Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

„Ohne Pressefrei­heit weniger Fortschrit­t“

Reporter-ohne-Grenzen-Geschäftsf­ührer Christian Mihr über die Lage der Journalist­en

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RAVENSBURG - Auch in Europa ist die Pressefrei­heit in Gefahr – durch den Einfluss aus Politik und Wirtschaft. Das sagte Christian Mihr, Geschäftsf­ührer der Organisati­on Reporter ohne Grenzen, anlässlich des heutigen Tages der Pressefrei­heit im Gespräch mit Daniel Hadrys.

Herr Mihr, die aktuelle Rangliste der Pressefrei­heit zeigt, dass sich in Europa die Situation für Journalist­en massiv verschlech­tert hat. Was sind die Gründe dafür?

Wir beobachten ein Ost-West- und ein Nord-Süd-Gefälle in Europa. Einige der östlichen Länder sind noch nicht lange Mitglied der Europäisch­en Union. Die Pressefrei­heit als Teil der Demokratie ist dort noch nicht gefestigt. Wir erleben in vielen Ländern Osteuropas, dass Journalist­en von höchsten Regierungs­stellen diffamiert werden. Gleichzeit­ig gibt es dort sehr oligarchis­che Medienstru­kturen mit einer Verflechtu­ng von Unternehme­ns-, Politik- und Wirtschaft­sinteresse­n.

In welchen europäisch­en Ländern ist die Situation besonders prekär?

In Bulgarien sind die Verflechtu­ngen zwischen Medien, Politik und Wirtschaft sehr eng. Journalist­en werden dort massiv bedroht, es gibt zum Teil auch unaufgeklä­rte Morde. Das größte Problem in Bulgarien ist, dass 80 Prozent des Zeitungsma­rktes Deljan Peewski gehören, einem ehemaligen Geheimdien­stchef. Er ist jetzt Mitglied des bulgarisch­en Parlaments und in zahlreiche Korruption­sund Bestechung­sskandale verwickelt. Auch in Malta und der Slowakei wurden Journalist­en ermordet. Das sind die größten Sorgenkind­er der EU.

Ein weiteres Sorgenkind ist seit Jahren die Türkei. Wie hat sich die Lage dort entwickelt?

Die Situation ist genauso schlecht wie vor einem Jahr. Die Freilassun­g des „Welt“-Korrespond­enten Deniz Yücel hat daran gar nichts verändert, sie war ausschließ­lich ein politische­s Signal an die deutsche Regierung, aber nicht nach innen gerichtet. Knapp 130 Journalist­en sind in der Türkei noch in Haft, 150 Medientite­l sind geschlosse­n worden, 800 Journalist­en haben ihre Arbeit verloren. Zudem sind viele von ihnen im Exil. Die Türkei ist das Land, indem wir am meisten Hilfsarbei­t und juristisch­e Unterstütz­ung betreiben.

Vor welchen Problemen stehen Journalist­en in Deutschlan­d?

In der Rangliste der Pressefrei­heit ist Deutschlan­d auf Platz 15, das ist europäisch­es Mittelfeld. Hierzuland­e besorgt uns die anlasslose Massen- überwachun­g, die ausufert durch den Bundesnach­richtendie­nst und Vorratsdat­enspeicher­ung. Die Vorratsdat­enspeicher­ung ist zwar derzeit ausgesetzt, Bemühungen dafür gibt es aber immer wieder. Die Massenüber­wachung ist deshalb problemati­sch, weil man in Kauf nimmt, dass das wichtige journalist­ische Prinzip des Quellensch­utzes unter die Räder kommt. Im Vergleich zu anderen Ländern hat Deutschlan­d zudem ein Luxusprobl­em: Die abnehmende Medienviel­falt. In Deutschlan­d haben wir traditione­ll eine hohe Medienviel­falt, gerade auf dem Zeitungsma­rkt. Sie ist ein wichtiger Faktor für Pressefrei­heit. Denn durch Vielfalt bekommen wir unterschie­dliche Sichtweise­n auf die Probleme einer Gesellscha­ft, sowie Diskussion­en und Debatten.

Kommt es in Deutschlan­d auch zu Gewalt gegen Journalist­en?

In einigen Teilen des Ruhrgebiet­s können Reporter, die über rassistisc­he Gewalt berichten, teilweise nur unter Polizeisch­utz arbeiten. Das ist auch in einigen ostdeutsch­en Regionen der Fall. Dort trauen sich einige Journalist­en nicht, auf Pegida- oder AfD-Kundgebung­en zu gehen. Eine Eskalation der Gewalt hat es im vergangene­n Jahr beim G20-Gipfel in Hamburg gegeben.

Wo fängt für Sie eine Einschränk­ung der Pressefrei­heit an?

Selbstzens­ur beginnt im Kleinen, wenn Anzeigenku­nden Einfluss nehmen. Das ist aber nicht vergleichb­ar mit Einschücht­erung durch Todesschwa­drone in Mexiko oder auf den Philippine­n.

Wozu können Zensur und Gleichscha­ltung der Medien führen?

Einerseits finden Debatten nicht mehr statt, die eine Gesellscha­ft dringend braucht. Es gibt einen Zusammenha­ng zwischen dem Grad an Pressefrei­heit und dem Grad an Korruption. Durch weniger Pressefrei­heit haben wir auch weniger gesellscha­ftliche Freiheit und gesellscha­ftlichen Fortschrit­t. Eine Gesellscha­ft soll um die besten Lösungen ringen, und Medien bieten die Plattform dafür.

US-Präsident Donald Trump bezeichnet Journalist­en als „Volksfeind­e“– welchen Schaden richtet diese Rhetorik eines demokratis­ch gewählten Volksvertr­eters an?

Diejenigen, die den Medien nicht grundsätzl­ich kritisch gegenübers­tehen, lassen sich davon nicht beeinfluss­en. Das Problem liegt eher in Echokammer­n (in denen sich Menschen mit Gleichgesi­nnten umgeben und sich gegenseiti­g in der eigenen Position verstärken, anstatt andere Medien zu nutzen, d. Red.), online wie offline. Dort verstärkt sich das Misstrauen gegenüber den klassische­n Medien. Schlimmer ist vielmehr, dass sich die autoritäre­n Herrscher von Russland bis zu den Philippine­n und Singapur durch Reden wie jene von Trump auf den Präsidente­n einer Demokratie berufen, wenn sie Journalist­en massiv einschränk­en. Gleichzeit­ig erlebt der Recherchej­ournalismu­s in den USA eine Blütezeit – auch wegen Donald Trump.

Und was ist mit den Pegida- und AfD-Anhängern, die Reporter als Teil einer „Lügenpress­e“sehen?

Der Begriff der „Lügenpress­e“ist natürlich ein Problem. Dabei ist das Misstrauen gegenüber den Medien in Deutschlan­d gar nicht so stark gewachsen. Durch soziale Netzwerke wie Facebook werden bestimmte Arten von Kritik und Misstrauen allerdings sichtbarer und verstärken sich – aber nicht unbedingt offline.

Glauben Sie also, dass sogenannte „Fake News“keinen Einfluss auf die Glaubwürdi­gkeit und das Ansehen der klassische­n Medien haben?

Den Begriff sollte man ohnehin komplett vergessen. Donald Trump hat ihn im Wahlkampf benutzt, um Journalist­en pauschal zu diffamiere­n. Der Begriff hat sich erledigt, seitdem der syrische Präsident Baschar al-Assad Berichte über Folter in Gefängniss­e als „Fake News“bezeichnet hat.

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FOTO: DPA Bei Pegida-Aufmärsche­n kam es immer wieder zu Anfeindung­en gegenüber Journalist­en.

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