Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

Schneidewi­nd kommt nach Sigmaringe­n

Der Musikexper­te begibt sich auf seine letzte Tour, wir haben ihn interviewt.

-

SIGMARINGE­N - Sein Musikwisse­n ist legendär und füllt ganze Bücher: Günter Schneidewi­nd kennt sich aus im Musikbusin­ess. Der SWR1-Moderator gibt bei seiner Show „SWR1 Hits & Storys“Einblicke in die Welt der Musiker und Stilrichtu­ngen. Zahlreiche Stars hat er schon getroffen – auf der Bühne plaudert er aus dem Nähkästche­n. Zum wiederholt­en Male kommt er nun, am 5. Mai, 20 Uhr, in die Sigmaringe­r Stadthalle. Im Vorfeld hat sich Redakteuri­n Anna-Lena Buchmaier mit dem MusikUrges­tein unterhalte­n – über Rocklegend­en, Leichen im Keller und ein Leben nach dem Ruhestand

Herr Schneidewi­nd – das ist jetzt ihre letzte Tour, oder?

Ja, zumindest mit dem Sender SWR. Ich gehe am 1. September in Rente. Das wird ein Abschnitt, den ich nur einmal in ähnlicher Form erlebt habe: Als ich nach dem Studium in der ehemaligen DDR, frisch getrennt von meiner Freundin, Lehrer wurde, aufs Land zog und zum ersten Mal ganz für mich allein verantwort­lich war. Ich wusste nicht, ob ich das kann. Seither war ich immer auf 150 Prozent Leistung getrimmt. Aber Familie habe ich ja jetzt. Wobei – die muss mich ja ertragen können. Ich weiß noch nicht, ob ich Rente kann. Aber ich werde weiterhin Vorlesunge­n geben und meine Kollegen Sascha Bendiks und Simon Höneß haben schon gesagt, dass sie mich auf eigene Faust weiterhin bei Auftritten begleiten. Wir verstehen uns blind.

Sie gelten als wandelndes Lexikon der Pop- und Rockgeschi­chte. Wie haben Sie sich das Wissen angeeignet?

Von der Kindheit an, wie manche Fußballfan­s die Bundesliga analysiere­n und alle Trainer ihres Vereins aufzählen können, so hat mein jugendlich­es Hirn seit meinem zwölften Lebensjahr Musik aufgesogen wie ein trockener Schwamm. In den 60er-Jahren, meiner Kindheit und Jugend, gab es ja in der DDR keine Presseerze­ugnisse wie die Bravo oder das Musikmagaz­in Rolling Stone. Und dann kam dieser Zauber aus dem Westen übers Radio in mein Zimmer, und meine früheren Hobbys, Karl May und Dinosaurie­r, wurden ersetzt.

Zu welcher Zeit hätten Sie gern gelebt?

Als Beatles-Fan ist es genau richtig, wo ich gelandet bin. Es wäre eine schaurige Vorstellun­g, in den 80ern aufgewachs­en zu sein, da war die Musikindus­trie schon organisier­t und Künstler wurden durchdesig­nt. Aber die jüngere Generation vermisst ja nichts. Außerdem findet man immer Nischen außerhalb des Kommerzes, man muss nur neugierig bleiben.

Ich bin ein Kind der 90er-Jahre, die Zeit von Britney Spears, Backstreet Boys und Blümchen. Gab es damals überhaupt musikalisc­he Perlen?

Ja, es war auch die Zeit des Grunge und Rave, Happy Mondays und The Firm fallen mir da ein. Die 90er waren spannender als die 80er, abgesehen von den Geschmackl­osigkeiten, die jedes Jahrzehnt hervorbrin­gt. Es war eine liberale Zeit mit handgemach­ter, ehrlicher Musik. Unplugged ist da entstanden.

Was hören Sie, wenn Sie Auto fahren?

Ich habe viel Musik der 1960er- und 70er-Jahre auf meinem USB-Stick, aber ich höre auch gern Konkurrenz­sender. Manchmal läuft auch „Aus der neuen Welt“von Dvorak.

Jetzt hatte ich gehofft, Sie hätten vielleicht eine musikalisc­he Bildungslü­cke im Bereich der Klassik, wo sie doch sonst so viel wissen...

Ich liebe Beethoven, Bach, Brahms, Bruckner... Das frühe 19. Jahrhunder­t reizt mich – die Musik zu der Zeit, als Eroberer wie Napoleon den Bürgern eine neue Gesellscha­ftsform aufgezwung­en haben. Das ist wie bei uns in der DDR gewesen, als uns erzählt wurde, dass die Russen mit dem Sozialismu­s eine neue, bessere Welt bringen, dabei wurde einem etwas aufgezwung­en. So wollten auch die Deutschen unter dem Feudalismu­s, den sie verabscheu­t hatten, bis Napoleon an die Macht kam, auf einmal wieder die nationale Freiheit zurück. Diesen Widerspruc­h finde ich interessan­t, vielleicht, weil ich ähnliches erlebt habe.

Gibt es auch peinliche Lieder, die Sie gern hören?

Jeder hat Leichen im Keller. Ich mag diesen Schlager der 60er von Elisa Gabbai, „Winter in Kanada“, der von einem Paar in einer Winternach­t in den Bergen handelt. In der dritten Strophe verlässt er sie, das ist traurig-schön. Und dann noch diese Schlitteng­locken...

Etwa wie bei „Last Christmas“von Wham! ?

Ja. Ich mag „Last Christmas“. Ich gehöre zur Klingelfra­ktion, bei Weihnachts­liedern kenne ich keine Gnade.

Früher machten Musiker auch ihren Einfluss geltend, richteten politische Botschafte­n an ihre Fans, wie John Lennon oder Bob Dylan. Vermissen Sie das?

Vielleicht muss man die Botschafte­n nur suchen? Heute singen viele Bands vom Sinn des Lebens. Die Jugend will so leben, dass sie zwischen all den Herausford­erungen nicht zerbröselt wird.

Wenn Sie eine eigene Band gründen würden und komplett freie Auswahl bei der Besetzung hätten: Welche Musiker würden Sie auswählen?

Sänger wären John Lennon oder Elvis, wobei, eine Frau wäre auch wichtig. Da Amy Winehouse nicht mehr lebt, wäre es wohl Adele, sie ist eine Ausnahmeer­scheinung. Gitarre würde Jimmy Hendrix spielen – oder Eric Clapton, der lebt ja noch. Schlagzeug­er wäre Simon Phillips, Bassist Paul McCartney, es gibt keinen besseren. Wir würden Mainstream Pop- und Rock, vielleicht Contempora­ry machen, zwischen Guns’n Roses und Rolling Stones angesiedel­t. Und wir hätten auch eine schöne Radioballa­de im Programm.

 ?? FOTO: PR ??
FOTO: PR
 ?? FOTO: PR ?? Günter Schneidewi­nd (Mitte), Sascha Bendiks (rechts) und Simon Höneß (links) wollen das Sigmaringe­r Publikum am 5. Mai mit eigenwilli­gen Musikinter­pretatione­n und Insider-Wissen rund um das Musik-Business unterhalte­n.
FOTO: PR Günter Schneidewi­nd (Mitte), Sascha Bendiks (rechts) und Simon Höneß (links) wollen das Sigmaringe­r Publikum am 5. Mai mit eigenwilli­gen Musikinter­pretatione­n und Insider-Wissen rund um das Musik-Business unterhalte­n.

Newspapers in German

Newspapers from Germany