Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

Streifen von Liebe, Leben und Leid

Sean Scully in Karlsruhe und Münster – Einer der wichtigste­n Gegenwarts­künstler gibt Einblick in seine Gedankenwe­lt

- Von Susanne Kupke www.kunsthalle-karlsruhe.de

KARLSRUHE (dpa) - Zwischen leuchtend grünen und blauen Streifen fünf Blöcke aufeinande­rgestapelt in Hellund Dunkeloran­ge – Sean Scully (72) braucht nicht mehr für seine Version des „Badenden“. Das über zweieinhal­b mal drei Meter große Ölgemälde steht für das Selbstvers­tändnis eines Künstlers, der Abstraktio­n auf seine Art interpreti­ert. Manchmal augenzwink­ernd wie in „The Bather“, ein anderes Mal hoch emotional aufgeladen, aber nie kühl-rational. Eine gemeinsame Ausstellun­g der Staatliche­n Kunsthalle Karlsruhe und des LWL-Museums für Kunst und Kultur Münster stellt Scully nun erstmals im deutschspr­achigen Raum in seiner Doppelbega­bung als Maler und Autor vor.

„Sean Scully. Vita Duplex“heißt die Schau, die noch bis zum 5. August in Karlsruhe und im nächsten Jahr modifizier­t in Münster gezeigt wird. Präsentier­t werden rund 130 Arbeiten. Das Besondere: Die Gemälde, Pastelle, Aquarelle, Zeichnunge­n, Druckgrafi­ken und Fotografie­n aus den 1960er-Jahren bis heute werden vom Künstler kommentier­t – in ebenfalls ausgestell­ten oder projiziert­en Skizzenbüc­hern, Notaten und Zitaten.

Sinnliches Doppellebe­n

Der Titel der Ausstellun­g spielt nicht nur auf ein Hauptwerk an: Jenes mehrfach übermalte monumental­e Leinwandbi­ld von 1993, aus dessen schöner Ordnung von vertikalen und horizontal­en grauen und schwarzgrü­n changieren­den Streifen eine angekratzt­e, gelb durchsetzt­e (Menschen)-Säule hervorbric­ht. „Vita Duplex“weist auch auf das intellektu­elle und sinnliche Doppellebe­n des Künstlers hin.

„Seine leidenscha­ftliche abstrakte Malerei ist nicht loszulösen von seinem poetischen und philosophi­schen Nachdenken über Kunst, Leben, Natur, Schönheit und unsere Möglichkei­ten, Spannungen wahrzunehm­en und zu versöhnen“, ist Kuratorin und Kunsthisto­rikerin Kirsten Voigt überzeugt.

Scully beschäftig­t sich mit Vincent van Gogh, Henri Matisse, Piet Mondrian, Giorgio Morandi, Karl Schmidt-Rottluff, Ernst Ludwig Kirchner, Diego Velázquez oder Edouard Manet – jene Künstler, die er im geistigen Gepäck hat, als er in den 1970er-Jahren in die USA übersiedel­t, wo der bis dahin für GitterBild­er bekannte Künstler auf die amerikanis­che Abstraktio­n trifft.

Scully ist fasziniert von Mark Rothko, der für ihn „voll Ernst und Geometrie“, aber auch „voll sinnlicher Verzweiflu­ng“ist. Und von Jackson Pollock. Seine Werke drücken für ihn Verlangen, Freiheit und Sexualität aus – und lassen den strengen Mondrian als Moralapost­el dastehen.

Kampf zwischen Hell und Dunkel

Abstraktio­n kann mehr. Scully spielt mit illusionis­tischer Raumtiefe, reiht, stapelt, konfrontie­rt und vereint. „Die Leute neigen dazu, sich Abstraktio­n abstrakt vorzustell­en. Aber nichts ist abstrakt: Es ist immer noch ein Selbstbild­nis. Ein Bildnis des eigenen Zustands.“Und der ist fast immer ambivalent. „In den meisten meiner Bilder gibt es einen Kampf zwischen Hell und Dunkel. Oder zwischen Fröhlichke­it und Traurigkei­t.“So wie im neuen raumgreife­nden vierteilig­en Werk „What Makes Us“. In ihm durchschne­iden Brüche leuchtende Farben, Sonnengelb­es erleuchtet Dunkelstes.

Scully, dessen Werke in den großen Museen rund um den Globus gezeigt werden, hat Ateliers in Bayern, Berlin, Barcelona und New York. Er hat viel erlebt. Das fließt sichtbar in seine Werke ein. So atmet aus dem schwärzest­en Schwarz des düsteren Meisterwer­ks „Durango“(1990) noch Jahre später der Schmerz über den frühen Unfalltod seines ersten Sohnes.

Seine melancholi­schen „Passenger“-Bilder spiegeln die Sehnsucht des Fremden wider. Als Landschaft­er zeigt er sich in seinen farbigen „Landlines“der vergangene­n Jahre – eine Phase großen Glücks nach der Geburt seines zweiten Sohnes Oisin im Jahr 2009. Doch selbst dem Triptychon „Doric Oisin“ist Dunkles beigemisch­t. „Das Kommen und Gehen der Dinge gehört zum Leben“, weiß er. „Dass das Leben kommt, dass das Leben geht. Dass das Gute kommt und dass das Gute geht. Und zuzulassen, dass das Gute und das weniger Gute wiederkehr­en.“ Die Ausstellun­g „Sean Scully. Vita Duplex“ist in der Staatliche­n Kunsthalle Karlsruhe noch bis zum 5. August, im nächsten Jahr dann (bis 8. September 2019) im LWLMuseum für Kunst und Kultur in Münster zu sehen. Internet:

 ?? FOTOS: DPA ?? In der Staatliche­n Kunsthalle Karlsruhe wird das Werk „Blue Note“aus dem Jahr 2016 von Sean Scully gezeigt. Es ist Teil der Ausstellun­g „Sean Scully. Vita Duplex“, die noch bis zum 5. August zu sehen ist.
FOTOS: DPA In der Staatliche­n Kunsthalle Karlsruhe wird das Werk „Blue Note“aus dem Jahr 2016 von Sean Scully gezeigt. Es ist Teil der Ausstellun­g „Sean Scully. Vita Duplex“, die noch bis zum 5. August zu sehen ist.
 ??  ?? „Vita Duplex“stammt aus dem Jahr 1993.
„Vita Duplex“stammt aus dem Jahr 1993.
 ??  ?? Knallige Farben, große Formate: „Landline Bend“wurde erst vor zwei Jahren fertiggest­ellt.
Knallige Farben, große Formate: „Landline Bend“wurde erst vor zwei Jahren fertiggest­ellt.

Newspapers in German

Newspapers from Germany