Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)
Debüt in Cannes
Wim Wenders neuer Film über Papst Franziskus
Dieser Mann berührt die Menschen – zum einem mit dem Sinn seiner Worte, zum anderen aber auch im Wortsinne. Denn auf den vielen Reisen, die Wim Wenders in seinem Film zeigt, berührt Papst Franziskus Menschen in einer Weise, wie sie dies wohl schon lange nicht mehr erfahren haben: Schwerkranken streicht er liebevoll übers Gesicht, Schwerverbrechern wäscht er im Gefängnis die Füße. Dazu kommt die Kraft seiner Worte, die gerade in ihrer scheinbaren Einfachheit und Direktheit eine beachtliche Wirkung entfalten. Passenderweise wählte Regisseur Wenders für seinen Dokumentarfilm, der jetzt in Cannes Premiere feierte, den Untertitel „Ein Mann seines Wortes“.
Wenders war es bei der Konzeption der Produktion wichtig, „nicht einen biografischen Film über Papst Franziskus zu machen, sondern einen Film mit ihm“. Dies erklärt, warum man nur wenig über das Leben von Jorge Mario Bergoglio erfährt, bevor er Papst Franziskus wurde – seine Zeit als Kardinal von Buenos Aires inklusive. Auch Kritisches sollte man nicht erwarten, umstrittene Äußerungen wie etwa die zum „würdevollen“Schlagen von Kindern finden keine Erwähnung.
Kernstück sind vier Interviews
Was man dafür zu sehen und hören bekommt, ist der Papst in eigenen Worten. Kernstück des Films sind vier umfangreiche Interviews, die Wenders mit Franziskus im Vatikan führte. Die Fragen werden allerdings nicht gezeigt, der Papst spricht direkt in die Kamera. Sein weiches Spanisch entwickelt dabei eine ganz eigene Melodik. Manchmal, wenn Wenders dieses mit den Klängen einer akustischen Gitarre unterlegt, klingt es fast wie ein Lied.
An den Aussagen selbst ist aber nichts weichgespült, der Papst bezieht unmissverständlich Stellung zu sozialer Ungleichheit, dem Schutz von Flüchtlingen, Umweltzerstörung, Krieg und Waffenhandel. Bei einer Rede vor dem US-Kongress wendet er sich etwa gegen Waffenverkäufe, spricht von „Geld, das vom Blut trieft“und die Vertreter beider Parteien klatschen ihm begeistert zu. Auf deren konkrete Politik hatte dies bekanntermaßen bislang keinen Einfluss.
Solche Widersprüche lässt der Film unkommentiert, er konzentriert sich stattdessen auf gut ausgewähltes Material von den Reisen und Audienzen des Papstes. Vor allem bei Auftritten in Lateinamerika klingt Franziskus dabei wie ein kämpferischer Gewerkschafter und beschwört die Würde des Menschen durch Arbeit. Am Rande eines Besuches kommt es dabei zum Wiedersehen mit einer Ordensschwester, mit der den Papst offenkundig eine lange Freundschaft verbindet. Nachdem er die Szene gesichtet hatte, bat Wenders diese Schwester Eufemia zum Interview, in dem sie den programmatischen Satz sagt: „Gott schickt uns den Papst, den die Welt gerade braucht.”
Eindrückliche Szenen
Im Apparat der katholischen Kirche sehen das bekanntermaßen längst nicht alle so. Besonders eindrücklich ist dann auch eine Szene, in der Franziskus seiner im Vatikan versammelten Kardinalsriege den Kopf wäscht und verkündet: „Wenn die Kirche nicht arm ist, ist Jesus nicht zu Hause.“Um die Grundlage dieser Geisteshaltung zu erkunden, begibt sich der Film dann doch noch auf Ursachenforschung – allerdings nicht im Leben des Papstes selber, sondern in dem seines Namenspatrons, des Heiligen Franz von Assisi. Unterlegt werden die Stationen seines Lebens und Wirkens von Schwarz-WeißAufnahmen, die wie Ausschnitte aus einem alten Stummfilm wirken. Tatsächlich hat sie Wenders eigens für die Dokumentation mit einer alten Debrie-Kurbelkamera aus den Zwanziger Jahren in Assisi gedreht.
Solche filmischen Stilmittel sind aber die Ausnahme und eher Beiwerk. Was nach dem Besuch des beileibe – oder gerade - nicht nur für Katholiken sehenswerten Films in erster Linie nachhallt, ist die Sprache des Protagonisten. In ihrer Klarheit und ihrer einfachen Wortwahl bis hin zur Volkstümlichkeit ist sie der denkbar größte Kontrast zur durchgeistigten, eher weltabgewandten Ausdrucksweise seines direkten Vorgängers. Dazu gesellt sich eine Lebensphilosophie, die Franziskus erkennbar befolgt: „Die Schönheit des Lebens ist ein Lächeln und der Sinn für Humor.“