Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)
Vergewaltigung: Heute fällt das Urteil
Die Verteidiger bezweifeln Glaubwürdigkeit des Opfers und fordern Freispruch.
SIGMARINGEN - Im Prozess um eine angebliche Vergewaltigung in der Sigmaringer Asylbewerberunterkunft Fürstenhof fällt am heutigen Donnerstag das Urteil: Die Staatsanwaltschaft Hechingen fordert für die beiden Angeklagten Gefängnisstrafen von sechs Jahren sowie vier Jahren und drei Monaten. Einen Freispruch beantragen dagegen die Verteidiger. Sie sind der Meinung, dass der Geschlechtsverkehr einvernehmlich gewesen ist. Am dritten Verhandlungstag sagen vor dem Landgericht in Hechingen die Gutachter aus: Ein Psychologe stuft die Schilderungen des mutmaßlichen Opfers als glaubwürdig ein, ein Psychiater bestätigt die Schuldfähigkeit des Angeklagten S., obwohl dieser stark betrunken war. Laut Gutachten könnte der Blutalkoholwert bis zu 4,5 Promille hoch gewesen sein.
Der Angeklagte S. fällt im großen Sitzungssaal des Hechinger Landgerichts nicht durch seine ständigen Gefühlsregungen auf: Als Staatsanwalt Markus Engel für ihn in seinem Plädoyer am Mittwochnachmittag sechs Jahre Gefängnis fordert, zeigt er aber eine Reaktion, noch bevor ihm die Übersetzerin das Strafmaß in seiner Muttersprache Mandinka übersetzt: Erst hält er sich beide Hände vor die Augen, dann legt er den Kopf auf seiner Hand ab. Sein früherer Zimmerkollege K. starrt auf den Boden, als er von der Forderung des Staatsanwalts hört. Laut Anklageschrift sollen die zwei 26 Jahre alten Asylbewerber aus Gambia die 23jährige Frau aus einer Kreisgemeinde im September 2017 mehrfach gegen ihren Willen zum Sex gezwungen haben. Nicht weiter verfolgen die Strafbehörden eine sexuelle Belästigung im Prinzengarten, da die Zeugin trotz zweifacher Vorladung nicht vor Gericht erscheint.
Halbnackt bis zum Bahnhof gelaufen
Staatsanwalt Engel hält es für „absurd“, dass das Opfer die Vergewaltigung erfunden haben könnte. Zeugen bestätigen, dass die Frau halbnackt – lediglich in Schuhen und mit einer Jacke bekleidet – aus dem Fürstenhof geflohen und in Richtung Bahnhof geirrt war. „So eine schauspielerische Meisterleistung traue ich dem Opfer nicht zu“, sagt der Staatsanwalt. Ein Mann, der am Bahnhof einen Zug reinigte, hatte die Frau aufgegriffen und mit seinem Auto zu Bekannten in eine Sigmaringer Umlandgemeinde gefahren. Zuvor soll die Frau, so ihre Aussage am ersten Verhandlungstag, auf einer Treppenstufe vor der Polizeiwache gesessen und überlegt haben, Anzeige zu erstatten. Doch sie geht in Richtung Bahnhof weiter und verständigt die Polizei erst am nächsten Tag.
Rechtsanwalt Fritz Westphal führt eine Vielzahl von Argumenten an, warum er die Aussagen der 23Jährigen für unglaubwürdig hält. „Es ist genauso absurd, vor der Polizeiwache zu stehen und keine Anzeige zu erstatten.“Aus Sicht des Verteidigers leugnet die Frau die Nähe zum Angeklagten, sie verschweigt eine gemeinsame Zugfahrt, sie verschweigt, dass sie schon einmal im Fürstenhof gewesen ist.
Ein „ganz wesentlicher Punkt“ist für Westphal ein Detail, das die Frau dem Gericht erzählt. Sie soll während der Vergewaltigung einen Tampon getragen und diesen zwischendurch gewechselt haben. Den Angeklagten S. ekelte das, sagt die Frau dem Gericht. Die Frage einer Polizistin nach dem Tampon habe sie verneint, führt der Verteidiger als Beleg für die vermeintliche Lüge an. Ihre Wendung zum Auftakt des Prozesses erklärte er so: „Sie wollte vor Gericht noch eins draufsetzen und sagen, wie schlimm es für sie war.“
sagt Verteidiger Fritz Westphal. Er glaubt, dass das vermeintliche Opfer die Vergewaltigung erfunden hat.
Warum soll sich die Frau ein Lügenkonstrukt zusammengereimt haben? „Die Panik war’s“, sagt der Verteidiger. Sie soll in Panik geraten sein, weil sie ihrem Freund sonst den nächtlichen Ausflug hätte beichten müssen. Als sie nachts zu Bekannten gebracht wird, spricht sie lediglich mit einer Freundin über die Vergewaltigung. Die Frau und ihr Freund werden von der Polizei zum Gericht chauffiert, weil die beiden ihre erste Vorladung geschwänzt hatten.
Der Lebensgefährte schläft und hört das Klingeln nicht
Das Paar erzählt, dass der Lebensgefährte des vermeintlichen Opfers schlief und deshalb erst am nächsten Morgen von der angeblichen Vergewaltigung erfuhr. „Sie wollte mit ihm nicht darüber sprechen“, folgert Anwalt Frank Winkelmann. Die Strafkammer unter dem Vorsitz von Hannes Breucker hatte eine ähnliche Frage an den Gutachter gestellt. Kann es sein, dass die Frau den einvernehmlichen Sex als Vergewaltigung schilderte, um Streit zu vermeiden? „Durch ihre Aussagen lässt sich dies nicht belegen“, so die Antwort des Psychologen Kenan Alkan-Mewes. Der Gutachter hält die Frau für glaubwürdig, weil sie „das Kerngeschehen ohne substanzielle Brüche erzählt“.
Der DNA-Test hatte unterdessen ergeben, dass der Angeklagte K. am Geschlechtsverkehr in irgendeiner Form beteiligt gewesen sein muss. Am Penis des Angeklagten S. weisen Experten der Kriminaltechnik seinen genetischen Fingerabdruck nach. In seinem letzten Wort bleibt der Angeklagte K. bei seiner Darstellung, nach der er lediglich im Zimmer geschlafen habe.
Sein Landsmann S. lässt dagegen tiefer in sein Innenleben blicken: „Die Frau hat das freiwillig getan, sie ist zu mir gekommen, weil sie Probleme mit ihrem Partner hatte. Mein Fehler war, dass ich sie mitgenommen habe.“Sechs Jahre Gefängnis seien zu viel, er bitte das Gericht, ihm eine Chance zu geben.
„Die Panik war’s“,