Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)
Opposition kritisiert Söders Zeitplan
Der designierte bayerische Ministerpräsident gewährt wohldosierte Einblicke hinter die Politikerfassade
MÜNCHEN (dpa/ sz) - Die bayerische Opposition kritisiert das CSUVorhaben, die Wahl von Markus Söder zum neuen Ministerpräsidenten um zwei Tage hinauszuzögern. So soll verhindert werden, dass Söder am Tag der Kanzlerinnenwahl in sein neues Amt gewählt wird – und er somit im Schatten von Berlin stünde. Auf der Seite Drei erfahren Sie, wie sich der neue bayerische Ministerpräsident politisch und persönlich gibt.
„Wenn sie bei meinem Anblick bellen, dann ist die Verkleidung gut.“ Markus Söder über die Reaktion seiner Hunde auf seine Faschingskostümierung „Mich nerven Politiker, die immer nur beschreiben, was man tun sollte, aber die Probleme nicht angehen.“ Söder über seine Berufsauffassung
DONAUWÖRTH - „Markus Söder tiefenentspannt“– so könnte die Veranstaltungsreihe des designierten bayerischen Ministerpräsidenten auch heißen. Der 51-jährige Franke sitzt zusammen mit dem Münchner Fernsehmoderator Ralf Exel an einem Tisch vor einer Kinoleinwand und erzählt aus seinem Leben: Wie er zur Politik kam, warum er mehr Geld für Palliativstationen ausgeben möchte, was seine Hunde mit seinen Faschingskostümen zu tun haben. Auf der Wand hinter den beiden Männern die dazu passenden Fotos: Der kleine Markus mit Mutter und Schultüte. Der jugendliche Markus mit seinem politischen Idol Franz Josef Strauß. Der erwachsene Markus Söder, als er noch CSU-Generalsekretär war. Wohlchoreografierte Nähe stellt sich zwischen ihm und dem Publikum ein – und das ist auch der Zweck der Übung. „Markus Söder persönlich“heißt der eigentliche Titel der Veranstaltungsreihe, die den Politiker in den kommenden Wochen und Monaten in weitere sechs bayerische Städte führen wird. Nicht nach München, Augsburg oder Erlangen, sondern in die Provinz. In Städte wie Donauwörth, Landshut und Ingolstadt, die gerne den Titel Mittel- und Oberzentrum tragen und denen sich der bayerische Heimatminister im Zuge der „Gleichwertigkeit der Lebensräume“ganz besonders verpflichtet fühlt.
Markus Söder ist pünktlich. Minuten vor dem eigentlichen Beginn der Veranstaltung steht er im Foyer des Kinos Cinedrom, umringt von hiesigen und auswärtigen Journalisten, die ihm Mikros unter und mit Kameras auf seine Nase halten. Just an diesem Tag wurde bekannt, dass Noch-Ministerpräsident Horst Seehofer erst mit Ablauf des 13. März sein Amt in Bayern niederlegen will – um einen Tag später in Berlin als Bundesinnen- und Heimatminister neu durchzustarten. Dieser Termin ist ein letzter Schienbeinhieb gegen Söder, könnte man vermuten. Denn der ungeliebte Nachfolger müsste sich nun eigentlich in der Landtagssitzung am 14. März als Landesvater zur Wahl stellen, parallel zur großen Regierungsshow in Berlin. Der Franke wird zwar an diesem Abend nicht müde zu betonen, dass die „Selbstbespiegelung“in der Politik zurückgefahren
werden müsse, aber eine Krönung im Schatten der Kanzlerinnenwahl wäre dann wohl doch zu viel des Guten – nach all den Jahren des Wartens auf das höchste Amt im Freistaat. Folglich will er seine Wahl auf eine Sondersitzung am 16. März verschieben. Die Botschaft ist klar: Von den Preußen lässt man sich in Bayern, selbst wenn man aus Franken kommt, den (!) Butter nicht vom Brot nehmen.
Eigentlich sollte es ja an diesem Abend gar nicht so hart politisch zugehen. Die menschliche Seite des Markus Söder soll und darf heute im Mittelpunkt stehen. Politische Standpunkte – beispielsweise zum Thema Zuwanderung – werden am Rande gestreift, mit ein paar Sätzen, denen kaum widersprochen werden kann. Es sei nicht nachvollziehbar, dass bayerische Bürger Tausende von Vorschriften erfüllen müssten, aber „bei abgelehnten Asylbewerbern das Recht nicht durchgesetzt werde“, sagt Söder etwa. Oder dass er ein Freund offener Grenzen sei, aber nur dann, wenn die Außengrenzen der Europäischen Union sicherer würden. Als Konsequenz will er in Bayern wieder eine eigene Grenzpolizei aufbauen und die Präsenz von Polizisten auf der Straße erhöhen – die seien durch Videoüberwachung nicht zu ersetzen. Solche Sätze kommen an im voll besetzten Kinosaal im bayerisch-schwäbischen Donauwörth. Immer wieder wird Söder sogar mit einer Art Szenenapplaus bedacht. Diejenigen, die hier sind, muss er offensichtlich nicht davon überzeugen, dass er, entgegen anderslautender Behauptungen, ein ganz feiner Kerl ist: mitmenschlich, demütig, fleißig, humorvoll, eben nicht zu „Schmutzeleien“(Seehofers Wortwahl) neigend. Es ist ein Heimspiel für ihn. Und Söder nutzt den Heimvorteil.
Wenn er erklären will, wie und warum er zur Politik gekommen ist, erzählt er aus seinen Kindertagen in der fränkischen Heimat. Von seinem Vater, dem Maurermeister, und seiner Mutter, die „Geschäft und Haushalt“zusammenhielt. Von einer ernüchternden Kurztätigkeit auf dem Bau, von seiner Erkenntnis „zwei linke Händ‘ und ein loses Mundwerk“zu haben, was ihn nahezu zwangsläufig in die Politik gebracht habe. Und er schwärmt von seinem großen Vorbild Franz Josef Strauß, den er mit FJS-Anstecker und Poster im Jugendzimmer verehrt habe.
Palliativmedizin honorieren
Auch seine verstorbenen Eltern sind Teil der Markus-Söder-kann-auchempfindsam-Vorstellung. Wie „wuchtig“ihn der Tod seiner Mutter drei Wochen vor seiner ersten Landtagswahl getroffen habe, wie berührend es für ihn gewesen sei, dass eine Schwester auf der Palliativstation seinem Vater die Hände gehalten habe, obwohl dieser nach einem Herzinfarkt nicht mehr zu Bewusstsein gekommen sei. Deshalb wolle er als künftiger Ministerpräsident eine „helfende Hand“genauso honorieren wie den Einsatz moderner Technik in der Medizin. Seine eigene Familie bemüht er, um dem Publikum klarzumachen, dass er schon wisse, was für die Menschen in Bayern wirklich wichtig ist: nicht eine abstrakte Nachricht vom Brexit, für den sich die Briten gerade entschieden haben, sondern die Pausenbrote für die Kinder, die gleich zur Schule müssen. Und dass er über seine Frau, mit der er drei Kinder hat (ein weiteres stammt aus einer früheren Beziehung), zum Hundeliebhaber geworden sei. Dabei spielten die Hunde auch eine wesentliche Rolle in der Beurteilung seiner bekanntlich sehr aufwendigen Faschingskostüme. „Wenn sie bei meinem Anblick bellen, dann ist die Verkleidung gut“, sagt Söder in einem ruhigen, freundlich-humorvoll wirkenden Ton, den er den ganzen Abend über beibehält.
Markus Söder gibt den neuen Landesvater. Einen ausgeglichenen Mann von 51 Jahren, der in einem kurzen Gebet und in seinem evangelisch-lutherischen Glauben Halt findet. Für den jedes Fest mit Bürgermeistern und normalen Menschen in Bayern allemal wichtiger ist als Hintergrundgespräche in Berlin. Vorbei die Zeiten, in denen er als CSU-Generalsekretär nur einen Modus kannte – und der hieß Attacke, auch wenn es wehtat. Vorbei die Jahre, in denen er in seinen verschiedenen Ministerposten – Europa, Umwelt, Finanzen – unter Günther Beckstein und Horst Seehofer keinen schonte, der ihm in seinem Streben nach Macht in die Quere kam. Als großer Netzwerker und Strippenzieher war Söder innerhalb der CSU zwar immer schon geachtet, vielleicht sogar gefürchtet, aber ein freundliches Wort über ihn war und ist selten zu hören. Über sein Verhältnis zu den Parteifreunden meint er: „Ich kann nicht sagen, dass ich einen Feind in der Partei gehabt hätte. Man hat sich gestritten, ich habe meistens gewonnen.“
Das Zerwürfnis mit dem bisherigen Amtsinhaber Seehofer, das nach dem schlechten Abschneiden bei der Bundestagswahl im September über Wochen und Monate die Außenwahrnehmung der CSU bestimmte, bleibt an diesem Abend ein Nebenaspekt. „Wir haben es ganz gut hinbekommen“, sagt Söder dazu. Künftig sei Seehofer in Berlin, er in München – „und das ist auch gut so“. Das meine er aber natürlich nicht irgendwie abwertend, sondern rein auf die Sache bezogen. Da blitzt sie wieder durch, die Södersche Taktik, Dinge zu sagen, mit denen er beim wohlgesonnenen Publikum punkten kann – die er aber gar nicht so gemeint haben will. Für den Juristen und früheren Redakteur beim Bayerischen Rundfunk sind seine Sprache und Sätze Strategie – er weiß ganz genau, was er sagen muss, um eine bestimmte Wirkung zu erzielen.
Am Montagabend erzeugt Söder knapp 95 Minuten lang Harmonie und ein Politiker-zum-Anfassen-Gefühl im Cinedrom in Donauwörth. Dass es dabei ausschließlich um ihn, seine Weltsicht, seinen Blick auf Bayern und die Politik geht, scheint niemanden zu stören. „Selbstbespiegelung“, die er selbst als schlechte Politikereigenschaft kritisiert hat, erkennt darin offensichtlich niemand.
„Mich nerven Politiker, die immer nur beschreiben, was man tun sollte, aber die Probleme nicht angehen“, sagt Söder nach seinen Zukunftsplänen befragt. Nach dem Stabswechsel in der Staatskanzlei wolle er nicht warten, „sondern tun“. Dazu gehören eine Regierungserklärung, an der er seit der Jahreswende arbeite, und eine Kabinettsumbildung – da sei er noch nicht so weit. Sein politisches Ziel formuliert der künftige Ministerpräsident ganz klar: Bayern noch besser und großartiger zu machen, als es ohnehin schon sei. Das Publikum bedankt sich mit einem freundlichen und warmen Schlussapplaus.
Ob ihn Markus Söder persönlich überzeugt hat? Diese Frage findet ein großer, stattlicher Bayer mit langem Bart, Janker und Leserhosen fast „indiskret“. Geduldig hat er sich in die Schlange vor dem künftigen Ministerpräsidenten eingereiht, um sich von ihm ein Foto signieren zu lassen. „Jeder, der hier ist, findet den Söder gut“, sagt er dann aber doch. „Sonst kommt man doch gar nicht.“