Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)
Sängerin Joan Baez
Woodstock-Legende verabschiedet sich mit CD & Tour
Joan Baez sang mit „We Shall Overcome“die Friedenshymne schlechthin und trat beim legendären Woodstock-Festival auf. Nun startet die „Amnesty-InternationalBotschafterin des Gewissens“ihre letzte große Tournee, die sie auch nach Deutschland führt.
Vier Jahrzehnte lang war Joan Chandos Baez die First Lady der Friedensbewegung. Die Folksängerin aus Staten Island/New York scheute keinen Konflikt: 1959 wird sie beim Newport Folk Festival entdeckt. 1963 marschiert sie beim „Civil Rights March“in Washington Seite an Seite mit ihrem Vorbild Martin Luther King. 1979 ruft sie die Menschenrechtsorganisation „Humanitas International Human Rights Committee“ins Leben.
Die amerikanische Regierung stuft die Protestsängerin als Sicherheitsrisiko ein und steckt sie für 45 Tage ins Gefängnis. Ihre Platten werden aus den Läden verbannt. Doch Protestsongs wie „We Shall Overcome“oder „Where Have All The Flowers Gone“waren da längst Liedermacher-Hits, lagerfeuer-tauglich. Selbst Baez’ ehemaliger Liebhaber Bob Dylan wurde erst bekannt, als er ihre Songs sang. Akustische Alben wie „Joan Baez“(1960), „Farewell, Angelina“(1965) und „Diamonds And Rust“(1975) machten sie zu einer der wichtigsten Figuren der amerikanischen Musikszene.
Ikone des Protestsongs
Nach außen wirkt die sanfte Kämpferin stets zuversichtlich. Selbst dann noch, als ihr Ex-Mann und Mitstreiter David Harris zu einer zweijährigen Haftstrafe verurteilt wird. Tatsächlich aber leidet sie unter Panikattacken, Schlaflosigkeit, Phobien. Die 1970er-Jahre verbringt sie abwechselnd mit Therapien und Tourneen. In den 1980ern fehlt es ihren Platten immer mehr an Ausdruckskraft und Intensität. Sie bringt zehn Jahre keinen neuen Song zu Papier: Schreibblockade. Selbst in diesem Zustand muss ihre Ausstrahlung riesig gewesen sein: Der junge Steve Jobs, den Baez Anfang der 1980erJahre kennenlernte, war so fasziniert von der sanften Entschlusskraft der aufrechten Friedenskämpferin, dass sie zu den wenigen Menschen zählte, die respektablen Einfluss auf ihn hatten.
Auch in den 1990er-Jahren schart die Sängerin rebellischen Nachwuchs um sich: Michael Moore, Sänger und Songschreiber Steve Earle und Rage Against The MachineMastermind Tom Morello.
Joan Baez ist inzwischen 77 Jahre alt und will definitiv keine Protestsängerin mehr sein, aber sie nimmt immer noch kein Blatt vor den Mund: „Die jungen Leute wissen gar nicht mehr, wofür sie sich einsetzen sollen, weil überall alles schiefläuft.“Das politische Interesse will sie Spätgeborenen durchaus nicht absprechen, aber sie vermisst die unterstützenden Hymnen. Wo bleibt ein „Imagine“oder ein „Blowing In The Wind“? Von den kämpferischen Songs will sie sich deshalb nicht ganz lösen; Dylan-Klassiker wie „It’s All Over Now, Baby Blue“und „Farewell, Angelina“sind fester Bestandteil ihres Konzertprogramms. Jedoch hält sie diese Songs nicht mehr für relevant im politischen oder gesellschaftlichen Sinn. Ihr ist es auch nie darum gegangen, mit Liedern Menschen anzuleiten. „Ich habe die Welt schon als junger Mensch sehr nüchtern betrachtet“, sagt die Sängerin. „Mir war immer klar, welche Schäden der amerikanische Lebensstil andernorts anrichtet. Die quasireligiöse Überhöhung von Konkurrenz auf allen Gebieten ist schlimm“.
Martin Scorseses Dokumentation „No Direction Home“aus dem Jahr 2005, in der Joan Baez eine tragende Rolle spielte, hat ihr ihren ehemaligen Freund Bob Dylan wieder näher gebracht. „Nachdem ich mir die ersten beiden Stunden angeschaut hatte, wurde ich richtig glücklich, denn ich betrachtete uns Babys mit den Augen einer Großmutter. Bob und mich noch einmal zusammen zu sehen, war für mich das Schönste an diesem Film.“
Mit Musik gegen Trump
Mit erfolgreichen Anti-Trump-Hymnen wie „Nasty Man“hat sich bei Joan Baez inzwischen wieder die alte Form eingestellt. Sie findet, dass ein Song ermutigen und für eine gewisse Erleichterung sorgen kann, „weil man weiß, dass man mit seinen Sorgen nicht allein ist.“Auf ihrer diesjährigen Konzertreise wird sie Lieder von ihrem aktuellen Studioalbum „Whistle Down The Wind“(siehe Kasten) präsentieren. Darauf interpretiert sie Stücke von Tom Waits, Joe Henry oder Mary Chapin Carpenter.
„We Shall Overcome“singt Joan Baez heute kaum noch. Sie möchte vermeiden, zur Fahnenträgerin der Nostalgie zu werden. „Es nervt mich, wenn ich als Legende abgestempelt werde. Werde ich mit jener Zeit in Verbindung gebracht und gleichzeitig als lebendige, frische Künstlerin wahrgenommen und respektiert, kann ich damit gut leben“, erklärt sie. Der musikalische Aspekt an ihren Songs ist ihr heute genauso wichtig wie deren Botschaft.
Voriges Jahr wurde Joan Baez in die Rock And Roll Hall Of Fame aufgenommen. Das klassische Klischee einer Rockerin erfüllt sie ganz sicher nicht, aber sie liebt es bis heute, gegen ihr Image anzukämpfen. Als die resolute Dame vor ein paar Monaten mit ihrem Sohn Gabriel in Neuseeland weilte, ließ dieser sich ein Tattoo stechen. Joan Baez wollte nicht nachstehen und ließ sich ihr Handgelenk mit Kreisen und Pfeilen verzieren. Mit 77 Jahren, da fängt das Leben an.
Joan Baez auf Fare Thee Well-Tour:
25. März Frankfurt Alte Oper,
26. März München Philharmonie,
31. März Hamburg, 25.Juli Wien Konzerthaus, 28. Juli Halle/Saale,
29. Juli Berlin Zitadelle Spandau,
31. Juli Ludwigsburg, 1. August Schwetzingen, 3. August Köln.