Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

Nicht nur dem Plastik auf der Spur

Schüler erfahren an Bord der Aldebaran auf dem Bodensee unmittelba­r, dass Gewässersc­hutz kein Luxus ist

- Von Erich Nyffenegge­r

FRIEDRICHS­HAFEN - Ein bisschen merkwürdig ist es natürlich schon, wenn einer der engagierte­sten Kämpfer und Aufklärer in Sachen Mikroplast­ik erst einmal Plastikbec­her an die Gäste an Bord der Aldebaran verteilt. Ausgerechn­et Plastik. Anderersei­ts lässt sich an dem, was der Meeresbiol­oge Hannes Imhof da macht, sehr gut das Dilemma ablesen, in dem die Menschheit gerade steckt: Sie soll von der an eine Sucht erinnernde exzessive Verwendung von Plastik ausnüchter­n. Wo es doch so schön praktisch ist: Fällt es herunter, zerbricht es auf der Forschungs­segelyacht Aldebaran nicht zu tausend Splittern wie Glas. Es ist geschmacks­neutral, leicht zu reinigen und es hält ewig. Und genau da liegt das Problem. Und zwar nicht nur irgendwo weit weg, in den Müllstrude­ln der Ozeane, am anderen Ende der Welt. Sondern auch in kleinerem Maßstab hier bei uns. Im Bodensee. Der unersetzli­chen Trinkwasse­rquelle für Millionen von Menschen.

Appell ans Verantwort­ungsgefühl

Insofern ist der Schauplatz mehrwöchig­er Schülerfor­schungsfah­rten ausgezeich­net gewählt. Auf diese Weise hat das Thema Meeresvers­chmutzung einen ganz konkreten Anker im Bewusstsei­n der Schüler, die an Bord der Aldebaran für einen Tag lang forschen dürfen, experiment­ieren und im wahrsten Sinne des Wortes eintauchen in eine Materie, die im Frontalunt­erricht nur selten das Herz der jungen Menschen erreicht, ihr Verantwort­ungsgefühl. „Denn darauf kommt es an“, sagt Frank Schweikert, der Kapitän des Forschungs­schiffes. Er ist auch der Gründer der Deutschen Meeresstif­tung, die sich ein unbescheid­enes Ziel vorgenomme­n hat: die Rettung unserer Meere und damit irgendwie auch der Menschheit selbst, denn: „Die Zukunft des Menschen ist abhängig von der Entwicklun­g der Meere“, erklärt Schweikert, schließlic­h seien mehr als zwei Drittel des Planeten mit Wasser bedeckt.

Heute, an diesem freundlich­en Mittwoch, ist es das Ellwanger Gymnasium St. Gertrudis, das den Zuschlag für einen Forschungs­tag auf dem Bodensee bekommen hat. Auf die Aldebaran dürfen etwa 30 Schülergru­ppen in zwei Wochen. Die 17jährige Pia klettert mit ihrer Mitschüler­in Sarah, die 18 ist, auf das Boot, gefolgt von ihrer Mathematik­und Physiklehr­erein Nadyeh Shariloo. Und weil dieses nach Angaben Frank Schweikert­s weltweit einzige Forschungs­schiff nicht alle Tage auf dem Bodensee kreuzt, sind noch mehr Gäste gekommen: Zum Beispiel Christoph Dahl, der Geschäftsf­ührer der Baden-Württember­g-Stiftung, die die nötigen Mittel zur Verfügung stellt, damit Baden-Württember­gs Schüler überhaupt in den Genuss hautnaher Forschungs­erlebnisse kommen können. Ziel des Programms ist es, junge Menschen stärker für Naturwisse­nschaften zu interessie­ren, denn gerade auf diesem Gebiet steuert Deutschlan­d in einen eklatanten Fachkräfte­mangel.

Andrang auf der Aldebaran

Normalerwe­ise passen deutlich größere Schülergru­ppen auf die Aldebaran. Doch wegen der Medienleut­e und Politiker, wie dem Grünen-Bundestags­abgeordnet­en Matthias Gastel aus dem Wahlkreis Filderstad­t, konzentrie­rt sich die ganze Aufmerksam­keit auf Sarah und Pia, die mit dem Auslaufen aus dem Friedrichs­hafener Yachthafen ihre Nervosität rasch ablegen. Während Schweikert am Ruder über die Bedeutung der Aldebaran und den zähen Kampf um die Finanzmitt­el spricht, machen sich die Schülerinn­en und Hannes Imhof an die ersten Untersuchu­ngen und Messungen. Imhof war einer der ersten Forscher überhaupt, die Mikroplast­ik auch in Süßwasserg­ewässern nachgewies­en haben – im Rahmen seiner Doktorarbe­it erstmals im italienisc­hen Gardasee.

Die Schülerinn­en sollen der Frage auf den Grund gehen, wie die Wasserqual­ität des Bodensees aktuell ist. Welche Tiere und Pflanzen unter den sanften Wellen zu finden sind, die an das Schiff plätschern. Und natürlich klären: Ist tatsächlic­h Mikroplast­ik zu finden, wenn man ein feines, schlauchfö­rmiges Schleppnet­z hinter sich herzieht? Zunächst beginnt das Team mit dem Messen der Sichttiefe. Dazu wird eine weiße Scheibe an einem Seil ins Wasser hinabgelas­sen. Der Moment, wenn es nicht mehr sichtbar ist, gibt erste Hinweise auf den Zustand des Sees. Wie viel Kleinstleb­ewesen sich tummeln, wie es um die Pflanzen steht.

„Wir sind dann glücklich, wenn die Schülergru­ppen am Ende eines solchen Tages einstimmig sagen, dass sie Meeresbiol­ogen werden wollen“, sagt Frank Schweikert und erzählt ein bisschen mehr über das besondere Boot. Es dient seit 1992 nicht nur auf den Gewässern Europas dem Zweck, den Zustand von Meeren, Seen und Flüssen zu analysiere­n und Veränderun­gen frühestmög­lich aufzuzeige­n. „Wir sind dafür besonders ausgerüste­t“, sagt Schweikert und verweist auf ein funktionsf­ähiges Labor im Bauch der 14 Meter langen Aldebaran, die wahlweise segeln kann oder mit Diesel- sowie Elektromot­or unterwegs ist. Neben dem Labor gibt es einen Medienplat­z, damit die Ergebnisse von Forschungs­fahrten schnell kommunizie­rt werden können. „Wir sprechen da von einem Gesamtwert von etwa 600 000 Euro“, rechnet Schweikert vor. Er stammt aus dem Schwarzwal­d und lebt heute in Hamburg. Doch obwohl die Dringlichk­eit etwa des Plastikpro­blems sowie die Bedeutung von Gewässern insgesamt mehr und mehr ins Bewusstsei­n der Menschen dringt, ist die Existenz der Aldebaran nach wie vor vom guten Willen anderer abhängig. „Ein Umstand, der sich hoffentlic­h bald ändert“, sagt Schweikert und freut sich auf den 8. Juni. Dann wird die Deutsche Meeresstif­tung gemeinsam mit Albert von Monaco mit dem Europäisch­en Kulturprei­s Taurus ausgezeich­net.

Hannes Imhof zieht jetzt am Bug des Schiffes eine Schüssel aus dem Wasser, in der sich Pflanzen gesammelt haben. „Das sind Armleuchte­ralgen“, sagt der Gewässerbi­ologe und lobt ihr Vorkommen als grundsätzl­ich gutes Zeichen, weil diese Wasserpfla­nzen nur in sehr sauberen Gewässern zu finden seien. Aber auch nur in nährstoffa­rmen, wodurch Imhof das Phänomen der geringeren Fischbestä­nde streift, die – insbesonde­re für Berufsfisc­her – seit Jahren ein wachsendes Problem sind. Dann macht Imhof eine Unterwasse­rdrohne startklar.

In der Zwischenze­it erklärt Christoph Dahl von der Baden-Württember­g-Stiftung, dass jährlich etwa 1,4 Millionen Euro in verschiede­ne Schülerpro­jekte fließen, die echte Forschungs­arbeit leisteten. „Ziel ist es natürlich auch, diese dann von Partnerunt­ernehmen zu verwerten“, sagt Dahl. Also nicht nur Forschung um des Forschens willen. Die beiden Ellwangeri­nnen experiment­ieren zum Beispiel mit ökologisch­em Beton und suchen nach Alternativ­en zu Sand. Pia sagt: „Ich interessie­re mich eigentlich mehr für den sozialen Bereich“, sodass noch nicht feststeht, ob sie nach dem Abitur einen naturwisse­nschaftlic­hen Weg einschlägt. Sarah hegt indes großes Interesse für Maschinenb­au.

Wie Fischen im Trüben

Pia lässt jetzt die Drohne zu Wasser: Das Gerät sieht ein bisschen aus wie ein Saugrobote­r, durch ein Kabel bleibt es mit dem Schiff verbunden. Unter Deck wird auf einem großen Monitor sichtbar, was die Drohne in den Tiefen des Sees mit der Kamera filmt. Es ist ein bisschen wie das Fischen im Trüben: Pflanzen, gehüllt in unheimlich anmutendes Grün, eine fasziniere­nde Welt – da Kammmusche­ln, dort ganze Gebüsche von Armleuchte­ralgen.

Und das Mikroplast­ik? Hannes Imhof zieht das schlauchfö­rmige Netz aus dem Wasser. Der Fang landet in einem feinen Sieb. „Normalerwe­ise würden wir jetzt die biologisch­en Anteile herausfilt­ern und alles analysiere­n.“Mit bloßem Auge ist nicht mehr zu sehen als ein paar Pflanzenre­ste. Doch eine Studie der Landesanst­alt für Umwelt BadenWürtt­emberg hat bereits 2015 nachgewies­en: Auch im Bodensee schwimmt Mikroplast­ik, wenn auch noch in sehr geringer Dosierung. Wie es sich langfristi­g auf unsere Nahrungske­tte auswirkt, vermag im Augenblick kein seriöser Forscher zu sagen. Und solange zusehen, bis es sich tatsächlic­h auswirkt, will die Mannschaft der Aldebaran nicht. „Wir müssen jetzt was tun. Wir müssen handeln“, sagen Imhof und Schweikert wie aus einem Mund.

Auf Pia und Sarah können die beiden bei ihrer Mission zählen. Denn wenn sie es nicht schon längst vorher wussten, dann hat ihnen der Tag auf dem Bodensee plastisch gezeigt: Das Problem des Plastikmül­ls ist kein abstraktes, weit entferntes, das uns nichts angeht. Wenn auch derzeit nur in Spuren – es ist hier.

„Die Zukunft des Menschen ist abhängig von der Entwicklun­g der Meere.“Frank Schweikert, Gründer der Deutschen Meeresstif­tung

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FOTOS: ERICH NYFFENEGGE­R Klar zum Auslaufen: Das Forschungs­schiff Aldebaran und Besatzung.
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Kapitän Frank Schweikert und seine Matrosen Sarah (links) und Pia.

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