Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)
Black Sabbath rocken die Berufsschule
Musikjournalist Christoph Wagner erzählt Anekdoten aus der Underground-Szene
SIGMARINGEN - Jimi Hendrix bearbeitete im Konzerthaus in Stuttgart seine Gitarre, Deep Purple rockten die Oberschwabenhalle in Ravensburg, The Who zertrümmerten ihre Instrumente in der Donau-Halle in Ulm. Die musikalische Revolution Ende der 60er- und Anfang der 70erJahre machte auch vor dem Südwesten Deutschlands nicht Halt. Wie Musikjournalist Christoph Wagner am Freitagabend vor rund 50 Zuhörern im Alten Schlachthof deutlich machte, brodelte es aber nicht nur in den großen Städten, sondern auch in der Provinz. Amüsante Anekdoten stellte Wagner ebenso vor wie die Schattenseiten der Branche.
Anlässlich der Reihe „Sigmaringen liest“präsentierte Christoph Wagner sein Buch „Träume aus dem Untergrund: Als Beatfans, Hippies und Folkfreaks Baden-Württemberg aufmischten“. Thommy Balluff spielte dazu Synthesizer und Keyboards. Der Stuttgarter hatte die südwestdeutsche Underground-Szene seit den 60er-Jahren selbst mit geprägt – zunächst mit Beat, später mit Soul, Rock, Punk und New Wave.
Zu Beginn erinnerte Christoph Wagner an die Jugendrevolte der
68er – an lange Haare, vergammelte Klamotten und antiautoritäre Erziehung. Mit der Rockmusik habe dieses Lebensgefühl sein wichtigstes Verbreitungsinstrument gefunden. Clubs für ein jugendliches Publikum entstanden zum Beispiel in Stuttgart und Esslingen, aber auch in Schorndorf und Kirchheim unter Teck.
Vorprogramm als Segen und Fluch
Als führende Pop-Nation galt damals Großbritannien. Doch die Konkurrenz war groß – und so wichen viele Bands für ihre Auftritte auf die Bundesrepublik aus. Dort spielten sie vor Tausenden von Fans, während sie in ihrer Heimat eher unbekannt blieben. „Im Vorprogramm britischer Bands zu spielen, bot deutschen Gruppen die Gelegenheit, bekannter zu werden“, sagt Christoph Wagner. „Andererseits mussten sie sich an der Hauptband messen lassen.“
Doch auch einige britische Bands standen damals erst am Anfang ihrer Karriere. Die Heavy-Metal-Band Black Sabbath kämpfte 1969 – wie viele andere Gruppen – ums finanzielle Überleben. Kurz vor Weihnachten spielte sie in der kaufmännischen Berufsschule in Göppingen. Weil es keine Bühne gab, bauten die Musiker ihre Instrumente auf einem Treppenabsatz im Treppenhaus auf. Vor 200 Jugendlichen begannen sie ihr Set mit „Paranoid“– einem Song, der später ein Hit werden sollte. Am Tag nach dem Konzert waren Ozzy Osbourne und seine Bandkollegen mit Begeisterung bei der Sache, als Fotograf Lothar Schiffler sie zu einem Shooting auf dem Friedhof des Klosters Adelberg bewegte.
Die schnell voranschreitende Kommerzialisierung der Rockmusik stieß allerdings auch auf heftige Kritik. So gründete sich 1971 in Reutlingen der Verein GIG. Dieser schrieb sich die Förderung progressiver Kunst und Musik auf die Fahnen – verstand sich aber auch als Opposition zum kommerziellen Pop-Betrieb. GIG kritisierte skrupellose Manager und wollte der Geschäftemacherei in der Popmusik ein Ende bereiten. Aktiv wurde der Verein beispielsweise, als in Tübingen ein Konzert der Gruppe Taste angekündigt wurde. Denn tatsächlich sollte nur die Nachfolge-Gruppe Stud spielen, ohne den legendären Gitarristen Rory Gallagher. Aus Protest organisierte GIG ein Konkurrenzkonzert vorab und rief zum Boykott des Stud-Konzerts auf.
Es gab also durchaus auch Konfliktpotenzial. 1972 organisierte GIG ein Konzert mit der Band UFO, bei dem sich Musiker und Publikum eine handfeste Auseinandersetzung lieferten. 1974 stellte GIG seine Aktivitäten ein. Doch nicht nur das: „Etliche Clubs machten dicht, der Punk übernahm die Funktion der Rebellion“, sagt Christoph Wagner. Und dennoch: Die Wucht der Musik, die blieb. Auch im Südwesten.