Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

Das Berliner Problemvie­rtel mausert sich zum multikultu­rellen Szenetreff

Neukölln mit seinen unzähligen Bars und Cafés gilt mittlerwei­le sogar als beliebtes Touristenz­iel

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BERLIN (dpa) - Wenn von „Neuköllner Verhältnis­sen“die Rede ist, geht es meist um soziale Probleme und organisier­te Kriminalit­ät. Eine verengte Sichtweise. Der Berliner Stadtteil ist längst auch ein Sehnsuchts­ort für junge Menschen aus aller Welt.

An der Stelle, wo früher eine große Kreuzung war, befindet sich heute eine Kaffeebude. Der Platz, auf dem sie seit wenigen Jahren steht, heißt eigentlich Alfred-Scholz-Platz. Er ist benannt nach einem SPD-Politiker, der in den Goldenen Zwanzigern erster Neuköllner Bezirksbür­germeister war. Örtliche Hipster nennen den Platz aber nur „den Plaza“.

Die Ironie liegt auf der Hand, wenn man den Ort sieht. Mit Pomp und Größe hat er wenig zu tun. Da stehen ein Schnäppche­n-Center, ein Spätkauf und eben die Kaffeebude. Die „Rixbox“heißt so, weil sie genau am Eingang von Rixdorf steht, dem böhmischen Viertel, aus dem Neukölln entstanden ist – und dort bekommt man sämtliche Kaffeetren­dgetränke, aber auch veganes Essen.

Neukölln ist ein Stadtteil im stetigen Wandel, ein kulturelle­r Schmelztie­gel. Das Viertel ist stark türkisch und arabisch geprägt, vor allem die drei großen Straßen Sonnenalle­e, Karl-Marx-Straße und Hermannstr­aße. Das besondere Flair zieht viele Touristen an.

Auf dem Plaza begegnet man dem Neuköllner Personal in seiner ganzen Vielfalt. Internatio­nale Studenten, junge Unternehme­r und AirbnbPart­ytouristen. Gleichzeit­ig sieht man viele Obdachlose. Die meisten türkischen Restaurant­s gibt es auf der Karl-Marx-Straße, die am Plaza vorbeiführ­t und südlich davon nur noch einspurig ist. Das Projekt, das sich für die Entschleun­igung und Aufwertung des Viertels verantwort­lich zeigt, nennt sich „Aktion KarlMarx-Straße“. Dass es jetzt den Plaza gibt, ist ebenfalls ihr zu verdanken.

Keine Frage, dieser Ort ist hässlich und komplett zusammenge­würfelt. Von der kaputten Oberfläche sollte man sich aber nicht täuschen lassen. Hier und in unmittelba­rer Nähe des Plazas findet man auch jenes Neukölln, dessen Dichte an Cafés und Bars kaum noch steigerbar scheint und das zum internatio­nalen und nationalen Sehnsuchts­ort junger Menschen geworden ist – obwohl die Mieten in den vergangene­n Jahren stark gestiegen und der Wohnraum knapp geworden ist.

Ein guter Startpunkt, um dieses kosmopolit­ische Neukölln zu entdecken, ist der Platz allemal. Von hier aus läuft man den Rollberg hinauf in den Schillerki­ez, der neben den vielen netten Cafés vor allem einen großen Vorteil hat: das Tempelhofe­r Flugfeld. Besonders im Sommer lässt es sich hier gut aushalten, da ist der ehemalige, 350 Hektar große Flugplatz voll mit jungen Menschen.

In der anderen Richtung geht es vom Plaza aus nach Rixdorf. Das Viertel ist mit seinen niedlichen Fachwerkhä­usern eine unerwartet­e Idylle und Gegenpol zur lauten KarlMarx-Straße.

Bars en masse finden sich vor allem in Kreuzkölln, dem Kiez, der nördlich der Sonnenalle­e liegt. Das Bier ist hier meistens nicht besonders teuer, außerdem darf man in sehr vielen Bars rauchen. Am verrauchte­sten ist es wahrschein­lich in der Bar Das Gift. In dieser sogenannte­n Expat-Bar wird fast ausschließ­lich Englisch gesprochen.

Besonders am Wochenende platzen viele dieser Bars aus allen Nähten. Vor der Bar TiER gibt es deswegen eine Ampel, die anzeigt, wie voll es drinnen ist. Freitags und samstags steht sie fast immer auf Rot.

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FOTOS: DPA Beliebter Treffpunkt: die Kaffeebude Rixbox am sogenannte­n Plaza, dem Alfred-Scholz-Platz in Neukölln.
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Cocktail mit Kräutern aus einem Berliner Garten.

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