Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)
Mariaberger Betreuerin zeigt Autistin an
Die 22-Jährige soll sie mit einem Gartenstuhl verletzt haben.
MARIABERG/SIGMARINGEN - Richterin Elisabetta Carbotta vom Amtsgericht Sigmaringen hat eine 22-jährige Frau freigesprochen, die der gefährlichen Körperverletzung angeklagt war. Das Besondere an diesem Fall war, dass die junge Frau schwer geistig behindert ist und von Mariaberg betreut wird. Sie hatte bei einer Auseinandersetzung einer Betreuerin eine metallenen Gartenstuhl an der Kopf geschlagen und die auch gegenüber der Polizei eingeräumt. Ein psychiatrischer Gutachter hatte im Prozess ausgesagt, dass die Frau bei ihrer Tat steuerungsunfähig gewesen sein muss.
Schon vor Prozessbeginn wird klar, dass da etwas nicht stimmen kann. Die Angeklagte liegt eingehüllt in einen Anorak auf einer Bank und jammert laut. Ihr Vater versucht sie zu beruhigen, was ihm aber kaum gelingt. Als sie dann den Gerichtssaal betreten soll, weigert sie sich handgreiflich, wirft sich auf den Boden, ruft „Lasst mich in Ruhe“, versteckt sich unter der Kapuze ihres Anoraks und ist auf keine Art zu bewegen, den Gerichtsaal zu betreten. Vater und Mutter versuchen sie zu beruhigen und selbst Richterin Carbotta müht sich vergebens, der Angeklagten klarzumachen, dass niemand ihr etwas Böses will.
Schließlich beginnt die Verhandlung auf dem Gerichtsflur, die grundlegenden Formalien werden mithilfe der Eltern auf dem Flur abgewickelt. Der Staatsanwalt wirft der Angeklagten vor, sie habe eine Betreuerin mit einem Metallstuhl an den Kopf geschlagen, worauf diese eine Prellung und Kopfschmerzen davontrug. Durch die Benutzung eines Gegenstandes, des Stuhls, handele es sich um gefährliche Körperverletzung. Die Angeklagte will sich zu den Vorwürfen nicht äußern.
Anschließend wird die Verhandlung in Abwesenheit der Angeklagten im Gerichtssaal fortgesetzt. Das Opfer der Attacke schildert den Vorgang. Die Angeklagte habe beim Gang zum Bus andere Klienten von Mariaberg provoziert und beschimpft und sich geweigert, in den Bus zu steigen. Es sei bekannt gewesen, dass die Angeklagte renitent würde, wenn sie etwas nicht wolle. Als disziplinierende Maßnahme habe sie der Angeklagten dann ihr Käppi weggenommen. Hierin sah die Verteidigerin Birgit Müller den entscheidenden Impuls für den Aggressionsausbruch.
Der psychiatrische Gutachter schildert die Krankheit der Angeklagten. Sie sei durch Komplikationen während der Schwangerschaft von Geburt an behindert gewesen. Sie leide an frühkindlichem Autismus und einer starken Intelligenzminderung. Trotz spezieller Betreuung vom Kindergarten an habe sie grundlegende Kulturfähigkeiten nicht erlernen können. Dazu gehöre auch eine gestörte soziale Interaktion. Ihre Krankheit äußere sich in Ängsten und Aggressionen und damit verbunden einer mangelnden Impulskontrolle, sodass man öfter Zwangsmaßnahmen habe anwenden müssen. Ihre Verhüllung mit der Kapuze ihres Anoraks zeige, dass sie eine Kopfbedeckung als Schutz betrachte. Insofern sei die Wegnahme des Käppis wohl tatsächlich der Auslöser gewesen. Die junge Frau, könne zwar richtig und falsch unterscheiden und sich nach einer falschen Tat auch entschuldigen, sie sei aber während des Angriffs steuerungsunfähig gewesen.
Der Vertreter der Staatsanwaltschaft sieht zwar die Vorwürfe bestätigt, beantragt aber angesichts des Gutachtens Freispruch wegen Schuldunfähigkeit. Die Verteidigerin schließt sich dem an, bemerkt aber: „Ich finde es unglücklich, dass wir uns hier finden. Ich finde die Anzeige nicht nachvollziehbar.“
Der Vertreter der Staatsanwaltschaft erklärt auf Nachfrage, dass bei der Polizei keine Erkenntnis der Schuldunfähigkeit vorlag und die Staatsanwaltschaft deshalb eine Anklage erheben musste.
Robert Zolling, Pressesprecher von Mariaberg, erklärt, dass das Unternehmen Mariaberg nichts mit der Anzeige zu tun hat. „Die Anzeige wurde von der Mitarbeiterin erstattet. Mariaberg würde einen solchen Fall in der Regel nicht anzeigen“, sagt Zolling. Warum die Staatsanwaltschaft hier ein Verfahren eröffnet habe, wisse er nicht.