Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)
Wo die apokalyptischen Reiter rasen
Bodenseefestival: Pianist Dmitry Masleev gastiert im Schloss Achberg
ACHBERG - Bei seinem Klavierabend im Rittersaal des Schlosses Achberg präsentierte der junge russische Pianist Dmitry Masleev Werke von Franz Schubert, Franz Liszt und Pjotr Tschaikowsky. Masleev ist „Artist-in-Residence“beim Bodenseefestival 2018, dessen Gesamtprogramm sich der Kultur des diesjährigen Gastlands Russland widmet. Das mit viel Beifall aufgenommene Konzert wurde vom SWR mitgeschnitten. Im Anschluss moderierte die Musikjournalistin Julia Hellmig ein Künstlergespräch mit Masleev.
Angesichts der Festivalthematik fragte man sich, warum nicht statt bekannter Kompositionen von Schubert beispielsweise Préludes von Alexander Skrjabin und anstelle von Lisztscher Tastenzauberei etwa Mili Balakirews nicht minder virtuoses „Islamej“oder einige der von Liszt inspirierten Etüden des Balakirew-Jüngers Sergej Ljapunow dargeboten wurden. Derlei seltener zu hörende Klavierliteratur hätte den Musikhorizont über etabliertes Repertoire hinaus nach Osten aufschlussreich erweitern können.
Masleev begann mit vier beliebten Impromptus von Schubert, die ein Jahr vor dem frühen Tod des Komponisten entstanden sind. Die ausgedehnten Gebilde sind spieltechnisch nicht einfach, aber gewiss keine Musik zur Demonstration von Virtuosität. Als solche schien Masleev sie indes zu begreifen, wobei Melodietöne ab und an etwas hart klangen, in schnellen Passagen die Tempokontrolle bei aller Fingerfertigkeit gelegentlich entglitt und manche Fortissimo-Stellen eine Spur zu brachial gerieten.
Spektakuläre Technik
Masleevs Spiel ließ hier Poesie, innere Teilnahme und planvolle Gestaltung ebenso vermissen wie weiches Legato bei Kantilenen. Auch bei Liszts „Totentanz“-Paraphrase über das gregorianische „Dies irae“fehlte es trotz frappierender Bewältung immenser technischer Hürden an packender Binnenspannung und strukturierender Dramaturgie. Masleev rammte die Noten des Cantus firmus in die Tasten wie eherne Pfähle, schmetterte aufschäumende Passagen dazwischen und ließ schwindelerregende Tonrepetitionen wie wilde apokalyptische Reiter durch die schrill überdrehte Fuge rasen.
Wie es da donnerte, fauchte, rauschte, schwirrte und klirrte, nötigte Respekt ab. Ohne Zweifel liegt die manuelle Zirzensik von Liszts rhapsodisch-dramatischer „Danse macabre“Masleev näher als Schuberts tief empfundene Melancholie. Gleichwohl kommt man auch dieser Musik mit bloßer Virtuosität nicht bei. Selbst ihre Exzesse verlangen kultiviertere Darstellung. Hier klangen sie übertrieben kantig und brutal. Hinter hemdsärmeligem Getöse und spektakulärer Technik suchte man vergebens verstehende Musikalität und persönliche Botschaft.
Nach der Pause überraschte Masleev mit einer Auswahl aus Tschaikowskys späten Klavierstücken op. 72, die der Komponist wenige Monate vor seinem Tod als „musikalische Pfannkuchen gebacken“hat, „um etwas Geld zu verdienen“. Masleev gelangen bei diesen reizenden, sehr virtuosen Charakterstücken mit Tendenz zu Salonmusik schön abgetönte Details. Delikatesse und Charme der Darbietung blieben jedoch zunehmend auf der Strecke, wo knallendes Marcato-Hämmern sich breit machte. Als Zugaben folgten zwei Sonatensätze von Domenico Scarlatti.