Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)
Femmer: „Erwarte jetzt Standfestigkeit der SPD“
Mitglieder der SPD aus dem Kreis äußern sich zur Entscheidung der Parteibasis für eine große Koalition
SIGMARINGEN - Nach einer fünfmonatigen Hängepartie nach der Bundestagswahl ist die Entscheidung jetzt gefallen: Die SPD-Mitglieder haben mit 66,02 Prozent für eine große Koalition aus CDU und SPD gestimmt. Dadurch steht einer Fortsetzung der Regierung unter Angela Merkel nichts mehr im Wege. Die „Schwäbische Zeitung“hat bei SPDMitgliedern im Kreis nachgefragt, was sie von der Entscheidung der Parteimitglieder halten.
Der Kreisvorsitzende der Sozialdemokraten, Michael Femmer
aus Rulfingen, findet das Abstimmungsergebnis „in Ordnung“. „Schlussendlich konnte man nichts anderes machen“, sagt er und überdies sei ja bei den Koalitionsverhandlungen für die SPD relativ viel herausgekommen, das verleihe der Partei viel Gewicht. „Leider ist einiges nicht ganz konkret, da ist viel die Rede von ,wir wollen’ oder ,wir sollten’. Fünf, sechs konkrete Punkte wären mir lieber gewesen.“So eröffne der Vertrag Interpretationsmöglichkeiten. Da gäbe es dann „Obermeister wie Volker Kauder“, die alles glattbügeln und dann würden aus einem Mindestlohn 8,50 Euro statt wie vorgesehen 12,50 Euro.
„Ich erwarte jetzt Standfestigkeit meiner Partei“, sagt Femmer, man dürfe sich das Ergebnis des Koalitionsvertrages nicht kaputtreden lassen. Allerdings müsse man auch die Realität im Auge haben und gegebenenfalls einlenken können. Das dürfe aber nicht darauf hinaus laufen, dass der Eindruck entstehe, dass es zwischen SPD und Union keine Unterschiede mehr gebe. „Dass es Unterschiede gibt und dass das Mühe macht, haben wir gezeigt. Wenn wir unsere Politik konsequent gestalten, haben wir die Chance, weiter an Profil zu gewinnen.“
Regierungsverantwortung tragen
„Ich freue mich über die hohe Wahlbeteiligung und das klare Ergebnis“, sagt die Sigmaringer Ortsvereinsvorsitzende Susanne Fuchs. Das zeige, dass die Mitglieder Politik mitbestimmen wollten und es auch täten, wenn sie gefragt werden. „Ich finde diese Entscheidung zur Regierungsbeteiligung richtig. Als große, traditionsreiche Partei in Deutschland tragen wir Regierungsverantwortung mit. Wir regieren nicht allein, aber Kompromisse gehören zum (politischen) Leben dazu.“Wichtig sei, dass die Partei erkennbare Marksteine setze. Sie sei zuversichtlich, dass der SPD das gelinge. Der Koalitionsvertrag setze Akzente, es gelte die Vereinbarungen jetzt durchzusetzen.
Die SPD habe mit der Entscheidung, ihre Mitglieder zu befragen, deutlich gemacht, dass sie eine demokratische Partei sei. Es sei kontrovers diskutiert, gestritten und abgewogen worden. „Wir haben alle Mitglieder befragt, es wird keine EinMann-Entscheidung gefällt, wie das bei der FDP geschehen ist.“Mit diesem Votum habe die SPD zudem gezeigt, dass sie eine verlässliche Größe in der politischen Landschaft Deutschlands ist. „Ich bin heute mehr denn je davon überzeugt, dass die SPD nicht nur eine große Vergangenheit, sondern auch eine große Zukunft hat und ich richtig in dieser Partei bin. Die SPD braucht keine Runderneuerung mit neuem Profil, wie ein abgefahrener Reifen. Die SPD braucht eine Weiterentwicklung, Tradition und Moderne, aber
dabei immer der Verpflichtung zur sozialen Gerechtigkeit verbunden“, sagt Fuchs.
Ulrike Tyrs, SPD-Fraktionsvorsitzende im Sigmaringer Gemeinderat, betont, dass für viele SPDMitglieder die Entscheidung, für eine große Koalition zu stimmen, kein ‚Ja‘ aus Leidenschaft, sondern eine reine Kopfentscheidung, der staatspolitischen Verantwortung geschuldet gewesen sei. „Erleichtert wurde dieses ‚Ja‘ durch eine stark ablesbare Handschrift der SPD im Koalitionsvertrag. Ein schlichtes ,weiter so‘ darf es aber nicht geben“, sagt sie. „Ich bin froh darüber, dass nun dieser parteiinterne Hickhack ein Ende hat und wir wieder auf eine handlungsfähige Regierung hoffen dürfen. Die Bürger
haben vom vergangenen halben Jahr die Nase voll“.
Die SPD-Fraktionsvorsitzende im Meßkircher Stadtrat, Martina
Mülherr, ist überrascht von dem klaren Ergebnis: „Ich dachte, es wird knapper.“Auch wenn sie kein Freund der großen Koalition sei, sei sie froh, dass jetzt Ruhe einkehre. „Die SPD war der Notnagel für Angela Merkel, um ihre Kanzlerschaft zu retten, nachdem sie Jamaika nicht hinbekommen hat“, sagt Mülherr. Ausschlaggebend für viele Genossen mit „Ja“zu stimmen, war die Verhinderung von Neuwahlen, denn die wären für alle Parteien, außer der AfD, verheerend geworden, meint die Meßkircherin. „Ich wünsche mir, dass der SPD die Erneuerung und die Schärfung ihres Profils in der Regierung gelingt und sie sich nicht von Merkels ,Weiter so‘ und ,Ich sehe nicht, was wir ändern müssen‘ einlullen lässt.“
Der Meßkircher SPD-Ortsvereinsvorsitzende Rüdiger Hillenbrand hat selbst mit „Nein“zur großen Koalition gestimmt. Er hätte es gut gefunden, wenn sich die SPD in der Opposition erneuert hätte. Ob dies in der Regierung gelinge, sei fraglich. Hillenbrand befürchtet, dass sich die SPD von der CDU bei wichtigen Sachthemen ausbremsen lassen werde. „Ich bin aber froh, dass wir jetzt eine Regierung haben und dass es in Europa weitergehen kann.“