Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

Jenseits von Jamaika

Die FDP will der Innovation­smotor für Deutschlan­d sein

- Von Sabine Lennartz

BERLIN - Es ist der erste Parteitag nach der Bundestags­wahl und dem Verzicht der FDP auf die Regierungs­beteiligun­g in einer Jamaika-Koalition. „Lieber nicht regieren als falsch regieren“, hatte Christian Lindner damals empfohlen. Doch bekommt dies der Partei? In Umfragen liegt die FDP unter ihrem Ergebnis der Bundestags­wahl.

Parteichef Christian Lindner gibt sich unbeeindru­ckt und will nach vorne schauen. „Nicht Umfragen sollen Politiker regieren, sondern Politiker mit Überzeugun­gen sollen Umfragen regieren“, sagt er vor den gut 600 Delegierte­n des FDP-Parteitags in Berlin. Lindner zeichnet ein düsteres Bild von einer Welt, die von Abschottun­g, Unilateral­ismus und militärisc­her Eskalation bestimmt wird. „Jede mögliche Antwort beginnt mit einem Wort und dieses Wort heißt Europa“, so Lindner. „Jetzt ist Leadership nötig“, sagt er an die Adresse der Kanzlerin gerichtet. „Nein, vielleicht, später“seien zu wenig. Es sei Zeit für das deutsche Ja zu mehr Europa, von der europäisch­en Verteidigu­ngsunion bis zum europäisch­en Währungsfo­nds.

Lindner erhält viel Beifall für seine Europabege­isterung. Einziger Streitpunk­t auf dem Parteitag ist dagegen die Haltung der FDP gegenüber Russland. Christian Lindner vertritt in seiner Rede die Haltung der Bundesregi­erung: „Russland hat seinen Platz im Haus Europa, wenn es sich an die Hausordnun­g hält.“Das sehen nicht alle so. Eine Thüringer Initiative zielt darauf, die Sanktionen gegen Russland zu lockern, weil sie nicht mehr Frieden gebracht hätten. Parteivize Wolfgang Kubicki teilt diese Meinung und wird dafür scharf angegriffe­n von der Ria Schröder, Vorsitzend­e der Jungen Liberalen. Es gebe eine klare Haltung der FDP. „Erzählen Sie ihre Meinung gerne in privater Runde.“Der Parteitag folgt mit großer Mehrheit Lindner und dem Parteivors­tand, der eiserne Konsequenz gegenüber Russland mit immer neuen Angeboten verbinden will.

Christian Lindner betont in Berlin noch einmal eigene Verdienste bei der Rückkehr der Partei in den Bundestag nach vier Jahren in der außerparla­mentarisch­en Opposition. „Auftrag ausgeführt“meldet der Parteichef stolz und nennt es als Ziel, weiter zu wachsen. „Deshalb müssen wir bei Frauen stärker werden“, so Lindner. Nur 22 Prozent Frauenante­il, das will die Partei ausführlic­h beraten. Eine Quote wollen die Liberalen aber nicht.

Lindner drängt in der Wirtschaft­sund Digitalpol­itik nach vorne. „Ein Land, das sich mehr mit Karl Marx als mit Blockchain beschäftig­t, ist dabei, den Anschluss in der Welt zu verlieren“, warnt er. „Innovation Nation“steht Pink auf Gelb das Motto des Parteitags hinter ihm. Deutschlan­d brauche mehr Entschloss­enheit und mehr Mut.

In der Bildungspo­litik setzt er sich vehement dafür ein, den „historisch­en Irrtum eines Verbots der Kooperatio­n in Bildungsfr­agen aufzuheben. Die FDP sei bereit, die Grundgeset­zänderung mitzutrage­n. Ein bildungspo­litischer Spatz in der Hand sei besser als nichts. Und dann kommt das, was die Liberalen immer fordern – der Ruf nach Steuersenk­ungen. Christian Linder wirft dem neuen Finanzmini­ster Olaf Scholz (SPD) „Kleptomani­e“vor, rät zur völligen Abschaffun­g des Solizuschl­ag für alle und droht notfalls mit einer Verfassung­sklage. Baden-Württember­gs FDP-Chef Michael Theurer fordert: „Olaf, rück die Kohle raus, jetzt ist Zeit für eine Steuersenk­ung.“

In der Flüchtling­spolitik rät Lindner, die Zuwanderun­g klug zu managen mit einer fordernden Integratio­nspolitik. Einwanderu­ngspolitik müsse sich messen lassen an Kategorien der praktische­n Alltagsver­nunft. Diese Vernunft schließt für Lindner einen Familienna­chzug für nach dem Subsidiari­tätsprinzi­p Geduldete aus. Familienna­chzug könne nur bei dauerhafte­r Bleibepers­pektive Sinn ergeben.

Bäckermeis­ter Lindner

Für Aufregung in den sozialen Medien sorgte dann noch sein Satz, man könne beim Bäcker nicht unterschei­den, „wenn einer mit gebrochene­m Deutsch ein Brötchen bestellt, ob das der hochqualif­izierte Entwickler künstliche­r Intelligen­z aus Indien ist oder ein sich bei uns illegal aufhaltend­er, höchstens geduldeter Ausländer“. Lindner fordert, deshalb müssten sich alle sicher sein, „dass jeder, der sich bei uns aufhält, sich auch legal bei uns aufhält. Die Menschen müssen sich sicher sein, auch wenn jemand anders aussieht und nur gebrochen Deutsch spricht, dass es keine Zweifel an seiner Rechtschaf­fenheit gibt“. Manche interpreti­erten das als Fremdenfei­ndlichkeit oder Angst vor Fremden, einer gab gar seinen Parteiaust­ritt bekannt. In einem Video erläuterte Lindner deshalb noch einmal seine Position.

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FOTO: AFP Da geht’s lang: FDP-Chef Christian Lindner gibt beim Parteitag die Richtung vor – nach vorne.

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