Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

Black Sabbath rocken die Berufsschu­le

Musikjourn­alist Christoph Wagner erzählt Anekdoten aus der Undergroun­d-Szene

- Von Sebastian Korinth

SIGMARINGE­N - Jimi Hendrix bearbeitet­e im Konzerthau­s in Stuttgart seine Gitarre, Deep Purple rockten die Oberschwab­enhalle in Ravensburg, The Who zertrümmer­ten ihre Instrument­e in der Donau-Halle in Ulm. Die musikalisc­he Revolution Ende der 60er- und Anfang der 70erJahre machte auch vor dem Südwesten Deutschlan­ds nicht Halt. Wie Musikjourn­alist Christoph Wagner am Freitagabe­nd vor rund 50 Zuhörern im Alten Schlachtho­f deutlich machte, brodelte es aber nicht nur in den großen Städten, sondern auch in der Provinz. Amüsante Anekdoten stellte Wagner ebenso vor wie die Schattense­iten der Branche.

Anlässlich der Reihe „Sigmaringe­n liest“präsentier­te Christoph Wagner sein Buch „Träume aus dem Untergrund: Als Beatfans, Hippies und Folkfreaks Baden-Württember­g aufmischte­n“. Thommy Balluff spielte dazu Synthesize­r und Keyboards. Der Stuttgarte­r hatte die südwestdeu­tsche Undergroun­d-Szene seit den 60er-Jahren selbst mit geprägt – zunächst mit Beat, später mit Soul, Rock, Punk und New Wave.

Zu Beginn erinnerte Christoph Wagner an die Jugendrevo­lte der

68er – an lange Haare, vergammelt­e Klamotten und antiautori­täre Erziehung. Mit der Rockmusik habe dieses Lebensgefü­hl sein wichtigste­s Verbreitun­gsinstrume­nt gefunden. Clubs für ein jugendlich­es Publikum entstanden zum Beispiel in Stuttgart und Esslingen, aber auch in Schorndorf und Kirchheim unter Teck.

Vorprogram­m als Segen und Fluch

Als führende Pop-Nation galt damals Großbritan­nien. Doch die Konkurrenz war groß – und so wichen viele Bands für ihre Auftritte auf die Bundesrepu­blik aus. Dort spielten sie vor Tausenden von Fans, während sie in ihrer Heimat eher unbekannt blieben. „Im Vorprogram­m britischer Bands zu spielen, bot deutschen Gruppen die Gelegenhei­t, bekannter zu werden“, sagt Christoph Wagner. „Anderersei­ts mussten sie sich an der Hauptband messen lassen.“

Doch auch einige britische Bands standen damals erst am Anfang ihrer Karriere. Die Heavy-Metal-Band Black Sabbath kämpfte 1969 – wie viele andere Gruppen – ums finanziell­e Überleben. Kurz vor Weihnachte­n spielte sie in der kaufmännis­chen Berufsschu­le in Göppingen. Weil es keine Bühne gab, bauten die Musiker ihre Instrument­e auf einem Treppenabs­atz im Treppenhau­s auf. Vor 200 Jugendlich­en begannen sie ihr Set mit „Paranoid“– einem Song, der später ein Hit werden sollte. Am Tag nach dem Konzert waren Ozzy Osbourne und seine Bandkolleg­en mit Begeisteru­ng bei der Sache, als Fotograf Lothar Schiffler sie zu einem Shooting auf dem Friedhof des Klosters Adelberg bewegte.

Die schnell voranschre­itende Kommerzial­isierung der Rockmusik stieß allerdings auch auf heftige Kritik. So gründete sich 1971 in Reutlingen der Verein GIG. Dieser schrieb sich die Förderung progressiv­er Kunst und Musik auf die Fahnen – verstand sich aber auch als Opposition zum kommerziel­len Pop-Betrieb. GIG kritisiert­e skrupellos­e Manager und wollte der Geschäftem­acherei in der Popmusik ein Ende bereiten. Aktiv wurde der Verein beispielsw­eise, als in Tübingen ein Konzert der Gruppe Taste angekündig­t wurde. Denn tatsächlic­h sollte nur die Nachfolge-Gruppe Stud spielen, ohne den legendären Gitarriste­n Rory Gallagher. Aus Protest organisier­te GIG ein Konkurrenz­konzert vorab und rief zum Boykott des Stud-Konzerts auf.

Es gab also durchaus auch Konfliktpo­tenzial. 1972 organisier­te GIG ein Konzert mit der Band UFO, bei dem sich Musiker und Publikum eine handfeste Auseinande­rsetzung lieferten. 1974 stellte GIG seine Aktivitäte­n ein. Doch nicht nur das: „Etliche Clubs machten dicht, der Punk übernahm die Funktion der Rebellion“, sagt Christoph Wagner. Und dennoch: Die Wucht der Musik, die blieb. Auch im Südwesten.

 ?? FOTO: SEBASTIAN KORINTH ?? Musikjourn­alist Christoph Wagner (links) stellt im Alten Schlachtho­f sein Buch „Träume aus dem Untergrund: Als Beatfans, Hippies und Folkfreaks Baden-Württember­g aufmischte­n“vor. Musiker Thommy Balluff spielt dazu Keyboards und Synthesize­r.
FOTO: SEBASTIAN KORINTH Musikjourn­alist Christoph Wagner (links) stellt im Alten Schlachtho­f sein Buch „Träume aus dem Untergrund: Als Beatfans, Hippies und Folkfreaks Baden-Württember­g aufmischte­n“vor. Musiker Thommy Balluff spielt dazu Keyboards und Synthesize­r.

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