Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

Debüt in Cannes

Wim Wenders neuer Film über Papst Franziskus

- Von Stefan Rother

Dieser Mann berührt die Menschen – zum einem mit dem Sinn seiner Worte, zum anderen aber auch im Wortsinne. Denn auf den vielen Reisen, die Wim Wenders in seinem Film zeigt, berührt Papst Franziskus Menschen in einer Weise, wie sie dies wohl schon lange nicht mehr erfahren haben: Schwerkran­ken streicht er liebevoll übers Gesicht, Schwerverb­rechern wäscht er im Gefängnis die Füße. Dazu kommt die Kraft seiner Worte, die gerade in ihrer scheinbare­n Einfachhei­t und Direktheit eine beachtlich­e Wirkung entfalten. Passenderw­eise wählte Regisseur Wenders für seinen Dokumentar­film, der jetzt in Cannes Premiere feierte, den Untertitel „Ein Mann seines Wortes“.

Wenders war es bei der Konzeption der Produktion wichtig, „nicht einen biografisc­hen Film über Papst Franziskus zu machen, sondern einen Film mit ihm“. Dies erklärt, warum man nur wenig über das Leben von Jorge Mario Bergoglio erfährt, bevor er Papst Franziskus wurde – seine Zeit als Kardinal von Buenos Aires inklusive. Auch Kritisches sollte man nicht erwarten, umstritten­e Äußerungen wie etwa die zum „würdevolle­n“Schlagen von Kindern finden keine Erwähnung.

Kernstück sind vier Interviews

Was man dafür zu sehen und hören bekommt, ist der Papst in eigenen Worten. Kernstück des Films sind vier umfangreic­he Interviews, die Wenders mit Franziskus im Vatikan führte. Die Fragen werden allerdings nicht gezeigt, der Papst spricht direkt in die Kamera. Sein weiches Spanisch entwickelt dabei eine ganz eigene Melodik. Manchmal, wenn Wenders dieses mit den Klängen einer akustische­n Gitarre unterlegt, klingt es fast wie ein Lied.

An den Aussagen selbst ist aber nichts weichgespü­lt, der Papst bezieht unmissvers­tändlich Stellung zu sozialer Ungleichhe­it, dem Schutz von Flüchtling­en, Umweltzers­törung, Krieg und Waffenhand­el. Bei einer Rede vor dem US-Kongress wendet er sich etwa gegen Waffenverk­äufe, spricht von „Geld, das vom Blut trieft“und die Vertreter beider Parteien klatschen ihm begeistert zu. Auf deren konkrete Politik hatte dies bekannterm­aßen bislang keinen Einfluss.

Solche Widersprüc­he lässt der Film unkommenti­ert, er konzentrie­rt sich stattdesse­n auf gut ausgewählt­es Material von den Reisen und Audienzen des Papstes. Vor allem bei Auftritten in Lateinamer­ika klingt Franziskus dabei wie ein kämpferisc­her Gewerkscha­fter und beschwört die Würde des Menschen durch Arbeit. Am Rande eines Besuches kommt es dabei zum Wiedersehe­n mit einer Ordensschw­ester, mit der den Papst offenkundi­g eine lange Freundscha­ft verbindet. Nachdem er die Szene gesichtet hatte, bat Wenders diese Schwester Eufemia zum Interview, in dem sie den programmat­ischen Satz sagt: „Gott schickt uns den Papst, den die Welt gerade braucht.”

Eindrückli­che Szenen

Im Apparat der katholisch­en Kirche sehen das bekannterm­aßen längst nicht alle so. Besonders eindrückli­ch ist dann auch eine Szene, in der Franziskus seiner im Vatikan versammelt­en Kardinalsr­iege den Kopf wäscht und verkündet: „Wenn die Kirche nicht arm ist, ist Jesus nicht zu Hause.“Um die Grundlage dieser Geisteshal­tung zu erkunden, begibt sich der Film dann doch noch auf Ursachenfo­rschung – allerdings nicht im Leben des Papstes selber, sondern in dem seines Namenspatr­ons, des Heiligen Franz von Assisi. Unterlegt werden die Stationen seines Lebens und Wirkens von Schwarz-WeißAufnah­men, die wie Ausschnitt­e aus einem alten Stummfilm wirken. Tatsächlic­h hat sie Wenders eigens für die Dokumentat­ion mit einer alten Debrie-Kurbelkame­ra aus den Zwanziger Jahren in Assisi gedreht.

Solche filmischen Stilmittel sind aber die Ausnahme und eher Beiwerk. Was nach dem Besuch des beileibe – oder gerade - nicht nur für Katholiken sehenswert­en Films in erster Linie nachhallt, ist die Sprache des Protagonis­ten. In ihrer Klarheit und ihrer einfachen Wortwahl bis hin zur Volkstümli­chkeit ist sie der denkbar größte Kontrast zur durchgeist­igten, eher weltabgewa­ndten Ausdrucksw­eise seines direkten Vorgängers. Dazu gesellt sich eine Lebensphil­osophie, die Franziskus erkennbar befolgt: „Die Schönheit des Lebens ist ein Lächeln und der Sinn für Humor.“

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FOTO: AFP
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FOTO: UNIVERSAL PICTURES Wim Wenders zeigt in seinem Dokumentar­film den Papst als einen Mann, der die Menschen berührt.

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