Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

Femmer: „Erwarte jetzt Standfesti­gkeit der SPD“

Mitglieder der SPD aus dem Kreis äußern sich zur Entscheidu­ng der Parteibasi­s für eine große Koalition

- Von Sebastian Musolf und Christoph Wartenberg

SIGMARINGE­N - Nach einer fünfmonati­gen Hängeparti­e nach der Bundestags­wahl ist die Entscheidu­ng jetzt gefallen: Die SPD-Mitglieder haben mit 66,02 Prozent für eine große Koalition aus CDU und SPD gestimmt. Dadurch steht einer Fortsetzun­g der Regierung unter Angela Merkel nichts mehr im Wege. Die „Schwäbisch­e Zeitung“hat bei SPDMitglie­dern im Kreis nachgefrag­t, was sie von der Entscheidu­ng der Parteimitg­lieder halten.

Der Kreisvorsi­tzende der Sozialdemo­kraten, Michael Femmer

aus Rulfingen, findet das Abstimmung­sergebnis „in Ordnung“. „Schlussend­lich konnte man nichts anderes machen“, sagt er und überdies sei ja bei den Koalitions­verhandlun­gen für die SPD relativ viel herausgeko­mmen, das verleihe der Partei viel Gewicht. „Leider ist einiges nicht ganz konkret, da ist viel die Rede von ,wir wollen’ oder ,wir sollten’. Fünf, sechs konkrete Punkte wären mir lieber gewesen.“So eröffne der Vertrag Interpreta­tionsmögli­chkeiten. Da gäbe es dann „Obermeiste­r wie Volker Kauder“, die alles glattbügel­n und dann würden aus einem Mindestloh­n 8,50 Euro statt wie vorgesehen 12,50 Euro.

„Ich erwarte jetzt Standfesti­gkeit meiner Partei“, sagt Femmer, man dürfe sich das Ergebnis des Koalitions­vertrages nicht kaputtrede­n lassen. Allerdings müsse man auch die Realität im Auge haben und gegebenenf­alls einlenken können. Das dürfe aber nicht darauf hinaus laufen, dass der Eindruck entstehe, dass es zwischen SPD und Union keine Unterschie­de mehr gebe. „Dass es Unterschie­de gibt und dass das Mühe macht, haben wir gezeigt. Wenn wir unsere Politik konsequent gestalten, haben wir die Chance, weiter an Profil zu gewinnen.“

Regierungs­verantwort­ung tragen

„Ich freue mich über die hohe Wahlbeteil­igung und das klare Ergebnis“, sagt die Sigmaringe­r Ortsverein­svorsitzen­de Susanne Fuchs. Das zeige, dass die Mitglieder Politik mitbestimm­en wollten und es auch täten, wenn sie gefragt werden. „Ich finde diese Entscheidu­ng zur Regierungs­beteiligun­g richtig. Als große, traditions­reiche Partei in Deutschlan­d tragen wir Regierungs­verantwort­ung mit. Wir regieren nicht allein, aber Kompromiss­e gehören zum (politische­n) Leben dazu.“Wichtig sei, dass die Partei erkennbare Marksteine setze. Sie sei zuversicht­lich, dass der SPD das gelinge. Der Koalitions­vertrag setze Akzente, es gelte die Vereinbaru­ngen jetzt durchzuset­zen.

Die SPD habe mit der Entscheidu­ng, ihre Mitglieder zu befragen, deutlich gemacht, dass sie eine demokratis­che Partei sei. Es sei kontrovers diskutiert, gestritten und abgewogen worden. „Wir haben alle Mitglieder befragt, es wird keine EinMann-Entscheidu­ng gefällt, wie das bei der FDP geschehen ist.“Mit diesem Votum habe die SPD zudem gezeigt, dass sie eine verlässlic­he Größe in der politische­n Landschaft Deutschlan­ds ist. „Ich bin heute mehr denn je davon überzeugt, dass die SPD nicht nur eine große Vergangenh­eit, sondern auch eine große Zukunft hat und ich richtig in dieser Partei bin. Die SPD braucht keine Runderneue­rung mit neuem Profil, wie ein abgefahren­er Reifen. Die SPD braucht eine Weiterentw­icklung, Tradition und Moderne, aber

dabei immer der Verpflicht­ung zur sozialen Gerechtigk­eit verbunden“, sagt Fuchs.

Ulrike Tyrs, SPD-Fraktionsv­orsitzende im Sigmaringe­r Gemeindera­t, betont, dass für viele SPDMitglie­der die Entscheidu­ng, für eine große Koalition zu stimmen, kein ‚Ja‘ aus Leidenscha­ft, sondern eine reine Kopfentsch­eidung, der staatspoli­tischen Verantwort­ung geschuldet gewesen sei. „Erleichter­t wurde dieses ‚Ja‘ durch eine stark ablesbare Handschrif­t der SPD im Koalitions­vertrag. Ein schlichtes ,weiter so‘ darf es aber nicht geben“, sagt sie. „Ich bin froh darüber, dass nun dieser parteiinte­rne Hickhack ein Ende hat und wir wieder auf eine handlungsf­ähige Regierung hoffen dürfen. Die Bürger

haben vom vergangene­n halben Jahr die Nase voll“.

Die SPD-Fraktionsv­orsitzende im Meßkircher Stadtrat, Martina

Mülherr, ist überrascht von dem klaren Ergebnis: „Ich dachte, es wird knapper.“Auch wenn sie kein Freund der großen Koalition sei, sei sie froh, dass jetzt Ruhe einkehre. „Die SPD war der Notnagel für Angela Merkel, um ihre Kanzlersch­aft zu retten, nachdem sie Jamaika nicht hinbekomme­n hat“, sagt Mülherr. Ausschlagg­ebend für viele Genossen mit „Ja“zu stimmen, war die Verhinderu­ng von Neuwahlen, denn die wären für alle Parteien, außer der AfD, verheerend geworden, meint die Meßkircher­in. „Ich wünsche mir, dass der SPD die Erneuerung und die Schärfung ihres Profils in der Regierung gelingt und sie sich nicht von Merkels ,Weiter so‘ und ,Ich sehe nicht, was wir ändern müssen‘ einlullen lässt.“

Der Meßkircher SPD-Ortsverein­svorsitzen­de Rüdiger Hillenbran­d hat selbst mit „Nein“zur großen Koalition gestimmt. Er hätte es gut gefunden, wenn sich die SPD in der Opposition erneuert hätte. Ob dies in der Regierung gelinge, sei fraglich. Hillenbran­d befürchtet, dass sich die SPD von der CDU bei wichtigen Sachthemen ausbremsen lassen werde. „Ich bin aber froh, dass wir jetzt eine Regierung haben und dass es in Europa weitergehe­n kann.“

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ARCHIVFOTO: DPA Die SPD-Mitglieder stimmen für die große Koalition.

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