Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)
Villingendorf-Prozess startet dramatisch
Beim Prozessauftakt zum Dreifachmord kommen erschütternde Einzelheiten zur Sprache – Angeklagter schweigt
ROTTWEIL (dpa) - Zum Start des Prozesses um das Familiendrama von Villingendorf mit drei Toten ist ein Notruf der Mutter des getöteten Kindes abgespielt worden. Angeklagt ist ihr Ex-Partner. Der 41-Jährige muss sich am Landgericht Rottweil wegen dreifachen Mordes verantworten. Er soll im September 2017 seinen Sohn (6), den neuen Freund der Ex-Partnerin sowie dessen Cousine erschossen haben.
ROTTWEIL - Auf diesen Moment warten alle gespannt. Wird der Angeklagte endlich reden? Was wird er sagen? Eiskalt hat Drazen D. nach Überzeugung des Staatsanwalts im vergangenen September – vollgepumpt mit dem Gift der Eifersucht und der Rache – sein eigenes Kind, einen sechsjährigen Sohn, seinen Nebenbuhler (34) und dessen Cousine (29) erschossen. Bis heute, ein halbes Jahr danach, hat er gegenüber den Ermittlern jede Aussage verweigert.
An diesem Freitagmorgen wird er, gefesselt an Händen und Füßen, von Polizisten in den voll besetzten Saal des Landgerichts Rottweil geführt. Drazen D. kommt gebeugt herein – weniger aus Scham, vor allem, um sein Gesicht vor den Fotografen in der Trainingsjacke zu vergraben.
Als Kameras und Mikrofone ausgeschaltet sind, sitzt Drazen D. äußerlich entspannt auf der Anklagebank, umrahmt von zwei Pflicht-Verteidigern. Auf der Gegenseite haben fünf Anwälte Platz genommen, die Vertreter der Opfer, darunter die Ehefrau des getöteten Mannes mit drei Kindern. Den Gang zum Prozess hat sich aber nur die Schwester des männlichen Opfers zugemutet. Immer wieder weint sie still vor sich hin.
Sicherheit wird großgeschrieben
Es ist ein Prozess, der Sprengkraft in sich birgt. Davon zeugt allein die „sitzungspolizeiliche Verfügung“der Schwurgerichtskammer im Vorfeld. Darin sind auf sieben Seiten bis in letzte Details Maßnahmen zur Ordnung und Sicherheit festgelegt. Anlass gibt unter anderem die Tatsache, dass hier zwei unterschiedliche Kulturkreise aufeinander prallen: Der mutmaßliche Täter ist gebürtiger Kroate, die Opfer sind Russlanddeutsche. Der Angeklagte Drazen D.
Der Moment ist gekommen, an dem der Angeklagte sein Schweigen brechen soll. „Nein“, sagt er leise, „ich mache im Moment keine Angaben.“Umso unmissverständlicher fällt die Anklage von Oberstaatsanwalt Joachim Dittrich aus: Die frühere Lebensgefährtin hatte sich bereits im Februar 2017 vom Vater des gemeinsamen Sohnes getrennt, im März wegen dessen Gewalttätigkeiten Schutzmaßnahmen erwirkt und wenig später ein gerichtliches Kontaktverbot durchgesetzt. Sie zog von Tuttlingen nach Villingendorf und glaubte sich sicher.
Drazen D. aber fühlte sich schwer gedemütigt, auch weil er seinen Sohn nicht mehr sehen durfte. Er fuhr nach Kroatien, kaufte sich ein Gewehr, machte den Wohnort ausfindig und begab sich am Abend des 14. September nach Villingendorf, wo eine fröhliche Runde die Einschulung des Sohnes feierte. Drazen D. trat unvermittelt aus der Dunkelheit auf die Terrasse, sagte „Schönen Abend“und feuerte mit dem Gewehr auf seinen Nebenbuhler und dessen Cousine. Dann ging er ins Wohnzimmer. Der Staatsanwalt weiter: „Dort gab er aus nächster Nähe drei Schüsse auf seinen Sohn ab.“Im Hinausgehen schoss er ein weiteres Mal auf den am Boden liegenden Partner seiner früheren Lebensgefährtin.
Nach Überzeugung des Anklägers war es kein Zufall, dass Drazen D. sie verschonte: Er habe sie bewusst nicht getötet, um sie nach dem Verlust des gemeinsamen Sohnes, des neuen Freundes und dessen Schwester für den Rest des Lebens leiden zu lassen.
Bei der Polizei gingen mehrere Notrufe ein. Das Gericht lässt die Aufnahmen an diesem ersten Prozesstag abspielen. Zu hören ist unter anderem die völlig aufgelöste und unter schwerem Schock stehende Frau, die zu einem Nachbarn geflüchtet und kaum fähig ist, auf die Fragen des Beamten am Telefon Auskunft über die Lage zu geben, und immer wieder schluchzt: „Mein Sohn, mein Sohn ...“
Ein Polizist, der als einer der Ersten an den Tatort kam, berichtet, wie er in der Wohnung nach einem dreijährigen vermissten Kind gesucht
Eine Polizeibeamtin
hat. Er fand das Mädchen zusammengekauert, aber äußerlich unverletzt in der Duschwanne eines kleinen Baderaums. Es ist die Tochter der Cousine, die fast zur gleichen Zeit im Rottweiler Krankenhaus ihren schweren Schussverletzungen erlag. Ihr Mann entrann wohl nur dem Tod, weil er zur Tankstelle gefahren war, um Nachschub für die Feier zu holen.
Eine Kollegin des Polizisten berichtet sehr deutlich, sachkundig, ausführlich und mit sehr fester Stimme von der unübersichtlichen und bestürzenden Situation. „Aber es hat keiner damit gerechnet, dass da eine Kinderleiche liegt“, sagt sie. Und: „Wer ein Kind erschießt, hat auch sonst keine Skrupel.“Als Karlheinz Münzer, der Vorsitzende Richter, fragt, ob sie psychische Probleme habe, versagt der Frau, die soeben noch so tapfer von ihrem schweren Dienst berichtet hat, plötzlich die Stimme, sie beginnt still zu weinen. Als sie sich wieder gefasst hat, sagt sie: „Das hat mich als Mensch, als Frau und als Polizistin verändert.“
Der Angeklagte registriert das alles äußerlich unbeteiligt. Bernhard Mussgnug, sein Verteidiger, sagt im Gespräch mit der „Schwäbischen Zeitung“, sein Mandant sei zum Prozessauftakt unter großem Druck gestanden, was die Gefahr von missverständlichen Äußerungen und zusätzlichen Emotionen erhöht hätte. Drazen D. werde im Lauf des Prozesses Angaben zu seiner Person machen. Ob er sich inhaltlich äußere, hänge vom weiteren Verlauf ab.
Der Prozess wird am 4. April fortgesetzt.
„Nein, ich mache im Moment keine Angaben.“
„Wer ein Kind erschießt, hat auch sonst keine Skrupel.“
Ein Video zum Prozessauftakt finden Sie unter www.schwäbische.de/ villingendorf