Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

Die Sonne schwächelt

Stern wird in ein Aktivitäts­minimum rutschen – Spekulatio­nen um eine „kleine Eiszeit“

- Von Till Mundzeck

GÖTTINGEN/FREIBURG (dpa) Energie, Nahrung, Leben – die Sonne ist für die Erde von mehr als zentraler Bedeutung. Zurzeit durchläuft unser Tagesgesti­rn eine Phase besonders niedriger Aktivität, was bereits Spekulatio­nen über eine bevorstehe­nde „kleine Eiszeit“durch reduzierte Sonneneins­trahlung geweckt hat.

Während des sogenannte­n Maunder-Minimums, einer ausgedehnt­en Phase niedriger Sonnenakti­vität in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunder­ts, sanken in Europa die Temperatur­en, sodass die Londoner, bei denen heutzutage nur ausnahmswe­ise mal Schnee fällt, im Winter sogar regelmäßig auf der Themse Schlittsch­uh laufen konnten. Und die schwedisch­e Armee marschiert­e 1658 zum Feldzug gegen Dänemark einfach über die gefrorene Ostsee.

Der Forscher Dan Lubin von der Scripps Institutio­n an der Universitä­t von Kalifornie­n in San Diego sieht eine gewisse Wahrschein­lichkeit, dass die Sonne im Laufe dieses Jahrhunder­ts in ein weiteres großes Aktivitäts­minimum rutscht. Das Muster der abnehmende­n Sonnenakti­vität erinnere an die Vorläufer vergangene­r großer Minima, argumentie­ren er und manche seiner Kollegen. Allerdings würde eine solche Phase heute kaum zu einer Abkühlung führen, sondern allenfalls die vom Menschen verursacht­e Klimaerwär­mung etwas abbremsen, betont die Scripps Institutio­n.

Zeitpunkt unklar

Ob sich ein großes Aktivitäts­minimum anbahnt, ist jedoch alles andere als klar. „Das nächste große Minimum kommt bestimmt, aber wir können überhaupt nicht vorhersehe­n, wann“, sagt der Sonnenphys­iker Sami Solanki, Direktor am Göttinger Max-Planck-Institut für Sonnensyst­emforschun­g im Vorfeld des Tags der Sonne am 3. Mai. „Wir können keine Vorhersage­n machen, die über einige Jahre hinausgehe­n.“

Die Sonne durchläuft regelmäßig einen etwa elfjährige­n Aktivitäts­zyklus, in dem sich Zeiten hoher Sonnenakti­vität mit Phasen geringer Aktivität abwechseln. In ausgedehnt­en Aktivitäts­minima wie dem Maunder-Minimum verharrte die Sonnenakti­vität Jahrzehnte auf niedrigem Niveau. „Der aktuelle Sonnenzykl­us ist ein sehr schwacher, man muss fast 100 Jahre zurückblic­ken, um so einen schwachen Zyklus zu finden“, berichtet Phasen niedriger Sonnenakti­vität gab es auch schon in der Vergangenh­eit.

Solanki. „Danach folgte damals allerdings direkt ein sehr starker Zyklus. Man kann auf dieser Grundlage also keine Prognose machen.“

Verbessert­e Einblicke erhoffen sich die Physiker unter anderem vom Satelliten „Solar Orbiter“der europäisch­en Raumfahrta­gentur Esa, der erstmals auch die Pole der Sonne beobachten soll, die für das solare Magnetfeld und damit für die Aktivität unseres Sterns von zentraler Bedeutung sind. Zu dem Satelliten, der nach derzeitige­m Plan im

Februar 2019 starten soll, steuert das Göttinger Institut eines der Hauptinstr­umente bei.

Um abschätzen zu können, wie viel schwächer die Sonne in einem großen Minimum strahlt, haben Lubin und seine Kollegen sich mehr als 30 andere Sterne angeschaut, die der Sonne ähneln und die sich gerade in einem ausgedehnt­en Aktivitäts­minimum befinden. Ergebnis: Die Forscher erwarten, dass die ultraviole­tte (UV) Strahlung der Sonne um etwa sieben Prozent zurückgeht, wie sie im Fachblatt „Astrophysi­cal Journal Letters“berichtet haben. „Wir haben jetzt einen Orientieru­ngswert, mit dem wir bessere Klima-Modellrech­nungen machen können“, erläutert Lubin. „Somit erhalten wir eine bessere Vorstellun­g, wie Änderungen in der solaren UV-Strahlung den Klimawande­l beeinfluss­en.“

Die Änderung in der gesamten Sonnenstra­hlung wäre viel kleiner als im UV-Bereich. Aber: „Die UVStrahlun­g spielt eine Schlüsselr­olle für das Klima, da sie nicht nur weitgehend in der Atmosphäre geschluckt wird, sondern auch für die Atmosphäre­nchemie ein entscheide­nder Faktor ist“, erläutert Solanki, der nicht an der Untersuchu­ng beteiligt war.

Wie stark das Maunder-Minimum – benannt nach dem britischen Astronomen­paar Annie und Edward Walter Maunder – im 17. Jahrhunder­t zur ohnehin bereits herrschend­en „kleinen Eiszeit“beigetrage­n hat, ist unter Forschern umstritten. „Wenn über viele Jahrzehnte eine geringere Sonnenakti­vität herrscht, kann sich dieser Effekt durchaus zu messbaren Auswirkung­en ansammeln“, sagt der Helioseism­ologe Markus Roth vom Kiepenheue­r-Institut für Sonnenphys­ik in Freiburg. Die Eingriffe des Menschen ins Klimasyste­m seien jedoch deutlich stärker.

Einfluss des Menschen stärker

Entspreche­nd würde es auch durch ein erneutes Maunder-Minimum heute nicht kühler, erläutert die Scripps Institutio­n mit Verweis auf eine entspreche­nde Simulation. Demnach könnte die globale Durchschni­ttstempera­tur am Boden zunächst um „bis zu einige Zehntel Grad“sinken, werde aber zum Ende des Minimums den bei normaler Sonnenakti­vität erreichten Wert wieder nahezu einholen. „Der Einfluss der Sonne aufs Klima wird immer kleiner und unbedeuten­der gegenüber dem des Menschen“, betont auch Solanki.

Einen Vorteil hat eine niedrige Sonnenakti­vität: Sie schont Satelliten und Astronaute­n im Erdorbit. „In Zeiten des Aktivitäts­maximums der Sonne ereignen sich mehr Sonnenstür­me, die Einfluss haben auf unsere Technologi­e im Weltall“, erläutert Roth. Die Sonne sendet einen beständige­n Strom elektrisch geladener, subatomare­r Teilchen ins All, die als Sonnenwind bezeichnet werden.

Durch Ausbrüche auf der Sonne kann sich dieser Wind zu einem Sturm entwickeln, der nicht nur Satelliten und Astronaute­n gefährdet, sondern auch Navigation, Flug- und Funkverkeh­r sowie Stromnetze beeinträch­tigen kann. „Wir hatten im 20. Jahrhunder­t ein ausgeprägt­es Maximum der Sonnenakti­vität. Jetzt kehrt die Sonne eher in ihre gemütliche Phase zurück“, sagt Roth. Der deutsche Astronaut Alexander Gerst und seine Kollegen können also in dieser Hinsicht relativ entspannt zur Internatio­nalen Raumstatio­n ISS fliegen.

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FOTO: DPA

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