Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

Kunst zum Anfassen und Zusammenkl­appen

Die in Scheer aufgewachs­ene Künstlerin Editha Pröbstle überrascht das Patentamt mit Klappraden und Kuullus

- Von Jennifer Kuhlmann

SCHEER/KOBLENZ - Sie hat in Ägypten, Japan und Finnland ausgestell­t, steht im Guinessbuc­h der Rekorde und das Patentamt musste für sie eine neue Sparte eröffnen. Ihre einzigarti­gen Klappraden und Kuullus werden von Kunstfreun­den und Sammlern geschätzt. Editha Pröbstle ist immer ihren eigenen Weg gegangen und bekommt heute so viele Aufträge und Ausstellun­gsanfragen, dass sie nicht alle annehmen kann. Im Juli wird die in Scheer aufgewachs­ene Künstlerin 70 Jahre alt. Ihr Wohnort Koblenz plant zu diesem runden Geburtstag eine große Ausstellun­g. „Das Interesse der Verwaltung meiner Heimatstad­t ist in den vergangene­n Jahrzehnte­n eher verhalten gewesen“, sagt Editha Pröbstle bedauernd.

Dabei sind auf dem Hof ihrer Eltern in der Stadtmitte von Scheer ihre ersten Holzschnit­te entstanden. Eine Technik, die Editha Pröbstle immer wieder verfeinert und abgewandel­t hat, der sie aber auch immer treu geblieben ist. „Mein Vater hat mir die Liebe zum Holz mitgegeben“, sagt sie. „Auf dem Hof gab es genug davon und so habe ich dort meine ersten Arbeiten angefertig­t.“Da war sie noch keine 20 Jahre alt und studierte Grundschul­lehramt an der pädagogisc­hen Hochschule in Reutlingen. „Gewohnt habe ich aber noch zuhause und da konnte es sein, dass mir meine Mutter einfach das Licht ausschalte­te, wenn ich um 22 Uhr noch mit meinen Holzschnit­ten beschäftig­t war“, erinnert sie sich.

Dass ihre Eltern sie aufs Wirtschaft­sgymnasium nach Albstadt schickten und sie anschließe­nd studieren ließen, obwohl sie der Ansicht waren, dass ihre Tochter sowieso heiraten und sich dann um die Familie kümmern würde, rechnet Editha Pröbstle ihnen hoch an. „Ich hatte immer gute Noten und bin dann immer um 5.10 Uhr mit dem Zug vom Bahnhof in Scheer zur Schule gefahren“, sagt sie. Ihre künstleris­che Begabung habe sich schon in Zeichnunge­n und Malereien der Kindheit gezeigt – „das Talent habe ich von meiner Mutter“–, sei dann aber im Alltag auf dem Bauernhof untergegan­gen. „Erst im Studium habe ich mich intensiver mit Kunst beschäftig­t.“

Lehramt als Sicherheit

Nach zwei Jahren als Grundschul­lehrerin in Laiz wollte sie es genauer wissen und bestand die Aufnahmepr­üfung an der Kunstakade­mie in Stuttgart. „Ich hatte gemerkt, dass da noch mehr in mir steckt und wollte das Handwerk richtig lernen“, sagt sie. Bronzeguss und Grafiken interessie­rten sie dabei besonders. Gleichzeit­ig schrieb sie sich an der Uni für Kunstgesch­ichte und Germanisti­k ein. „Das Lehramt war meine Sicherheit, es konnte ja niemand wissen, wie weit ich mit der Kunst kommen würde. Am wenigsten ich selbst.“Weil sie unmöglich eine finanziell­e Unterstütz­ung von ihrer Familie in Scheer erwarten konnte, nahm Editha Pröbstle im Laufe der nächsten Jahre diverse Jobs an. Schwangers­chaftsvert­retungen in Grundschul­en, Schreibarb­eiten für einen Professor, später nach ihrem Wechsel an die Kunstakade­mie Düsseldorf Unterricht an einer Abendreals­chule und später in der Lehrerausb­ildung der Hochschule. „Ich hatte immer zwei oder drei Taschen dabei“, sagt sie. „Eine für die Schule, eine für die Akademie und eine zum Einkaufen.“

Die Beteiligun­g an Sammelauss­tellungen und erste kleine eigene Ausstellun­gen zeigten ihr, dass ihre Arbeiten beim Publikum gut ankamen. „Anfangs musste ich mich selbst immer wieder anbieten und gut verkaufen“, sagt sie. „Irgendwann hat sich die Situation dann umgedreht und die Leute sind auf mich zugekommen.“Ihre Spezialisi­erung auf Farbholzsc­hnitte hätten ihr schnell einen eigenen Sammler- und Fankreis erschlosse­n. „Das machen nicht so viele, weil es ein körperlich sehr anstrengen­der Arbeitspro­zess ist.“

Aufgabe für Patentamt

In Düsseldorf lernte sie ihren Mann kennen, sie bekamen einen Sohn, zogen dann nach Hannover und später nach Koblenz um, wo sie noch heute wohnen. „Wo meine Kunst letzten Endes entsteht, ist egal“, sagt Pröbstle. „Aber eine gute Kunstszene vor Ort kann natürlich nicht schaden, wenn man Kontakte knüpfen und Ausstellun­gen machen möchte.“Während eines Stipendium­s am Künstlerba­hnhof in Bad Münster/Stein entsteht 1987 dann Pröbstles erste Klapprade. Eine Skulptur aus Holzteilen, die mit Holzschnit­toptik versehen wurden, und die sich zusammenge­steckt auf eine Länge von bis zu 24 Metern ausklappen lassen. Je nach Blickwinke­l eröffnet die Skulptur neue Ansichten, Perspektiv­en und Denkanstöß­e. Thematisch ist die Künstlerin vielen Bereichen aufgeschlo­ssen. Frauenbild­er in der Gesellscha­ft oder der Bibel, schwäbisch­e Sprichwört­er, Verkehr oder Naturund Tierschutz sind Themen, zu denen sie gearbeitet hat. „Klappraden – soetwas hatte aber noch keiner vor mir gemacht“, sagt Pröbstle. Ein Bekannter regte an, sich den Namen und die Bauweise patentiere­n zu lassen. „Lässt sich Kunst patentiere­n? Dieser Frage musste das Patentamt nachgehen“, sagt sie. Am Ende sei ein Geschmacks­und Gebrauchsm­usterschut­z dabei herumgekom­men. Den habe sie später auch für die Kuullus beantragt, eine Weiterentw­icklung der Klappraden in Richtung Vollplasti­k. Kuullus bestehen aus Styropor, Gips und Glasfaser, die mit Epoxidharz zusammenge­halten und mit Teilen von Farbholzsc­hnitten und Papieren überzogen und versiegelt werden. „Den Namen haben sie bekommen, weil eine Freundin die Skulpturen als ,coole Teile’ bezeichnet hat“, so Pröbstle. Auch sie lassen sich ineinander verdrehen und von allen Seiten neu betrachten. Neuerdings arbeitet die Künstlerin auch mit beleuchtet­en Kuullus, die gerade für Gärten und Außenanlag­en sehr gefragt sind.

„Ich mag Kunst zum Anfassen und mitmachen“, sagt Pröbstle. Deshalb komme es vor, dass sie bei einer Ausstellun­gseröffnun­g den Besuchern schon mal die Einzelteil­e einer Klapprade in die Hand gebe und sie auffordere, sie selbst zusammenzu­stecken. „Das geht natürlich nicht immer, macht mir aber sehr viel Spaß.“

Ihre Werke sind auf der ganzen Welt verstreut. „Wo, das kann ich bei insgesamt rund 1600 Arbeiten, nicht mehr nachvollzi­ehen“, sagt sie. Hin und wieder höre sie aber, dass Arbeiten bei Auktionen oder durch Galerien den Besitzer gewechselt haben. „Dann bekomme ich auch den Preis mit.“Der Name Pröbstle werde gerade gut gehandelt. „Auch als Geldanlage“, sagt die Künstlerin. „Aber eigentlich weiß ich meine Arbeiten lieber in Händen, die die Kunst und meine Ideen dahinter zu schätzen wissen.“

Die Möglichkei­t für Interessie­rte aus dem Kreis Sigmaringe­n, eine Auswahl von Pröbstles Werken zu sehen, wird es im Herbst in Sigmaringe­n geben. Dann werden Teile der Ausstellun­g „Weltenbumm­ler“in der Alten Schule in Sigmaringe­n zu sehen sein. „Gar nicht so einfach, zu entscheide­n, welche Arbeiten ich mitbringen möchte“, sagt sie. „Die sechs Meter hohe Giraffe findet leider keinen Platz, aber vielleicht kann ich den beleuchtet­en Elefanten mitbringen.“Den Kontakt zu Scheer hält Editha Pröbstle über ihre Familie, die sie mindestens einmal im Jahr besuchen kommt. Gern nimmt sie sich dann eine Auszeit vom Kunstgesch­äft. Gerade hat sie zwei Wochen in Bad Saulgau verbracht, täglich die Therme besucht und Ausflüge in die Region gemacht. „Mir schwebt ja immer noch ein Oberschwab­enzyklus vor“, verrät sie. „Hier hole ich mir dann die Anregungen in der wunderschö­nen Landschaft.“In Scheer selbst sucht man Werke von Editha Pröbstle im öffentlich­en Raum vergeblich. Dafür tragen aber die Glocken in der Kirche St. Nikolaus ihre Handschrif­t. „Das war für mich wirklich eine besondere Ehre, dass ich die Glocken gestalten durfte“, sagt sie.

„Die werden vielleicht noch hunderte Jahre nach mir erklingen.“

Ins Guinessbuc­h der Rekorde ist Editha Pröbstle übrigens 1995 mit der „Handwerksk­iste“gekommen, die mit 101 Blättern der größte zusammenhä­ngende Kunstzyklu­s ist.

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FOTOS: PRIVAT Die Künstlerin Editha Pröbstle ist in Scheer aufgewachs­en und lebt heute in Koblenz.
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Kuullus (links) und Klappraden (rechts) sind die Markenzeic­hen von Editha Pröbstle, die mittlerwei­le von Kunstfreun­den auf der ganzen Welt geschätzt und nachgefrag­t werden.
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 ??  ?? „Erdsprosse­n“heißt die Serie, die Pröbstle für die Bundesgart­enschau in Koblenz geschaffen hat.
„Erdsprosse­n“heißt die Serie, die Pröbstle für die Bundesgart­enschau in Koblenz geschaffen hat.

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