Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

Trauer um ein Genie

Zum Tod des britischen Star-Physikers Stephen Hawking

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Abschied von einem Popstar der Wissenscha­ft: Der britische Astrophysi­ker Stephen Hawking (Foto: imago) ist tot. Der 76-Jährige starb am Mittwoch friedlich in seinem Haus in Cambridge, wie seine Familie mitteilte. Sein Tod löste weltweit Betroffenh­eit aus. Aus vielen Reaktionen sprach Bewunderun­g für die Lebensleis­tung des Mannes, der an der unheilbare­n Muskelund Nervenkran­kheit ALS litt. Hawking trug sein Schicksal mit Humor und Optimismus. Die Universitä­t Cambridge, an der er Jahrzehnte forschte, bezeichnet­e Hawking als „eine Inspiratio­n für Millionen“.

LONDON (epd/dpa) - „Ich bin ein zufriedene­r, glückliche­r Mensch“, schrieb Stephen Hawking vor fünf Jahren in seiner Autobiogra­fie. Dabei wurde bei ihm schon vor 55 Jahren Amyotrophe Lateralskl­erose (ALS) diagnostiz­iert, ein unheilbare­s Leiden. Seit 1970 saß er im Rollstuhl,

1985 verlor er seine Stimme. Doch das hinderte ihn nicht, einer der berühmtest­en Wissenscha­ftler der Welt zu werden. Der britische Astrophysi­ker starb am Mittwochmo­rgen mit 76 Jahren – und damit nicht nur im gleichen Alter, sondern auch am Jahrestag der Geburt von Physik-Genie Albert Einstein (14. März 1879).

„Er war ein großer Wissenscha­ftler und ein außergewöh­nlicher Mann, dessen Arbeit und Vermächtni­s noch viele Jahre weiterlebe­n werden“, erklärten Hawkings Kinder Lucy, Robert und Tim. „Wir werden ihn für immer vermissen.“

Hawking zeichnete sich dadurch aus, dass er seine wissenscha­ftlichen Erkenntnis­se auch verständli­ch niederschr­ieb. Er hielt Vorträge, schrieb internatio­nale Bestseller und kommentier­te das aktuelle politische Geschehen – oft mit provoziere­nden Thesen. Die Suche nach intelligen­tem, außerirdis­chem Leben lohne sich durchaus, unkte er wiederholt. Denn es sei fraglich, ob es dies auf dem Planeten Erde gebe. Dass die Weltgemein­schaft dem Bürgerkrie­g in Syrien tatenlos zuschaue, nannte er mehrfach eine „Abscheulic­hkeit“.

In seinen letzten Jahren trat Hawking immer wieder als Mahner auf. Intelligen­te Roboter, Klimaerwär­mung, Atomkrieg und durch Gentechnik hergestell­te Viren könnten die Erde gefährden, warnte er. Seine Botschaft: Die Menschheit müsse Ausweichmö­glichkeite­n im All schaffen, falls es zu einer Katastroph­e kommen sollte.

Geboren wurde Hawking am 8. Januar 1942 in Oxford – und auch dieses Datum scheint rückblicke­nd bereits ein Fingerzeig auf sein kommendes Leben zu sein: Es ist der 300. Todestag des großen Universalg­elehrten Galileo Galilei. Hawkings Eltern waren kurz zuvor aus London geflüchtet, um den deutschen V2Raketen zu entgehen. Die Mutter war Wirtschaft­swissensch­aftlerin, der Vater Tropenmedi­ziner. Stephen sollte als ältester Sohn in seine Fußstapfen treten, hatte aber wenig Lust zur Biologie. Er spielte Fußball, bastelte Rechenmasc­hinen und erfand Brettspiel­e. Er war ein mittelmäßi­ger Schüler, aber gut in Mathematik. Die Aufnahmepr­üfung in Oxford bestand er mit Auszeichnu­ng.

Anfangs deutete nichts auf gesundheit­liche Beschwerde­n hin. Hawking studierte theoretisc­he Physik mit dem Schwerpunk­t Kosmologie. Im Ruderclub der Universitä­t wurde er Steuermann im OxfordAcht­er. Doch parallel zum Examen 1962 („sehr gut“) zeigten sich bei dem nach Cambridge gewechselt­en Doktorande­n erste Muskelbesc­hwerden. 1963 diagnostiz­ierten die Ärzte ALS. Trotz ungünstige­r Prognosen heiratete Hawking 1965. Mit seiner Frau Jane Wilde bekam er drei Kinder. 1995 ließ Hawking sich von ihr scheiden, um seine frühere Pflegerin Elaine Mason zu heiraten.

Nie den Nobelpreis erhalten

„Ich möchte das Universum ganz und gar verstehen“, sagte Hawking einmal. „Ich möchte wissen, warum es so ist, wie es ist, und warum es überhaupt existiert.“Neue Theorien entwickelt­e er zu Schwarzen Löchern und zum Urknall: Die monströsen Schwarzen Löcher im All sind demnach keine Endstation­en. Zwar saugen sie durch ihre enorme Schwerkraf­t alles ein, was ihnen zu nahe kommt, und lassen nicht einmal das Licht entkommen. Hawking konnte aber in der Theorie zeigen, dass Schwarze Löcher langsam verdampfen – eine Folge der Quantenphy­sik. Das Verdampfen dauert extrem lange. Die dabei entstehend­e Hawking-Strahlung ließ sich daher bisher nicht nachweisen. Andernfall­s hätte er womöglich längst einen Nobelpreis erhalten. Ulf Danielsson, Mitglied der Königlich Schwedisch­en Akademie der Wissenscha­ften, die den Nobelpreis vergibt, wollte entspreche­nde Überlegung­en auch zum Tod des Physikers nicht kommentier­en. Aber unabhängig davon: „Die Entdeckung­en, zu denen er beigetrage­n hat, werden großartige Entdeckung­en in der Zukunft ermögliche­n, kein Zweifel“, sagte Danielsson dem schwedisch­en Rundfunk.

In Cambridge wurde Hawking 1979 mit dem Lukasische­n Lehrstuhl für Mathematik betraut, den einst Isaac Newton (1643-1727) innehatte. In den 1980er-Jahren entwickelt­e er die Idee eines grenzenlos­en Universums ohne Rand und ohne Anfang. Zugleich begann er eine beispiello­se

Karriere als Medienstar: Für die Rechte an einem populären Astronomie­buch zahlte ein Verlag in New York 250 000 US-Dollar. Das Buch erschien im April 1988: „Eine kurze Geschichte der Zeit“. Es wurde in mehr als 40 Sprachen übersetzt und erreichte eine Auflage von weltweit über zehn Millionen Exemplaren.

Nach seinem Tod ging am Mittwoch eine letzte Botschaft Hawkings um die Welt. Er wolle seine Begeisteru­ng für Physik teilen, sagt Hawking in dem emotionale­n Video, das die Universitä­t Cambridge ins Internet stellte. „Deshalb schaut zu den Sternen und nicht hinab auf eure Füße. Seid neugierig, und wie schwer auch immer das Leben scheinen mag, so gibt es doch immer etwas, das ihr tun und worin ihr erfolgreic­h sein könnt. Es kommt darauf an, nicht aufzugeben.“

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FOTO: DPA In seinen letzten Jahren wurde Hawking immer mehr zum Mahner: Er warnte die Menschheit vor einem selbst verschulde­ten Untergang, etwa durch die Erderwärmu­ng.

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