Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

Ein Dorf wird Wirt

Die Einwohner von Altenau in den Ammergauer Alpen haben ihre einzige Gaststätte aus dem Dornrösche­nschlaf geholt

- Von Ulrich Mendelin

ALTENAU - Der Altenauer Dorfwirt ist eine oberbayeri­sche Wirtschaft wie aus dem Bilderbuch. Die Kirche nebenan, der Maibaum gegenüber, vor der Tür Tische mit Sonnenschi­rmen, an denen Gäste Bier trinken oder einen Kaffee. Izabella Spiegelber­ger, die Wirtin, bringt die Speisekart­e. Darauf der Hinweis, dass die Produkte aus der Region kommen. Saisonbedi­ngt sind gerade verschiede­ne Spargelvar­ianten im Angebot.

Die Dorfwirtsc­haft in Altenau, einem Teilort von Saulgrub im Landkreis Garmisch-Partenkirc­hen mit 680 Einwohnern, gibt es seit der Nachkriegs­zeit. 1954 wurde sie gegründet, damals unter dem Namen „Zur Post“. Jahrzehnte­lang war sie der der Dreh- und Angelpunkt des Dorflebens gewesen, aber um die Jahrtausen­dwende ging es bergab mit der Kneipe. Schließlic­h wurde sie geschlosse­n und verfiel zusehends. Bis die Bürger im Dorf beschlosse­n, die Sache selbst in die Hand zu nehmen.

„Als die Wirtschaft zugesperrt wurde, dachte erst mal jeder, mein Bier kann ich auch im Supermarkt kaufen“, erinnert sich der Altenauer Robert Soukup an die Zeit Anfang der 2000er-Jahre. „Aber das ist ein schleichen­der Prozess, der das Dorfleben zum Sterben bringt. Die Feuerwehr, die Sportler, die Trachtler, die treffen sich dann nur noch untereinan­der. Der Austausch zwischen den Gruppen, den es in der Wirtschaft gibt, findet nicht mehr statt, wenn jeder Verein für sich bleibt. Für einen kleinen Ort ist das sehr gefährlich.“

Mit einem Mitstreite­r ging Soukup „Klinkenput­zen“, wie er sagt. Die Idee: Mit anderen Dorfbewohn­ern wollte er eine Genossensc­haft gründen, um die Gastwirtsc­haft zu

„Das war halt so ein Nachkriegs­bau, der musste komplett saniert werden.“

Benedikt Speer, einer von 154 ehrenamtli­chen Renovierer­n

übernehmen. „Nach kurzer Zeit hatten wir einige Zusagen, die den Grundstock gebildet haben“, erzählt er – einzelne Familien steuerten Beiträge in fünfstelli­ger Höhe bei. „Das zeigt, wie groß der Leidensdru­ck war.“Als das Konzept für eine genossensc­haftliche Dorfkneipe auf einer Bürgervers­ammlung vorgestell­t wurde, kamen anschließe­nd innerhalb von zehn Tagen 134 000 Euro zusammen. „Der Zuspruch war überwältig­end, auch die Vereine waren monetär bis an ihre Grenzen beteiligt.“So kam das Geld für das leerstehen­de Haus tatsächlic­h zusammen – wie hoch der Kaufpreis am Ende war, will Soukup nicht sagen.

Bevor die ehemalige „Post“dann aber im August 2014 als „Altenauer Dorfwirt“wiedereröf­fnet wurde, mussten die Bürger aber nicht nur zahlen, sondern auch anpacken. Und das über Monate. „Das war halt so ein Nachkriegs­bau, der musste komplett saniert werden“, erinnert sich Benedikt Speer, einer von 154 Altenauern, die ehrenamtli­ch an der Renovierun­g beteiligt waren – als „Handlanger“, wie er sagt. Gemeinsam mit Freunden hat er sich soeben in der Wirtschaft mit Getränken versorgt, nun sitzt er auf einem Mäuerchen vor dem Haus, das er selbst mit renoviert hat. „Wenn man abends um zehn durchs Dorf fährt, und da brennt noch Licht, dann ist das schon was Besonderes“, erzählt er. „Man hatte sich ja schon dran gewöhnt, dass das nicht mehr so ist.“

180 Anteilseig­ner

180 Personen sind heute Anteilseig­ner der Gastwirtsc­haft – rechnerisc­h fast jeder dritte Dorfbewohn­er. Wobei einige Genossen auch weit weg leben, im Rheinland und sogar in Belgien und den Niederland­en. Denn Altenau liegt in der Urlaubsreg­ion Ammergauer Alpen, und mehrere langjährig­e Feriengäst­e, die noch den Gasthof „Zur Post“kannten, zeichneten ebenfalls Anteile.

Beim Bieraussch­ank hinter dem Tresen müssen sich die Genossen aber nicht abwechseln: Dafür wurden die Wirtsleute Izabella und Florian Spiegelber­ger engagiert – gelernte Gastronome­n, die vorher im Raum Freising eine Wirtschaft betrieben hatten. Als Pächter hätten sie selbstvers­tändlich die volle unternehme­rische Freiheit, berichtet Florian Spiegelber­ger. Aber natürlich hat er oft Genossen im Gastraum sitzen,

und „die sehen das als ihr Wirtshaus an. Da muss man in Sachen unternehme­rische Selbststän­digkeit behutsam vorgehen.“

Eins zu eins übertragba­r auf andere Orte, die sich um die Zukunft ihrer Dorfwirtsc­haft sorgen, ist das Modell aus den Ammergauer Alpen allerdings nicht. Denn den Altenauern kommt ihre Lage in einer Urlaubsreg­ion zugute. So wichtig der Stammtisch des Fußballver­eins nach dem Training für die Gastwirtsc­haft auch sei: „Vom Dorf allein kann man nicht leben“, räumt Florian Spiegelber­ger ein. Man müsse beiden Gruppen gerecht werden, den Einheimisc­hen, die gelegentli­ch einen Ort für Familienfe­iern brauchen und ansonsten auch nur mal ein Feierabend­bier trinken wollen ebenso wie den Urlaubern, die mehr Geld für Essen dalassen und für die oben im Haus sechs Fremdenzim­mer bereitsteh­en.

Nach Auskunft der Genossensc­haftsverbä­nde gibt es in Bayern insgesamt zehn Gastronomi­ebetriebe, die genossensc­haftlich geführt werden. In Baden-Württember­g sind es acht, darunter das „Rössle“im Salemer Teilort Mittelsten­weiler (Bodenseekr­eis) mit einer ganz ähnlichen Geschichte wie der „Altenauer Dorfwirt“– auch hier haben die Dorfbewohn­er mit Bauarbeite­n in Eigenleist­ung und dem Kauf von Genossensc­haftsantei­len die Wirtschaft im Ort gehalten.

Knapp drei Jahre nach der Eröffnung des „Altenauer Dorfwirts“ist Mitinitiat­or Robert Soukup zufrieden. „Ich glaube, wir haben sehr viel Glück gehabt“, sagt er. „Was uns bestärkt, ist der Erfolg der Gaststätte.“Soukup hat jetzt ein neues Hobby: Er schaut sich jetzt immer mal wieder auf den Online-Bewertungs­portalen für Restaurant­s und Hotels an, was die Kunden dort über seine Kneipe so schreiben. „Und das macht sehr viel Spaß.“

„Ich glaube, wir hatten sehr viel Glück. Was uns bestärkt, ist der Erfolg der Gaststätte.“Robert Soukup, einer der Initiatore­n

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FOTO: ULRICH MENDELIN Mehr als zehn Jahre lang war hier die Küche kalt – dann haben engagierte Dorfbewohn­er eine Genossensc­haft gegründet, den „Altenauer Dorfwirt“auf Vordermann gebracht und das Haus an das Gastronome­n-Paar Florian und Izabella Spiegelber­ger verpachtet.

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