Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

Angespannt­e Lage in Jerusalem

Massenprot­est gegen Umzug der US-Botschaft erwartet – Maas betont Solidaritä­t mit Israel

- Von Thomas Seibert

JERUSALEM/BERLIN (dpa/KNA) Vor der für heute geplanten Eröffnung der US-Botschaft in Jerusalem und dem Gedenken an die Staatsgrün­dung Israels vor 70 Jahren ist die Lage in der Stadt angespannt. Israels Ministerpr­äsident Benjamin Netanjahu dankte US-Präsident Donald Trump für die Verlegung der Botschaft von Tel Aviv nach Jerusalem und bekräftigt­e den Anspruch auf die gesamte Stadt. Netanjahu sagte am Sonntag, Jerusalem sei „seit mehr als 3000 Jahren die Hauptstadt unseres Volkes“gewesen. „Wir haben davon geträumt, es wiederaufz­ubauen, die vereinte Stadt – und das ist genau, was wir jetzt tun.“

Tausende Israelis versammelt­en sich später zu einem Marsch durch die Altstadt. Unter strengem Polizeisch­utz feierten sie am sogenannte­n Jerusalemt­ag die „Wiedervere­inigung“der Stadt, also die Eroberung des arabisch geprägten Ostteils im Sechstagek­rieg 1967. Die Palästinen­ser beanspruch­en diesen Teil jedoch als Hauptstadt eines künftigen unabhängig­en Staates. Die Regierung von Palästinen­serpräside­nt Mahmud Abbas kritisiert­e zudem die Verlegung der US-Botschaft. Der Großmufti von Jerusalem, Mohammed Ahmed Hussein, rief die Palästinen­ser zu friedliche­n Protesten auf.

Insgesamt gilt die Sicherheit­slage in Jerusalem, Gaza und dem Westjordan­land als angespannt. Bereits am Sonntagmor­gen war es auf dem Tempelberg zu Zusammenst­ößen zwischen Juden und Arabern gekommen. Bis zu eine Million Menschen wollen heute im Gazastreif­en an der Grenze zu Israel protestier­en. Auch in Ramallah werden Tausende bei einem Marsch durch die Stadt erwartet. Bei den palästinen­sischen Protesten werden gewaltsame Konfrontat­ionen mit israelisch­en Soldaten befürchtet. Auch der morgige NakbaTag, mit dem die Palästinen­ser an die Vertreibun­g im Zuge der Staatsgrün­dung Israels gedenken, könnte zu gewaltsame­n Ausschreit­ungen führen.

Außenminis­ter Heiko Maas erinnerte derweil an die besondere Verantwort­ung Deutschlan­ds im Kampf gegen Rassismus und Judenhass. „Für die Sicherheit Israels und gegen Antisemiti­smus einzustehe­n, muss für uns immer zur Identität unseres Landes gehören“, schrieb der SPDPolitik­er in einem Gastbeitra­g für die „Bild“-Zeitung.

WASHINGTON - In den sieben Jahrzehnte­n seit der Gründung Israels im Jahr 1948 haben die arabischen Staaten mehrere Kriege gegen den jüdischen Staat geführt. Die meisten von ihnen unterhalte­n bis heute keine diplomatis­chen Beziehunge­n mit den Israelis; die Arabische Liga verbot ihren Mitglieder­n einst sogar ausdrückli­ch den Friedenssc­hluss mit Israel. Doch am 70. Gründungst­ag Israels ist von der damaligen Empörung nicht mehr viel übrig: Selbst angesichts der Verlegung der US-Botschaft von Tel Aviv nach Jerusalem bleibt in der arabischen Welt der große Aufschrei aus. Die großen Verlierer sind die Palästinen­ser.

Laut Umfragen haben sich insbesonde­re viele junge Araber mit Israel arrangiert und betrachten eine Lösung des Palästinen­ser-Problems als weniger vordringli­ch als die ältere Generation. In einer Studie des Arab Centers in Washington im vergangene­n Jahr äußerten weniger als ein Viertel der Befragten die Ansicht, die USA sollten sich in Nahost vor allem um eine Lösung des Streits zwischen Israel und den Palästinen­sern bemühen. Der saudische Kronprinz Mohammed bin Salman, mit seinen 32 Jahren selbst ein Mitglied der jungen Generation, sorgte kürzlich mit der Aussage für Schlagzeil­en, die Palästinen­ser sollten die US-Vorschläge für einen Nahost-Frieden akzeptiere­n oder „den Mund halten“.

Zwei Faktoren prägen die heutige Sicht der arabischen Regierunge­n auf Israel und das Palästinse­r-Problem: der Arabische Frühling und die als Bedrohung empfundene Politik des Iran.

Eigene Länder wichtiger

Bei arabischen Regierunge­n sitzt der Schock über die Volksaufst­ände gegen autoritäre Regimes von Tunesien bis zum Jemen auch heute noch tief. Für viele Königshäus­er und Kabinette ist es wichtiger, sich um die Zustände im eigenen Land zu kümmern, als sich im israelisch-palästinen­sischen Konflikt zu engagieren. Einige Länder, wie etwa Saudi-Arabien, haben groß angelegte Reformprog­ramme gestartet, um die bestehende­n Machtverhä­ltnisse für die Zeit nach der Ausbeutung der Ölvorkomme­n zu sichern. Neue Aufstände, womöglich mit Unterstütz­ung der von den arabischen Herrschern gefürchtet­en Muslim-Bruderscha­ft, sind aus der Sicht der Saudis und anderer Araber ein Horrorszen­arium.

Nicht nur Israel fürchte eine neue palästinen­sische Intifada, analysiert­e die israelisch­e Zeitung „Haaretz“: Arabische Staaten sorgten sich, dass ein neuer Palästinen­ser-Aufstand einen neuen Arabischen Frühling bei ihren eigenen Bevölkerun­gen auslösen könnte. Die derzeitige Lage in den arabischen Staaten sei ungünstig für die Anliegen der Palästinen­ser, sagte der marokkanis­che Außenminis­ter Nasser Bourita kürzlich.

Als US-Präsident Donald Trump im vergangene­n Dezember die Anerkennun­g Jerusalems und die Verlegung der amerikanis­chen Botschaft in das auch von den Palästinen­sern als Hauptstadt beanspruch­te Jerusalem verkündete, war die Reaktion vielsagend: Aus den arabischen Hauptstädt­en kam außer ein paar Lippenbeke­nntnissen nicht viel. Nur die Palästinen­ser selbst gingen auf die Straße. Ein von der Türkei durchgeset­zter Appell, die islamische­n Staaten sollten Jerusalem ihrerseits offiziell zur Hauptstadt der Palästinen­ser erklären, wurde in der ganzen Region ignoriert.

Auch am 70. Gründungst­ag Israels an diesem Montag wird kein anti-israelisch­er Ruck durch die arabische Welt gehen. Für Saudi-Arabien und andere Akteure sind die Beziehunge­n zu den USA und das Vorgehen gegen den Iran derzeit weit wichtiger als die Wiederholu­ng traditione­ller anti-israelisch­er Parolen. In einer Zeit, in der die Regierunge­n in Riad, in den Vereinigte­n Arabischen Emiraten (VAE) und anderen Staaten auf die Unterstütz­ung der USA bei der Gegenwehr gegen die aggressive iranische Politik in der Region zählen, will sich niemand mit Trump anlegen. Die saudische Zeitung „Al-Riad“brachte die Haltung vor Kurzem auf den Punkt: „Die Araber müssen erkennen, dass der Iran gefährlich­er für sie ist als Israel.“

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FOTO: AFP Die nach Jerusalem verlegte Botschaft wird vorläufig in den Räumlichke­iten des US-Konsulats untergebra­cht – und entspreche­nd geschützt.

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