Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)
Ein Dino wrackt sich ab
So richtig weiß der geneigte Fußball-Enthusiast derzeit nicht, was er mit dem Hamburger SV anfangen soll. Da die versierten Relegations-Routiniers seit Jahren in den Tabellenniederungen vor sich hin dümpeln, vor Saisonbeginn jeweils den Neustart ausrufen, um dann doch wieder das obligatorische HSV-Chaos auszurufen, haben nicht nur eingefleischte Rautenfans längst schon jeden Witz über ihr Team gehört. Und auch als geneigter Kollegen-Piekser, der dem Bundesliga-Dino seit Jahren insgeheim den Abstieg gönnt, kann man bei den grotesken Entwicklungen schon beinahe wieder Mitleid bekommen.
Da wäre die bittere Niederlage im ● 108. Nordderby gegen Werder Bremen, was an und für sich schon als Schmach genug wäre. Relativ blutleer gestaltete sich der Auftritt, gekrönt von einem umstrittenen Tor der Bremer in der 86. Spielminute. Die Hamburger konnte man anschließend dann nicht gerade als gute Verlierer bezeichnen. „Jeder, der mal ein bisschen Fußball gespielt hat, sieht, dass es Abseits war“, schimpfte Vorstandschef Heribert
Bruchhagen ins Sky-Mikrofon und in Richtung des Videoschiedsrichters. Irgendwie ist diese Reaktion
auch nachvollziehbar, wirkte der aus Hamburger Sicht bittere Schlusspunkt schon ein wenig wie der finale Stoß Richtung Zweite Liga. Sieben Punkte beträgt der Rückstand auf den Relegationsplatz, den der kommende Gegner Mainz 05 besetzt. „Die Niederlage ist scheiße. Aber wir sind der HSV und wir haben es noch immer geschafft“, meinte Ex-Nationalspieler Andre Hahn zwar nach der 15. Ligapleite der Saison. Aber es fehlt in einer fragwürdig zusammengestellten Mannschaft weiter an einem System für die Offensive und damit an jeglicher Torgefahr. Etwas mehr fehlte einigen – Achtung, Ironie – Fans auf den Rängen. Während des Spiels fackelten diese im Block der Gäste massiv Pyrotechnik ab, mehrfach musste Schiedsrichter Felix Zwayer unterbrechen. Eine Woche
nach dem Drohplakat gegen die eigenen Profis war es der nächste Fehltritt, der nicht nur Bruchhagen auf die Palme brachte. „Das sind Fußballzerstörer“, wetterte er und meinte damit nicht seine Spieler.
Die ganz andere Gefühlspalette ● können sie derzeit in Köln beackern. Nach dem Überraschungssieg gegen RB Leipzig und nun 17 Punkten sind die Phoenix-Kicker nun schon gleichauf mit dem Hamburger SV. Zur Winterpause noch weit abgeschlagen und eigentlich nur noch um einen guten Abschied bemüht, ist die Rettung nun nicht weniger utopisch als die der Hamburger – zumal die Truppe um Torjäger Simon Terodde nun mit kräftig Selbstvertrauen durch die Liga pflügt. Wie Coach
Stefan Ruthenbeck das geschafft hat, ist eigentlich einerlei, stilgebend für den HSV könnte es auf jeden Fall sein. Kein Wunder also, dass FC-Geschäftsführer Armin Veh zum Thema Klassenerhalt meinte: „Eine Chance ist da und so lange die Chance da ist, werden wir versuchen, die zu nutzen.“
Ein mindestens genauso großes Erfolgserlebnis ● wie die Kölner in Leipzig hatte am Samstag Patrick Sailer
– wohl weder verwandt noch verschwägert mit Ex-Bundesliga-BartZottel Marco „Toni“Sailer, dafür aber mindestens genauso abgezockt. Der Spieler des TSV Buch (Landesliga Württemberg/Staffel 2) zog VfB Stuttgarts Sportvorstand Michael
Reschke im Aktuellen Sportstudio des ZDF an der Torwand ab. Zwei Treffer bei sechs Versuchen ließen sich ganz gut an. „Kurz vor dem Schießen war bei mir schon eine gewisse Anspannung da und der Puls ging nach oben. Aber ich glaube, bei meiner Mutter, meiner Schwester und meiner Freundin war die Anspannung noch größer“, so der 28Jährige. Für Sailer ging es nach Sendeschluss noch ein bisschen weiter. „Michael Reschke musste gleich weg“, berichtete er, „aber Jochen
Breyer (der Moderator, die Red.), einige Mitarbeiter und ich saßen noch eine Weile zusammen.“Um 20.30 Uhr war er bereits im Studio zu Vorgesprächen, zum Warmschießen und in der Schminke, um kurz nach zwei Uhr war Sailer zurück im Hotel. Zum Anstoßen hatte er definitiv genug Gründe – anders als der HSV.