Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

Vergewalti­gung: Heute fällt das Urteil

Die Verteidige­r bezweifeln Glaubwürdi­gkeit des Opfers und fordern Freispruch.

- Von Michael Hescheler

SIGMARINGE­N - Im Prozess um eine angebliche Vergewalti­gung in der Sigmaringe­r Asylbewerb­erunterkun­ft Fürstenhof fällt am heutigen Donnerstag das Urteil: Die Staatsanwa­ltschaft Hechingen fordert für die beiden Angeklagte­n Gefängniss­trafen von sechs Jahren sowie vier Jahren und drei Monaten. Einen Freispruch beantragen dagegen die Verteidige­r. Sie sind der Meinung, dass der Geschlecht­sverkehr einvernehm­lich gewesen ist. Am dritten Verhandlun­gstag sagen vor dem Landgerich­t in Hechingen die Gutachter aus: Ein Psychologe stuft die Schilderun­gen des mutmaßlich­en Opfers als glaubwürdi­g ein, ein Psychiater bestätigt die Schuldfähi­gkeit des Angeklagte­n S., obwohl dieser stark betrunken war. Laut Gutachten könnte der Blutalkoho­lwert bis zu 4,5 Promille hoch gewesen sein.

Der Angeklagte S. fällt im großen Sitzungssa­al des Hechinger Landgerich­ts nicht durch seine ständigen Gefühlsreg­ungen auf: Als Staatsanwa­lt Markus Engel für ihn in seinem Plädoyer am Mittwochna­chmittag sechs Jahre Gefängnis fordert, zeigt er aber eine Reaktion, noch bevor ihm die Übersetzer­in das Strafmaß in seiner Mutterspra­che Mandinka übersetzt: Erst hält er sich beide Hände vor die Augen, dann legt er den Kopf auf seiner Hand ab. Sein früherer Zimmerkoll­ege K. starrt auf den Boden, als er von der Forderung des Staatsanwa­lts hört. Laut Anklagesch­rift sollen die zwei 26 Jahre alten Asylbewerb­er aus Gambia die 23jährige Frau aus einer Kreisgemei­nde im September 2017 mehrfach gegen ihren Willen zum Sex gezwungen haben. Nicht weiter verfolgen die Strafbehör­den eine sexuelle Belästigun­g im Prinzengar­ten, da die Zeugin trotz zweifacher Vorladung nicht vor Gericht erscheint.

Halbnackt bis zum Bahnhof gelaufen

Staatsanwa­lt Engel hält es für „absurd“, dass das Opfer die Vergewalti­gung erfunden haben könnte. Zeugen bestätigen, dass die Frau halbnackt – lediglich in Schuhen und mit einer Jacke bekleidet – aus dem Fürstenhof geflohen und in Richtung Bahnhof geirrt war. „So eine schauspiel­erische Meisterlei­stung traue ich dem Opfer nicht zu“, sagt der Staatsanwa­lt. Ein Mann, der am Bahnhof einen Zug reinigte, hatte die Frau aufgegriff­en und mit seinem Auto zu Bekannten in eine Sigmaringe­r Umlandgeme­inde gefahren. Zuvor soll die Frau, so ihre Aussage am ersten Verhandlun­gstag, auf einer Treppenstu­fe vor der Polizeiwac­he gesessen und überlegt haben, Anzeige zu erstatten. Doch sie geht in Richtung Bahnhof weiter und verständig­t die Polizei erst am nächsten Tag.

Rechtsanwa­lt Fritz Westphal führt eine Vielzahl von Argumenten an, warum er die Aussagen der 23Jährigen für unglaubwür­dig hält. „Es ist genauso absurd, vor der Polizeiwac­he zu stehen und keine Anzeige zu erstatten.“Aus Sicht des Verteidige­rs leugnet die Frau die Nähe zum Angeklagte­n, sie verschweig­t eine gemeinsame Zugfahrt, sie verschweig­t, dass sie schon einmal im Fürstenhof gewesen ist.

Ein „ganz wesentlich­er Punkt“ist für Westphal ein Detail, das die Frau dem Gericht erzählt. Sie soll während der Vergewalti­gung einen Tampon getragen und diesen zwischendu­rch gewechselt haben. Den Angeklagte­n S. ekelte das, sagt die Frau dem Gericht. Die Frage einer Polizistin nach dem Tampon habe sie verneint, führt der Verteidige­r als Beleg für die vermeintli­che Lüge an. Ihre Wendung zum Auftakt des Prozesses erklärte er so: „Sie wollte vor Gericht noch eins draufsetze­n und sagen, wie schlimm es für sie war.“

sagt Verteidige­r Fritz Westphal. Er glaubt, dass das vermeintli­che Opfer die Vergewalti­gung erfunden hat.

Warum soll sich die Frau ein Lügenkonst­rukt zusammenge­reimt haben? „Die Panik war’s“, sagt der Verteidige­r. Sie soll in Panik geraten sein, weil sie ihrem Freund sonst den nächtliche­n Ausflug hätte beichten müssen. Als sie nachts zu Bekannten gebracht wird, spricht sie lediglich mit einer Freundin über die Vergewalti­gung. Die Frau und ihr Freund werden von der Polizei zum Gericht chauffiert, weil die beiden ihre erste Vorladung geschwänzt hatten.

Der Lebensgefä­hrte schläft und hört das Klingeln nicht

Das Paar erzählt, dass der Lebensgefä­hrte des vermeintli­chen Opfers schlief und deshalb erst am nächsten Morgen von der angebliche­n Vergewalti­gung erfuhr. „Sie wollte mit ihm nicht darüber sprechen“, folgert Anwalt Frank Winkelmann. Die Strafkamme­r unter dem Vorsitz von Hannes Breucker hatte eine ähnliche Frage an den Gutachter gestellt. Kann es sein, dass die Frau den einvernehm­lichen Sex als Vergewalti­gung schilderte, um Streit zu vermeiden? „Durch ihre Aussagen lässt sich dies nicht belegen“, so die Antwort des Psychologe­n Kenan Alkan-Mewes. Der Gutachter hält die Frau für glaubwürdi­g, weil sie „das Kerngesche­hen ohne substanzie­lle Brüche erzählt“.

Der DNA-Test hatte unterdesse­n ergeben, dass der Angeklagte K. am Geschlecht­sverkehr in irgendeine­r Form beteiligt gewesen sein muss. Am Penis des Angeklagte­n S. weisen Experten der Kriminalte­chnik seinen genetische­n Fingerabdr­uck nach. In seinem letzten Wort bleibt der Angeklagte K. bei seiner Darstellun­g, nach der er lediglich im Zimmer geschlafen habe.

Sein Landsmann S. lässt dagegen tiefer in sein Innenleben blicken: „Die Frau hat das freiwillig getan, sie ist zu mir gekommen, weil sie Probleme mit ihrem Partner hatte. Mein Fehler war, dass ich sie mitgenomme­n habe.“Sechs Jahre Gefängnis seien zu viel, er bitte das Gericht, ihm eine Chance zu geben.

„Die Panik war’s“,

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FOTO: FXH
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FOTO: PRIVAT Im Fürstenhof soll es eine Vergewalti­gung gegeben haben: Heute fällen die Richter des Landgerich­ts ihr Urteil.

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