Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)
Solidarität mit London
Mehrere EU-Staaten, die USA und Kanada weisen russische Diplomaten aus
BERLIN - Der Westen macht Ernst. Mehrere EU-Staaten, die USA und Kanada stellen sich hinter London und zeigen Russland nach dem Giftgasanschlag auf den Ex-Agenten Sergej Skripal im britischen Salisbury die diplomatischen Zähne. Zu einem „Signal der Solidarität mit Großbritannien“erklärt Bundesaußenminister Heiko Maas (SPD) die Ausweisung von vier russischen Diplomaten aus Deutschland. Auch andere europäische Länder ziehen mit und gehen auf scharfen Konfrontationskurs zu Kreml-Chef Wladimir Putin.
Mehr als 20 Staaten– unter ihnen die USA und die Mehrzahl der EUMitglieder – forderten mehr als 110 russische Diplomaten zur Ausreise auf. Die USA schicken 60 Geheimdienstmitarbeiter außer Landes und schließen ein russisches Konsulat. Die Ukraine weist 13, Kanada vier, Albanien zwei russische Diplomaten aus. Zuvor hatte Großbritannien 23 Diplomaten zur Ausreise aufgefordert. Der Salisbury-Anschlag weitet sich damit zur ernsten Krise aus, ein Rückfall in die Zeiten des Kalten Krieges rückt immer näher. Die Entscheidung zur Ausweisung der vier Diplomaten aus Deutschland sei „nicht leichtfertig“getroffen worden, betont Maas. Er begründet die Maßnahme auch mit der jüngsten Cyber-Attacke gegen das geschützte IT-System der Bundesregierung, das sich „nach bisherigen Erkenntnissen mit hoher Wahrscheinlichkeit russischen Quellen zurechnen lässt“.
Maas zeigt sich offen für Dialog
Für den neuen deutschen Chefdiplomaten wird die Russlandkrise zur ersten großen Bewährungsprobe. Kann er dazu beitragen, die Eskalation zu stoppen, ein komplettes Zerwürfnis mit Putin noch abzuwenden? „Wir sind offen für einen konstruktiven Dialog mit Russland, der zu vielen internationalen Themen notwendig bleibt“, betont Maas. Zugleich geht er mit Moskau hart ins Gericht: Die Salisbury-Attacke „hat uns alle in der Europäischen Union erschüttert“, so die Erklärung des Außenministers weiter. „Zum ersten Mal seit Ende des Zweiten Weltkriegs wurde mitten in Europa ein chemischer Kampfstoff eingesetzt.“Er verweist auf die Erklärung des EU-Gipfels vom Freitag, wonach die russische Verantwortung „in hohem Maße wahrscheinlich“sei und es „keine andere plausible Erklärung gibt“.
Russland steht am Pranger des Westens, weil Putin bislang nicht zur Aufklärung des Falls beigetragen hat. Nun droht Moskau mit Gegenmaßnahmen: „Es versteht sich von selbst, dass der unfreundliche Schritt der Ländergruppe nicht folgenlos bleiben wird“, heißt es aus dem russischen Außenministerium. Moskau wirft Europäern und Amerikanern vor, diese folgten „blind dem Grundsatz der euroatlantischen Einheit entgegen des gesunden Menschenverstandes“.
Kanzlerin Angela Merkel (CDU) hatte sich schon vergangene Woche eng mit der britischen Premierministerin Theresa May und Frankreichs Präsident Emmanuel Macron abgestimmt und für eine „starke gemeinsame Botschaft der Europäer“eingesetzt. Bislang hatte sie trotz der vielen Verwerfungen – vom SyrienKrieg bis zur Krim-Annexion – stets einen Draht zu Putin gehalten.
Die Große Koalition – geschlossen gegen Putin? Nicht ganz: SPDFraktionsvize Rolf Mützenich wirft Parteifreund Maas einen „übereilten“Schritt vor, der „den politischen Kriterien, die an den Giftanschlag Skripal angelegt werden sollten, nicht gerecht wird“.
Härtere Worte findet die Linke. Fraktionschefin Sahra Wagenknecht kritisiert, Maas habe sich von „schlichtem Unverstand“leiten lassen, weil die russische Täterschaft nicht erwiesen sei.