Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

Fotografin holt Menschen aus Schubladen

Jenny Klestil stellt im Fidelishau­s Fotos von Menschen mit Downsyndro­m aus

- Von Judith Gauggel

SIGMARINGE­N - Die rheinländi­sche Fotografin Jenny Klestil hat am Sonntag ihre Fotostreck­e, die unter dem Motto „Glück kennt keine Behinderun­g“steht, im Fidelishau­s in Sigmaringe­n eröffnet. Das Ensemble der Lautenbach­er Blaskapell­e untermalte die Eröffnung mit Liedern, unter anderem von Modest Mussorgski. Elvira Reichert, vom Caritasver­band Sigmaringe­n und Dr. Sonja Benz, leitende Oberärztin im Bereich Frauenheil­kunde und Geburtshil­fe in Sigmaringe­n, sprachen zu den zahlreich gekommenen Gästen. „Wir freuen uns sehr über das bunte Publikum“, sagt Oberärztin Dr. Sonja Benz.

„Ich bin völlig beseelt“, sagt die Fotografin Jenny Klestil zu Beginn ihrer Rede. Eine absolute Besonderhe­it sei es, so empfangen zu werden, nach 80 Ausstellun­gen habe ich das so noch nicht erlebt. „Die Ausstellun­g ist in Sigmaringe­n das erste Mal, und auch im Süden ist sie eher selten zu sehen“, sagt die Fotografin weiter. Das Projekt entstand anlässlich des Welt-Down-Syndrom-Tags, vor fast genau drei Jahren, mit einer eher naiven Idee: „Ich mach’ das einfach mal für einen Tag und biete das für Familien zum Welt-Down-Syndrom-Tag an, der am 21. März ist“, so Klestil. Daraus wurden bis jetzt weit über tausend Familien, die vor Jenny Klestils Kamera standen. „Es werden auch immer mehr“, sagte sie glücklich. „Die schönen Begegnunge­n muss man zeigen, um die Menschen aus ihren Schubladen herauszuho­len“. Dem Gedanken, dass alles so schlimm sei mit Kindern mit Behinderun­gen, könne sie nach den drei Jahren aus tiefster Überzeugun­g widersprec­hen. „Es ist mir ein Herzenspro­jekt, zu zeigen, dass das Leben lebenswert ist, mit oder ohne extra Chromosom, ob dick oder dünn, klein oder groß, mit oder ohne Sommerspro­ssen.“

„Glück braucht keine Perfektion“

Als Ärztin und als Großmutter eines Jungen mit Down-Syndrom weiß Dr. Sonja Benz um die Hoffnungen und die Sorgen im familiären und berufliche­n Bereich, die werdende Eltern haben. „Das Glück kennt keine Behinderun­gen und braucht keine Perfektion“, sagt sie weiter. In Sigmaringe­n hat sich eine ganze Reihe von Kooperatio­nspartnern zusammenge­tan, wie unter anderem der Caritasver­band Sigmaringe­n, das Diakonisch­e Werk, Donum Vitae, Mariaberg, Frauen brauchen Hebammen, die Selbsthilf­egruppe für Behinderte, die SRH-Kliniken Landkreis Sigmaringe­n und die Krankenhau­sseelsorge, wie die „Schwäbisch­e Zeitung“Anfang April berichtete. Der Beginn des Netzwerkes Pränataldi­agnostik war ein Film, in dem eine Hebamme ihre Geschichte erzählte. Sie war damals mit einem schwerkran­ken Kind schwanger, wissend, dass es nicht lange leben würde. Kurz nach der Geburt starb das Baby.

Die Hebamme gab sich und dem Neugeboren­en die Chance, würdevoll Abschied nehmen zu können. Das führte damals zu einer Podiumsdis­kussion und daraus entstand der Wunsch nach einem Netzwerk, dass die medizinisc­he und psychosozi­ale Seite vereint.

Das Netzwerk treibt beispielsw­eise den Besuch in Schulen, wie dem Hohenzolle­rn-Gymnasium und der Liebfrauen­schule, voran, um die Vielschich­tigkeit der Menschen mit Behinderun­gen vor Augen zu führen. „Viele haben mit ihren 18 Jahren noch keine oder kaum Kontakte mit Menschen mit Behinderun­gen gehabt“, sagt Ingrid Weinmann, von Donum Vitae. Kinder mit DownSyndro­m sind „besonders“, nicht mehr und nicht weniger, sagt sie weiter. „Die Fotos transporti­eren ein Gefühl, welches durch den gewählten Titel der Ausstellun­g, ,Glück kennt keine Grenzen’ gut eingefange­n wird.“

„Wir haben Nachbarn, die ein Kind mit Down-Syndrom haben, und wir selbst haben eine Tochter mit einem Herzfehler, mit der wir oft in der Klinik waren. Dort waren viele Kinder mit Down-Syndrom, sie sind offene, liebe und musikalisc­he Kinder“, sagt die Besucherin Renate Braun. „Das Thema hat uns lange begleitet.“

Es war eine gelungene Eröffnungs­feier, mit Fotos, die noch vier Wochen lang im Fidelishau­s in Sigmaringe­n zu sehen sein werden, und viele Besucher begeistern und zum Nachdenken animieren werden.

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FOTO: JUDITH GAUGGEL Jenny Klestil zeigt ihre Bilder im Fidelishau­s.

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