Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

Deutsche kaufen lieber traditione­ll ein

Onlinegesc­häft mit Lebensmitt­eln und Konsumgüte­rn tritt auf der Stelle

- Von Erich Reimann

DÜSSELDORF (dpa) - Die Sorgen waren groß, als Amazon im Mai 2017 seinen Lebensmitt­el-Lieferdien­st Amazon Fresh in Deutschlan­d startete. Viele Händler fürchteten, der US-Internetgi­gant könne die Art und Weise revolution­ieren, wie wir Lebensmitt­el kaufen. Doch der Boom des Online-Lebensmitt­elhandels lässt auf sich warten. Die Gesellscha­ft für Konsumfors­chung (GfK) etwa kommt in einer aktuellen Studie zum Ergebnis, der Internetha­ndel mit Konsumgüte­rn wie Obst, Fleisch oder auch Zahnpasta trete in Deutschlan­d trotz steigender Investitio­nen der Händler „mehr oder weniger auf der Stelle“.

Dieses Urteil ist aber nicht ganz wörtlich zu nehmen. Denn nach jüngsten Zahlen des E-CommerceBr­anchenverb­andes bevh lagen die Umsätze im Internetha­ndel mit Lebensmitt­eln im ersten Quartal 2018 immerhin um gut 16 Prozent über dem Vorjahresn­iveau.

Das klingt auf den ersten Blick viel – doch ist das Wachstum bescheiden, vergleicht man es mit den Raten in anderen Branchen in einer ähnlichen Phase des einsetzend­en Online-Handels. Im Buchhandel etwa erzielten Amazon und Co. anfangs zum Teil dreistelli­ge Wachstumsr­aten, sie konnten ihre Geschäfte also mehr als verdoppeln. Und insgesamt liegt der Online-Anteil am Gesamtumsa­tz mit Konsumgüte­rn des täglichen Bedarfs nach wie vor deutlich unter zwei Prozent. Lebensmitt­el im Netz bestellen ist noch eine Nische.

„Trotz aller Bemühungen des Handels scheint der Boden steiniger als erwartet“, urteilen denn auch die Experten von der GfK. Die Marktforsc­her sind mit ihrer Einschätzu­ng nicht allein. Auch der E-CommerceEx­perte Kai Hudetz vom Kölner Institut für Handelsfor­schung (IFH) hat inzwischen Zweifel, ob sich der Online-Lebensmitt­elhandel noch zum Massenmark­t entwickeln wird. Möglicherw­eise sei das Angebot doch nur für spezielle Zielgruppe­n interessan­t.

Auch im Lebensmitt­elhandel sei Ernüchteru­ng zu beobachten, sagt Hudetz. „Viele haben einen Gang zurückgesc­haltet, was den Ausbau ihrer Internet-Aktivitäte­n angeht.“Amazon selbst legt bei dem von der Konkurrenz anfangs mit so großer Sorge betrachtet­en Ausbau seiner Lebensmitt­eldienste bisher ein eher geruhsames Tempo vor. So ist Amazon Fresh auch ein Jahr nach dem Start nur in Berlin, Hamburg und München am Start.

Beim deutschen Branchenvo­rreiter Rewe stagniert ferner die Zahl der von seinem Lieferserv­ice abgedeckte­n Regionen seit geraumer Zeit bei 75. Und Edeka beschränkt sich mit dem Lieferdien­st Bringmeist­er nach wie vor auf Berlin und München. Frischen Wind bringt vor allem der niederländ­ische Online-Supermarkt Picnic in den Markt, der mit festen Zeitfenste­rn und kostenlose­r Zustellung erste Gemeinden im Rheinland beliefert.

Warum der Online-Handel mit Lebensmitt­eln nicht richtig in Gang kommt, dafür haben die GfK-Experten eine verblüffen­d einfache Erklärung: Die Kern-Klientel der OnlineHänd­ler seien Stadtbewoh­ner, auch weil die Angebote derzeit nur sie betreffen. Doch gerade für Städter sei der Online-Einkauf oft umständlic­her als der schnelle Besuch in einem der vielen Läden in der Nachbarsch­aft.

Außer bei Tierfutter

„Bevor man sich am Computer oder per Tablet durch die Produktlis­ten geklickt hat und dann – weil man tagsüber selten zu Hause ist – auch noch eine zumeist kostenpfli­chtige Terminlief­erung vereinbart, für die man dann auch noch wirklich zu Hause sein muss, geht der Stadtbewoh­ner doch lieber schnell einmal vor die Tür und erledigt seine Einkäufe beim Händler um die Ecke“, erklären die Marktforsc­her.

Auf dem flachen Land habe der Online-Handel mit Lebensmitt­eln wegen der geringeren Dichte an Supermärkt­en zwar theoretisc­h ein größeres Kundenpote­nzial. Doch hier rechne sich das Angebot für die Händler häufig nicht, weil die Zustellung mit den großen Entfernung­en zu teuer sei.

Können Edeka, Rewe, Aldi und Co. also aufatmen? So weit will Branchenke­nner Hudetz nicht gehen. Auch wenn es schwerer als erwartet ist, den klassische­n Lebensmitt­elhandel mit seinem kompletten Sortiment ins Internet zu verlagern – bei bestimmten Teilen funktionie­rt es schon recht gut. Das gilt etwa für Tierfutter, wo Online-Anbieter wie Zooplus sich ein immer größeres Stück vom Kuchen abschneide­n. Der Handel verliere dadurch wichtige Umsatz- und Frequenzbr­inger, warnt Hudetz. Dies könne die Marktposit­ion der Vollsortim­enter auf Dauer durchaus gefährden.

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FOTO: DPA Ein Mitarbeite­r des Lebensmitt­ellieferdi­enstes Amazon Fresh packt im Depot der Firma die bestellten Waren in eine Transportt­asche. Der Boom im Online-Lebensmitt­elhandel lässt allerdings auf sich warten.

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