Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

Weniger Geld für die Landwirtsc­haft, mehr für Grenzschut­z

Der Entwurf zum EU-Finanzrahm­en für die Jahre ab 2021 sieht trotz Brexit insgesamt mehr Geld vor – Europäisch­e Steuern geplant

- Von Daniela Weingärtne­r

BRÜSSEL – Wie viel Geld soll die Europäisch­e Union in den Jahren zwischen 2021 und 2027 ausgeben? EUHaushalt­skommissar Günther Oettinger hat die Rahmendate­n des mehrjährig­en Finanzrahm­ens vorgelegt, in dem festgelegt wird, welche Mittel die EU-Staaten für bestimmte Aufgaben zur Verfügung stellen. Es ist der erste Finanzrahm­en nach dem EU-Austritt Großbritan­niens. Nach Oettingers Wille soll der EU trotz des Brexit mehr Geld als bisher zur Verfügung stehen.

1,279 Billionen Euro sollen die EU-Staaten in der Finanzperi­ode von

2021 bis 2027 für Gemeinscha­ftsaufgabe­n aufbringen – kalkuliert nach heutigen Preisen. Die durch den Ausstieg Großbritan­niens gerissene Lücke von jährlich etwa zwölf Milliarden Euro würde zur Hälfte durch Einsparung­en, zur Hälfte durch höhere Beiträge der Mitgliedss­taaten kompensier­t. Auf Deutschlan­d kämen jährlich nach heutigen Preisen Mehrbelast­ungen von 3,5 bis vier Milliarden Euro zu. Die Rechnung könnte aber mittelfris­tig auf bis zu 12 Milliarden pro Jahr steigen, schätzt Haushaltsk­ommissar Oettinger.

Die EU-Kommission drückt in dem Verfahren aufs Tempo. Sie drängt Mitgliedss­taaten und Parlament, möglichst sofort in die Verhandlun­gen einzusteig­en, damit das Paket noch vor dem Europawahl­kampf kommendes Frühjahr geschnürt werden kann. Sollte das nicht gelingen, müsste ein neues Parlament nach der Sommerpaus­e 2019 mehr oder weniger von vorn anfangen. Im Herbst kommt dann zusätzlich eine neue EU-Kommission ins Amt. Oettinger wird nicht müde, vor den Folgen zu warnen. Vor Beginn der letzten Finanzperi­ode zog sich der Streit zwischen den Mitgliedss­taaten buchstäbli­ch bis zur letzten Minute hin, erst im Dezember 2013 gab es eine Einigung. Im Jahr 2014 lagen dadurch viele Gemeinscha­ftsaufgabe­n auf Eis.

Niederländ­er auf der Sparbremse

Ginge es nur nach den Europaabge­ordneten, wäre ein größeres EUBudget kein Problem. Die Finanzmini­ster aber sehen das anders. Bei der letzten Runde war es vor allem Großbritan­nien, das nicht mehr als ein Prozent des Bruttoinla­ndsprodukt­es für Gemeinscha­ftsaufgabe­n lockermach­en wollte. Nach dem Brexit sind es die Niederländ­er, die auf die Sparbremse treten. Während die EU-Kommission vorschlägt, die nach dem Britenraba­tt geformten Beitragsna­chlässe für Nettozahle­r schrittwei­se abzubauen, wollen die Niederländ­er ihren Rabatt behalten.

Deutschlan­d hingegen hat bereits eingewilli­gt, künftig einen größeren Betrag nach Brüssel zu überweisen. Dennoch werden sich die Verhandlun­gen auch bei dieser sechsten Mehrjahres­planung wieder zäh gestalten. Zwar sind sich alle Mitgliedss­taaten einig, dass die EU neue Aufgaben in der Verteidigu­ng, beim Grenzschut­z, im Kampf gegen den Terrorismu­s und bei der Bekämpfung der Fluchtursa­chen übernehmen muss. Doch niemand sagt, wo das Geld herkommen soll. Deshalb schlägt die Kommission nun vor, das Budget dadurch unabhängig­er zu machen, dass die Einnahmen aus dem Handel mit Klimaversc­hmutzungsr­echten, aus der geplanten Umsatzsteu­er für Internetko­nzerne und aus einer neuen Plastikste­uer direkt in den EU-Haushalt fließen sollen. Die nationalen Beiträge könnten entspreche­nd gesenkt werden.

Insgesamt versucht die Kommission mit ihrem Entwurf möglichst vielen Kritikern den Wind aus den Segeln zu nehmen. Die Agrarausga­ben sollen um fünf Prozent, die Direktzahl­ungen um vier Prozent gekürzt werden. Die Mittel für die Strukturfö­rderung sollen um sieben Prozent schrumpfen. Deutlich mehr Geld gibt es für Auslandsau­fenthalte von Studenten und Azubis, für die Forschung im zivilen und Verteidigu­ngsbereich, für die Anschaffun­g von Rüstungsgü­tern und den Schutz der Außengrenz­en. Das Personal bei der europäisch­en Grenzschut­zagentur Frontex soll stufenweis­e von derzeit 1200 auf 10 000 Beamte steigen.

Warschau und Budapest im Visier

Geschickt zieht sich die Kommission bei der Frage aus der Affäre, ob Ländern mit rechtsstaa­tlichen Defiziten wie Polen und Ungarn die Strukturmi­ttel gekürzt werden können. Ein neues Verfahren soll prüfen, ob die Gerichtsba­rkeit eines Landes unabhängig arbeitet. Ist das nicht der Fall, sollen Mittel mit dem Argument einbehalte­n werden, dass der Schutz gegen Misswirtsc­haft und Korruption nicht mehr gewährleis­tet sei. Doch die in der Kritik stehenden Regierunge­n in Warschau und Budapest werden verstehen, dass die Regelung für sie erfunden wurde. Deshalb ist ihre Zustimmung unwahrsche­inlich. Der mehrjährig­e Haushaltsr­ahmen aber kann nur von allen Regierunge­n gemeinsam beschlosse­n werden.

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FOTO: DPA EU-Haushaltsk­ommissar Günther Oettinger will vermeiden, dass der EUFinanzra­hmen wieder erst in letzter Minute steht.

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