Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)
„Der Winter spielte sich in unserer Küche ab“
Krieg und Besatzungszeit in Inzigkofen aus Lehrer- und Schülersicht
INZIGKOFEN – In einer beeindruckenden zweieinhalbstündigen Lesung haben Doris Futterer und Frank Fröhlich die Kriegs- und Besatzungszeit in die heutige Zeit geholt. Die Perspektive des aus Schlesien gekommenen und 1890 geborenen Lehrers Heinrich Ronge wurde in der Ortschronik festgehalten. Die Erinnerungen des 1932 geborenen und im letzten Jahr verstorbenen Erwin Pfeifer sind aus der Sicht des damaligen Schülers, für den der Krieg eine Art Abenteuerspielplatz war und in der Nachkriegszeit die Deutschen vor allem die Verlierer, geschrieben. Ohne historische Einbindung ein schwieriges Thema.
Für das Bildungswerk Inzigkofen begrüßte Archivar und Historiker Edwin Ernst Weber die zahlreich erschienenen Zuhörer: „Wir profitieren heute vom landesgeschichtlichen Interesse des Fotografen und Zeitzeugen Erwin Pfeifer und sind dankbar, dass Doris Futterer ihn interviewt hat.“Es war die dritte Lesung von Futterer und die erste, bei der Pfeifer nicht mehr selbst dabei sein konnte. Noch kurz vor seinem Tod besprach er mit ihr die Präsentation und welche Passagen auf jeden Fall reinkommen sollten. Damit die Erinnerungen zeitlich genauer verankert werden konnten, zog sie die Schulchronik hinzu. Frank Fröhlich hat eine Passion für die Inzigkofer Ortschronik und arbeitete auch das Bildmaterial auf. Er lieh seine Stimme dem Lehrer und Chronisten Ronge, über den der Schüler Pfeifer sagte: „Er konnte die Schüler nur durch Verhauen und Schlagen zur Raison bringen.“
Reflexionen des Erzählers bleiben weitgehend aus
Pfeifer erzählt aus frühen Kindertagen und weckt damit sogleich eigene Erinnerungen beim Publikum: „Der Winter spielte sich in unserer Küche ab. Die Stube war fast nie eingeheizt. Zum Schlittenfahren gingen wir zum Schlossbühl.“Die Veränderungen wurden offensichtlich nicht wahrgenommen: „Wir waren ja Kinder und haben die politischen Zusammenhänge nicht so zur Kenntnis genommen.“Nach dieser Eingangsüberlegung bleiben die Reflexionen des Erzählers weitestgehend aus. Er wollte offensichtlich aus der Zeit heraus erzählen. Und da war und blieb die Kriegszeit ein großes Abenteuer, in der man „Soldateles spielen“konnte, in der die Maifeier beeindruckte oder die Hitlerjugend, in die alle Jungs mit zehn Jahren kamen.
Pfeifer erzählt aus kindlicher Perspektive von Matruschka, die – wie in der Chronik beschrieben – mit einem „OST“-Aufkleber gekennzeichnet wurde. Das ärmlich gekleidete Mädchen aus Russland, das im Haushalt helfen musste, wusste nicht, dass eine Bettdecke zum Zudecken genutzt werden kann. Nach dem Krieg kam sie und zeigte anderen, in welchem Keller Kartoffeln zu holen waren und Pfeifer erinnert sich, dass die Mutter über deren „aggressives Auftreten recht enttäuscht“war. Indirekt erfährt der Leser so ein wenig über die Zwangsarbeiter, aber auch über „die Zigeuner“, von Pfeifer später „Sinti und Roma“genannt. Er erzählt, dass sie regelmäßig kamen und die Mutter und andere Frauen dann alle Türen schlossen, weil sie um ihr Hab und Gut fürchteten. Dass diese Kinder, die immer wieder für drei Tage die Schule besuchten, auf einmal gänzlich verschwunden waren, wunderte anscheinend niemanden.
Der Krieg spielte sich für Erwin vor allem am Himmel ab. Als „endlich ein großer Flieger abgeschossen“wurde, war dies ein „feurigschönes Erlebnis“. Der Lehrer bezeichnet die Flugzeuge als „Bombenterror“, aber auch als „schauerlichschönen Anblick“. Konkrete Erinnerungen verbindet Pfeifer mit dem Kriegsende, das im „Frontdorf Inzigkofen“mit dem Einzug der Besatzungssoldaten und gleichzeitiger Flucht der deutschen Soldaten am 22. April 1945 kam. Während Pfeifer sich erinnert, dass „mit dem Umsturz 1945 schlechte Zeiten kamen“, notiert Ronge: „Der große Krieg endet mit der Niederlage Deutschlands.“
Futterer hat bewusst in die Erzählungen Pfeifers nicht mit Fragen eingegriffen. So blieb – wie beim Chronisten, der die Tragweite der deutschen Politik nicht reflektierte – allein das, was in Inzigkofen geschah. Zusammengedacht mit dem historischen Kontext und der Diskussion um die Verantwortung ist dies fast erschreckend. Und doch ein wichtiger Mosaikstein der Geschichte.