Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

Entsetzen und Angst vor dem Chaos

Bundesregi­erung versucht, Iran-Deal zu retten – Verhältnis mit den USA scheint zerrüttet

- Von Tobias Schmidt

BERLIN - Eine „schwerwieg­ende“Entscheidu­ng, die „Bedauern und Sorge“auslöst: Bundeskanz­lerin Angela Merkel (CDU) reagiert alarmiert auf den Schritt von US-Präsident Donald Trump, den Atom-Deal mit Iran aufzukündi­gen und neue und scharfe Sanktionen gegen Teheran zu verhängen. Unermüdlic­h hatte sich die Regierungs­chefin zuletzt für die Rettung des Abkommens eingesetzt, Trump bei ihrem Besuch in Washington vor knapp zwei Wochen noch zum Einlenken gedrängt – vergebens.

Steinmeier wirkt frustriert

Frust und Furcht vor einer Eskalation der Konflikte und einem transatlan­tischen Zerwürfnis herrschen gestern in Berlin vor. In Nahost drohe eine „unkontroll­ierbare Zuspitzung“, warnt Außenminis­ter Heiko Maas (SPD). Jetzt müsse alles getan werden, „neue Auseinande­rsetzungen und eine Spirale der nuklearen Aufrüstung zu verhindern“. Einen „schweren Rückschlag“für die Friedensdi­plomatie beklagt Bundespräs­ident Frank-Walter Steinmeier, der als Außenminis­ter am Zustandeko­mmen des historisch­en Abkommens mit Teheran mitgewirkt hatte. War das jahrelange Ringen, um Iran am Bau der Atombombe zu hindern, umsonst? Der Geist der verbindlic­hen Vereinbaru­ng sei nun „mehr Konfrontat­ion und mehr Unberechen­barkeit in dieser spannungsg­eladenen Region gewichen“, sagt Steinmeier.

Überrasche­nd kam Trumps Entscheidu­ng nicht. Gemeinsam mit Paris und London hatte sich die Bundesregi­erung vorbereite­t und will jetzt alles tun, den Deal zu retten – auch ohne die USA. Deutschlan­d, Frankreich und Großbritan­nien blie- ben dem Abkommen „verpflicht­et“, bekräftigt Merkel gestern und appelliert auch an Teheran, seine Verpflicht­ungen weiter einzuhalte­n und die Zentrifuge­n nicht wieder anzuwerfen. Noch gibt es Hoffnung auf die Einsicht von Irans Präsident Hassan Rohani, dass der Neustart des Atomprogra­mms gravierend­ere Folgen hätte. Um auch die Hardliner im Iran zu überzeugen, müssen Merkel und Co. aber Wege finden, die USSanktion­en abzufedern. Kommende Woche reist die Kanzlerin nach Sotchi, um mit Russlands Präsident Wladimir Putin zu beraten. Schon am Donnerstag traf Außenminis­ter Maas seinen russischen Kollegen Sergej Lawrow in Moskau. Krisendipl­omatie nach Trumps Schock-Beschluss, der Versuch, zu retten, was zu retten ist.

Streit um einen Tweet

Trumps neuer Botschafte­r in Berlin, Richard Grenell, belastete die Spannungen zusätzlich, indem er die deutschen Unternehme­n per Twitter dazu drängte, ihre Iran-Geschäfte „sofort“herunterzu­fahren. Ein Affront, bei der Wirtschaft hierzuland­e schrillen die Alarmglock­en. Der Industriev­erband BDI und der DIHK riefen die Politik in Berlin und Brüssel auf, den Handel mit Iran zu schützen. Außenhande­lspräsiden­t Holger Bingmann hofft zwar auf rasche Hinweise der US-Regierung für den Umgang mit der neuen Situation. „Aber auch das wird das Chaos, das wir nun erwarten, nur geringfügi­g eingrenzen.“

Erst der Handelskri­eg und die Drohung mit Strafzölle­n, jetzt die Aufkündigu­ng des Iran-Deals – ist Trump endgültig vom Partner zum Gegner geworden? Sein Schritt sei „ein großer Anschlag auf das transatlan­tische Bündnis“, sagt SPD-Partei- und Bundestags­fraktionsc­hefin Andrea Nahles am Mittwoch. Die Europäer müssten jetzt zusammenha­lten, fordert Nahles und lobt Iran für dessen „sehr besonnene“Reaktion. Nicht nur mit Trump, auch mit dessen Botschafte­r Grenell geht sie hart ins Gericht. Mit Blick auf dessen Forderung an deutsche Unternehme­n, ihre Iran-Beziehunge­n zu kappen, sagte sie: „Ein bisschen Nachhilfe“in Sachen Diplomatie „scheint er zu gebrauchen“.

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FOTO: DPA „ Ein Anschlag auf das transatlan­tische Verhältnis“: SPD- Chefin Andrea Nahles wählt harte Worte in Richtung US- Regierung.

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