Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)
Debatte in Bingen: Die meisten Anwesenden wollen unechte Teilortswahl
Bei der Einwohnerversammlung in der Sandbühlhalle diskutieren rund 100 Bürger über Gemeinderatsbeschluss
BINGEN - Warum etwas abschaffen, das sich bewährt hat und funktioniert? Diese Frage trieb viele der 100 Binger Bürger um, die am Donnerstagabend zur Einwohnerversammlung in die Sandbühlhalle gekommen sind. Thema war die unechte Teilortswahl, die der Gemeinderat vergangenen November abgeschafft hatte und über die er nach einem zulässigen Einwohnerantrag in seiner nächsten Sitzung am 19. März erneut abstimmen wird. Nach etwas zögerlichem Beginn entwickelte sich eine engagierte Diskussion.
Bürgermeister Jochen Fetzer hatte eine umfangreiche Präsentation vorbereitet, mit deren Hilfe er eingangs das Für und Wider der unechten Teilortswahl beleuchtete. Anschließend hatte Walter Füss als Mitinitiator des Einwohnerantrags das Wort, bevor Gemeinderat Walter Enz erklärte, warum er das Thema im Gemeinderat auf die Tagesordnung gebracht hatte. „In den Teilorten von Bingen gibt es keine Ortschaftsräte und Ortsvorsteher“, sagte Füss. „Wir Unterzeichner des Einwohnerantrags halten den mit nur schwacher Mehrheit gefassten Beschluss für falsch und legen größten Wert darauf, dass die bisher garantierten Sitze im Gemeinderat auch weiterhin garantiert werden.“Füss äußerte sein Unverständnis für den Umstand, dass ein „funktionierendes und bewährtes System“abgeschafft wurde. „Das Verhältnis der gewählten Gemeinderäte, wie es rund 45 Jahre Bestand hatte, war ausgewogen und auch die kleineren Ortsteile gebührend vertreten.“
Walter Enz erklärte, dass die Integration der Ortsteile „zu 100 Prozent abgeschlossen ist“– zumindest im Gemeinderat. „Ich bin seit 25 Jahren im Rat, und da spielt Teilortsdenken keine Rolle“, sagte er. Stattdessen gehe es immer um die Interessen der Gesamtgemeinde, und „die Interessen eines Teilorts vertritt nicht der Vertreter des Teilorts, sondern der gesamte Gemeinderat“. Kein Teilort werde abgehängt.
In der anschließenden Diskussion wurde deutlich, dass überwiegend Anhänger der unechten Teilortswahl anwesend waren. Fürsprecher des Gemeinderatsbeschlusses gab es lediglich aus den Reihen des Gemeinderats selbst. Ein Bürger aus Hornstein meldete sich als Erster zu Wort. „Es muss doch im Interesse der Gemeinde sein, das Stimmungsbild aus den Ortsteilen zu kennen“, sagte er. „Also ist es wichtig, dass da auch einer sitzt.“Jochen Fetzer entgegnete: „Wer uns nicht kennt, könnte nicht zuordnen, wer im Gemeinderat woher kommt.“
Mehrere Mitglieder des Gemeinderats nutzten die Gelegenheit, ihr jeweiliges Abstimmungsverhalten vom November zu erklären. Tobias Ströbele, der gegen die Abschaffung der unechten Teilortswahl votiert hatte, fühlte sich bestätigt. „Die Integration soll abgeschlossen sein, das ist aber nicht der Fall. Ich hoffe, dass der ein oder andere Gemeinderat nochmal in sich geht.“Auch Stefan Baur ist ein Befürworter der unechten Teilortswahl: „Die Vertreter aus den Ortsteilen sind einfach näher bei den Leuten“, sagte er. „Die Bürger sollten einen direkten Ansprechpartner haben, den sie ab und zu auch zu Gesicht kriegen.“
Horst Arndt hatte für die Abschaffung gestimmt, „weil ich Schaden abwenden wollte“, wie er sagte. Viele junge Leute zögen nach Hochberg, aber niemand kandidiere für den Rat, weil er es ja tue. „Ich wollte verhindern, dass nur einer aufgestellt ist und dann im Zweifelsfall niemand da ist, der nachrücken kann.“Das Schlimmste aber sei die Vorstellung, dass sich jemand nicht aufstellen lasse, obwohl er motiviert sei.
Auch Sabine Grom verteidigte den Gemeinderatsbeschluss: „Bloß weil etwas Altes gut ist, heißt das doch nicht, dass etwas Neues nicht vielleicht noch besser ist“, sagte sie. Ihrer Meinung nach nehmen sich potenzielle Kandidaten aus einem Ortsteil bei der unechten Teilortswahl unnötigerweise gegenseitig die Stimmen weg. Frank Müller hatte für die Abschaffung der unechten Teilortswahl gestimmt, „weil es immer weniger Kandidaten gibt“. Er appellierte an alle, sich aufstellen zu lassen. „Sonst ist es irgendwann keine Wahl mehr, sondern nur noch ein Abnicken der Listen.“
Der frühere Gemeinderat Eugen Deschler sagte, dass er dafür sei, den Beschluss zurückzunehmen. „In der Gemeinde ist durch den Beschluss so eine Unruhe und Unzufriedenheit entstanden, das ist eigentlich gar nicht zu vertreten.“Anton Kanz aus Hochberg bezweifelte „zu 100 Prozent, dass wir jemals zwei Hochberger nach Bingen bringen. Den Traum träume ich nicht“. Er betonte, dass es auch „ein Gefühl der Geborgenheit und Vertretenheit“gebe, und das hänge eng mit Zufriedenheit zusammen. „Wenn ich mich vertreten fühle, ist es gut. Wenn ich zweifle, werde ich unzufrieden. Also lasst es doch bitte beim Alten.“
Die Stimmung im Saal spiegelte am Ende auch eine Blitzumfrage wider: Alle Anwesenden waren aufgerufen, auf einem Wahlzettel abzustimmen. Dem Bürgermeister war daran gelegen, ein Stimmungsbild einzufangen, auch wenn es nicht repräsentativ war. Zwei seien nicht eindeutig ausgefüllt gewesen, teilte Fetzer am Freitag mit. Von den 80 übrigen „Wählern“sprachen sich 70 für und lediglich zehn gegen die unechte Teilortswahl aus.
„Die Bürger sollten einen direkten Ansprechpartner haben“, sagt Gemeinderat Stefan Baur.