechtsstaat wollen, dann benötigen wir dafür qualifiziertes Personal. Nehmen Sie zum Beispiel den stark gestiegenen Anteil von Ausländern in unseren Justizvollzugsanstalten. Viele tatverdächtige Ausländer kommen in Untersuchungshaft, weil aufgrund ihrer Beziehungen ins Ausland erhöhte Fluchtgefahr besteht. In Bayern saßen auf dem Höhepunkt der Flüchtlingskrise rund 800 Schleuser in Untersuchungshaft. Solchen Entwicklungen müssen wir Rechnung tragen.
Wolf: Auch in Baden-Württemberg haben wir in dieser Legislaturperiode schon weit mehr als 200 neue Stellen für den Justizvollzug geschaffen. Die Arbeitskraft dieses zusätzlichen Personals wird aber zu einem Teil dadurch aufgezehrt, dass gleichzeitig die Gefangenenzahlen ansteigen und die Probleme zunehmen – auch wegen des gestiegenen Anteils ausländischer Staatsangehöriger in Haft.
Die meisten Islamisten und Gefährder sitzen in bayerischen Gefängnissen. Woher kommt das?
Bausback: Ja, wir haben über 90 Personen in Haft, die einen islamistischen oder terroristischen Hintergrund haben, oder bei denen entsprechende Verdachtsmomente bestehen. Das hat mehrere Gründe: Erstens schauen wir in Bayern in unseren Justizvollzugsanstalten bei Islamisten und potenziellen Islamisten ganz genau hin und pflegen da vielleicht einen etwas sensibleren Umgang als andere Länder. Wir wissen aus anderen EU-Ländern, dass sich Attentäter im Vollzug radikalisiert haben. Wir haben uns deshalb dem Thema ganz früh gewidmet und versuchen mit einem ganzen Bündel an Maßnahmen, Radikalisierungstendenzen frühzeitig zu erkennen. Bereits 2015 habe ich unter anderem eine Zentralstelle für Maßnahmen gegen Salafismus und Islamismus in Justizvollzugsanstalten im Ministerium eingerichtet. Zweitens steigt die Zahl der Strafverfahren gegen Extremisten. Hier leistet unsere Zentralstelle zur Bekämpfung von Extremismus und Terrorismus, die wir vergangenes Jahr bei der Generalstaatsanwaltschaft München gegründet haben, ausgezeichnete Arbeit.
Reichen die strafrechtlichen Möglichkeiten, um gegen Extremisten vorzugehen?
Bausback: Da gibt es durchaus Luft nach oben! Es ist zwar strafbar, eine ausländische terroristische Vereinigung zu unterstützen – nach geltendem Recht muss die Unterstützung aber tatsächlich beim Empfänger ankommen. Tut sie das nicht, scheidet eine Strafbarkeit unter diesem Gesichtspunkt aus. Deshalb muss hier auch schon der Versuch strafbar sein! Außerdem sollte man auch die Sympathiewerbung für terroristische Vereinigungen wieder wie früher unter Strafe stellen.
Wolf: Den gesetzgeberischen Handlungsbedarf sehe ich ebenso wie Kollege Bausback. In Baden-Württemberg haben wir etwa 30 Gefangene mit islamistischem Hintergrund. Ihre Zahl ist in den vergangenen beiden Jahren stark gestiegen. Zusammen mit dem Landesamt für Verfassungsschutz haben wir daher die Überwachung verstärkt, aber auch unser Personal sensibilisiert und fortgebildet. Guido Wolf zur Koalition mit den Grünen in Baden-Württemberg
Derzeit dürfen Ermittler DNASpuren nicht daraufhin auswerten, wie der Verdächtige aussieht und wie alt er ist. Sie plädierten beide für eine Ausweitung, CDU und SPD wollen diese im Bund nun einführen. Aber Ihre Forderung, DNA auf Hinweise zur Herkunft auszuwerten, ist nicht durchgedrungen.
Wolf: Es ist ein großer Erfolg, dass die DNA-Analyse nun in den entscheidenden Punkten erweitert werden soll. Darauf dürfen wir beide stolz sein, denn dafür setzen wir uns seit mehr als einem Jahr ein. Die Erstreckung der DNA-Analyse auf die biogeografische Herkunft des potenziellen Täters ist derzeit nicht vorgesehen. Aber ich halte es nicht für ausgeschlossen, dass sich da noch etwas bewegt. Wenn sich die technischen Möglichkeiten zur Auswertung von DNA-Spuren weiter verbessern, müssen wir darüber noch einmal diskutieren.
Bausback: Diesen Erfolg hätte es ohne den Schulterschluss von Bayern und Baden-Württemberg nicht gegeben. Doch es gibt im Bereich DNA weiteren Handlungsbedarf. Wir müssen zur besseren Aufklärung künftiger Straftaten dafür sorgen, dass die DNA-Datenbanken auf breitere Grundlage gestellt werden: Immer dann, wenn unsere Ermittler einen daktyloskopischen Fingerabdruck nehmen dürfen, sollten sie auch einen genetischen Fingerabdruck nehmen dürfen. Denn die DNA ist der Fingerabdruck des 21. Jahrhunderts! Bei der DNA-Entnahme sind die rechtlichen Anforderungen bislang recht hoch. Bei kleineren Delikten wie Diebstahl darf man sie nicht speichern – und kann sie damit später auch nicht mit anderen Spuren an einem Tatort abgleichen. Deswegen sind im Vergleich zu den gespeicherten Fingerabdrücken nur ein Fünftel so viele DNA-Muster gespeichert. Hier besteht also dringend Handlungsbedarf. Denn: Heutzutage hinterlassen Täter immer seltener Fingerabdrücke. Aber Ermittler finden oft Blutspuren oder Hautschuppen, aus denen sich DNA gewinnen lässt. Diesen Entwicklungen müssen wir endlich Rechnung tragen und die rechtlichen Rahmenbedingungen anpassen.
Aus der DNA kann man wesentlich mehr Informationen über einen Menschen gewinnen als aus Fingerabdrücken. Können Sie so etwas mit ihrem grünen Koalitionspartner in Baden-Württemberg machen, Herr Wolf ?
„Koalitionspartner haben uns noch nie daran gehindert, sinnvolle Dinge anzugehen.“
Wolf: Koalitionspartner haben uns noch nie daran gehindert, sinnvolle Dinge anzugehen. Ich hoffe, dass der Koalitionsvertrag im Bund bald in Kraft tritt; er muss dann zügig abgearbeitet werden. Dann sehen wir weiter.
In letzter Zeit gab es eine Debatte über den Umgang mit jugendlichen Straftätern. Müssen hier Gesetze verschärft werden?
Wolf: Wir sind mit dem Jugendstrafrecht, das dem Erziehungsgedanken verpflichtet ist, gut aufgestellt. Es gilt ja grundsätzlich für junge Menschen zwischen 14 und 18 Jahren. Bei Reifeverzögerungen kann es auch auf Heranwachsende bis 21 Jahre angewandt werden. In der Praxis geschieht das allerdings in der Mehrzahl der Fälle. Gerade bei schweren Delikten wenden die Gerichte nahezu ausschließlich Jugendstrafrecht an. Das halten mein Kollege Bausback und ich für bedenklich. Diese Praxis entspricht im Übrigen auch nicht der ursprünglichen Absicht des Gesetzgebers.
Kollege Bausback und ich wollen daher prüfen, ob wir eine politische Mehrheit finden, um diese Entwicklung umzukehren. Man könnte zum Beispiel im Jugendgerichtsgesetz klarstellen, dass bei Heranwachsenden zwischen 18 und 21 Jahren nur im absoluten Ausnahmefall Jugendstrafrecht angewandt werden darf. Ein Heranwachsender übernimmt ab dem 18. Lebensjahr alle Rechte und Pflichten eines mündigen Staatsbürgers. Warum sollte das im Strafrecht anders sein? Das ist den Bürgern nicht zu vermitteln.