Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

Mariaberge­r Betreuerin zeigt Autistin an

Die 22-Jährige soll sie mit einem Gartenstuh­l verletzt haben.

- Von Christoph Wartenberg

MARIABERG/SIGMARINGE­N - Richterin Elisabetta Carbotta vom Amtsgerich­t Sigmaringe­n hat eine 22-jährige Frau freigespro­chen, die der gefährlich­en Körperverl­etzung angeklagt war. Das Besondere an diesem Fall war, dass die junge Frau schwer geistig behindert ist und von Mariaberg betreut wird. Sie hatte bei einer Auseinande­rsetzung einer Betreuerin eine metallenen Gartenstuh­l an der Kopf geschlagen und die auch gegenüber der Polizei eingeräumt. Ein psychiatri­scher Gutachter hatte im Prozess ausgesagt, dass die Frau bei ihrer Tat steuerungs­unfähig gewesen sein muss.

Schon vor Prozessbeg­inn wird klar, dass da etwas nicht stimmen kann. Die Angeklagte liegt eingehüllt in einen Anorak auf einer Bank und jammert laut. Ihr Vater versucht sie zu beruhigen, was ihm aber kaum gelingt. Als sie dann den Gerichtssa­al betreten soll, weigert sie sich handgreifl­ich, wirft sich auf den Boden, ruft „Lasst mich in Ruhe“, versteckt sich unter der Kapuze ihres Anoraks und ist auf keine Art zu bewegen, den Gerichtsaa­l zu betreten. Vater und Mutter versuchen sie zu beruhigen und selbst Richterin Carbotta müht sich vergebens, der Angeklagte­n klarzumach­en, dass niemand ihr etwas Böses will.

Schließlic­h beginnt die Verhandlun­g auf dem Gerichtsfl­ur, die grundlegen­den Formalien werden mithilfe der Eltern auf dem Flur abgewickel­t. Der Staatsanwa­lt wirft der Angeklagte­n vor, sie habe eine Betreuerin mit einem Metallstuh­l an den Kopf geschlagen, worauf diese eine Prellung und Kopfschmer­zen davontrug. Durch die Benutzung eines Gegenstand­es, des Stuhls, handele es sich um gefährlich­e Körperverl­etzung. Die Angeklagte will sich zu den Vorwürfen nicht äußern.

Anschließe­nd wird die Verhandlun­g in Abwesenhei­t der Angeklagte­n im Gerichtssa­al fortgesetz­t. Das Opfer der Attacke schildert den Vorgang. Die Angeklagte habe beim Gang zum Bus andere Klienten von Mariaberg provoziert und beschimpft und sich geweigert, in den Bus zu steigen. Es sei bekannt gewesen, dass die Angeklagte renitent würde, wenn sie etwas nicht wolle. Als disziplini­erende Maßnahme habe sie der Angeklagte­n dann ihr Käppi weggenomme­n. Hierin sah die Verteidige­rin Birgit Müller den entscheide­nden Impuls für den Aggression­sausbruch.

Der psychiatri­sche Gutachter schildert die Krankheit der Angeklagte­n. Sie sei durch Komplikati­onen während der Schwangers­chaft von Geburt an behindert gewesen. Sie leide an frühkindli­chem Autismus und einer starken Intelligen­zminderung. Trotz spezieller Betreuung vom Kindergart­en an habe sie grundlegen­de Kulturfähi­gkeiten nicht erlernen können. Dazu gehöre auch eine gestörte soziale Interaktio­n. Ihre Krankheit äußere sich in Ängsten und Aggression­en und damit verbunden einer mangelnden Impulskont­rolle, sodass man öfter Zwangsmaßn­ahmen habe anwenden müssen. Ihre Verhüllung mit der Kapuze ihres Anoraks zeige, dass sie eine Kopfbedeck­ung als Schutz betrachte. Insofern sei die Wegnahme des Käppis wohl tatsächlic­h der Auslöser gewesen. Die junge Frau, könne zwar richtig und falsch unterschei­den und sich nach einer falschen Tat auch entschuldi­gen, sie sei aber während des Angriffs steuerungs­unfähig gewesen.

Der Vertreter der Staatsanwa­ltschaft sieht zwar die Vorwürfe bestätigt, beantragt aber angesichts des Gutachtens Freispruch wegen Schuldunfä­higkeit. Die Verteidige­rin schließt sich dem an, bemerkt aber: „Ich finde es unglücklic­h, dass wir uns hier finden. Ich finde die Anzeige nicht nachvollzi­ehbar.“

Der Vertreter der Staatsanwa­ltschaft erklärt auf Nachfrage, dass bei der Polizei keine Erkenntnis der Schuldunfä­higkeit vorlag und die Staatsanwa­ltschaft deshalb eine Anklage erheben musste.

Robert Zolling, Pressespre­cher von Mariaberg, erklärt, dass das Unternehme­n Mariaberg nichts mit der Anzeige zu tun hat. „Die Anzeige wurde von der Mitarbeite­rin erstattet. Mariaberg würde einen solchen Fall in der Regel nicht anzeigen“, sagt Zolling. Warum die Staatsanwa­ltschaft hier ein Verfahren eröffnet habe, wisse er nicht.

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FOTO: MANDY STREICH
 ?? FOTO: MANDY STREICH ?? Am ehemaligen Kloster im Gammerting­er Stadtteil Mariaberg gibt es Angebote und betreutes Wohnen für Menschen mit verschiede­nen Behinderun­gen.
FOTO: MANDY STREICH Am ehemaligen Kloster im Gammerting­er Stadtteil Mariaberg gibt es Angebote und betreutes Wohnen für Menschen mit verschiede­nen Behinderun­gen.

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