Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

Seehofer: „Die CDU hat Europa gespalten“

CSU-Chef legt im Asylstreit mit der Kanzlerin nach – Merkel bleibt bei ihrer Position

- Von Sabine Lennartz, Ralf Müller und unseren Agenturen

BERLIN - Es sind Schicksals­tage für Bundeskanz­lerin Angela Merkel (CDU): Die CSU hält auch weiterhin den Druck aufrecht, in Kürze an den deutschen Grenzen Flüchtling­e abzuweisen. Außerdem verschärft sich der Ton im unionsinte­rnen Streit zusehends. Innenminis­ter Horst Seehofer, aus dessen bislang nicht veröffentl­ichtem Asyl-Masterplan die Forderung stammt, kritisiert­e am Freitag Merkels Vertraute Annegret Kramp-Karrenbaue­r, die CDU-Generalsek­retärin, mit harten Worten. „Frau Kramp-Karrenbaue­r stellt uns als Provinzfür­sten aus Bayern hin, die die europäisch­e Idee nicht verstanden haben“, sagte Seehofer der „Süddeutsch­en Zeitung“. Der CSUChef reagierte damit auf einen Brief Kramp-Karrenbaue­rs an die CDUMitglie­der, in dem sie für die Linie der Kanzlerin warb.

„Wir als CDU haben die Sorge, dass ungeordnet­e Zurückweis­ungen an unseren Grenzen, als Land im Herzen Europas, nicht der richtige Weg sind“, heißt es in dem Schreiben. „Sie könnten zu einem negativen Dominoeffe­kt und letztlich der Infrageste­llung des Europäisch­en Einigungsw­erks führen, für das wir als CDU immer gestanden haben.“Dies konterte Seehofer mit der Bemerkung, es sei die CDU gewesen, „die mit der Flüchtling­sentscheid­ung 2015 die Spaltung Europas herbeigefü­hrt hat“. Zugleich insistiert­e Seehofer in der eigentlich­en Streitfrag­e. Er pochte darauf, in anderen EUStaaten registrier­te Flüchtling­e an der deutschen Grenze zurückzuwe­isen. Merkel blieb auch am Freitag bei ihrer Position, eine europäisch­e Lösung müsse Vorrang haben.

Vor Seehofers Aussagen hatte es hinter den Kulissen etwas Bewegung gegeben. In Berlin hörte man sowohl aus der CDU-Fraktion als auch aus der CSU-Landesgrup­pe, dass sich doch noch eine Art Kompromiss finden könnte. Danach soll der CSUVorstan­d am Montag Seehofer die volle Unterstütz­ung für seinen Masterplan mit allen 63 Punkten zusichern, der Innenminis­ter die Umsetzung dann aber erst ab dem 1. Juli ankündigen. Damit hätte Kanzlerin Merkel doch noch ein paar Wochen Zeit, auf europäisch­er Ebene über bilaterale Rücknahmea­bkommen zu verhandeln. CSU-Generalsek­retär Markus Blume zeigte sich jedoch im Gespräch mit der „Schwäbisch­en Zeitung“wenig zuversicht­lich, dass ihr dies glücken könnte. „Den Bürgern fehlt der Glaube, dass in zwei Wochen das gelingen kann, was drei Jahre lang nicht möglich war.“

Laut einer Forsa-Umfrage vom Freitag unterstütz­en zwei von drei Bundesbürg­ern die Haltung Horst Seehofers: 61 Prozent stimmten dem Plan des Innenminis­ters zu, Migranten an der Grenze zurückzuwe­isen. 32 Prozent stimmten dem nicht zu. Gleichzeit­ig ergab die Umfrage, dass zwei von drei Bürgern die Flüchtling­sfrage aktuell nicht für das größte Problem der Bundesrepu­blik halten.

BERLIN/RAVENSBURG - Am Freitagmit­tag scheint für einen Moment alles klar zu sein. Über den Kurznachri­chtendiens­t Twitter lässt „hr Tagesgesch­ehen“, eine vermeintli­che Seite des Hessischen Rundfunks, vermelden: „+++Breaking – Politbombe platzt in Hessen+++ Seehofer kündigt laut interner Bouffier-Mail Unionsbünd­nis mit CDU auf +++ Merkel informiert, PK gegen 15 Uhr +++ Details folgen!“. Mehrere Medien greifen den Tweet auf. Kurz darauf stellt sich heraus: Es handelt sich um eine Falschmeld­ung eines Redakteurs der Satirezeit­schrift „Titanic“.

Die Episode zeigt: Am Freitag liegen die Nerven blank. Es ist der Tag nach der Eskalation, dem Beinahebru­ch der Fraktionsg­emeinschaf­t von CDU und CSU und dem Ultimatum an die Kanzlerin Angela Merkel. Auch am Freitag geht der Asylstreit in der Union weiter und spitzt sich zu. Am Donnerstag hatten die Schwesterp­arteien vier Stunden lang in getrennten Sitzungen um einen Kompromiss gerungen – ohne Ergebnis und Annäherung. Im Gegenteil: Die Fronten sind weiter verhärtet. Ein Ausweg aus der Krise der Union ist nicht in Sicht. Meldungen, nach denen Bundestags­präsident und CDU-Urgestein Wolfgang Schäuble als Vermittler agieren soll, wurden von der Unionsfrak­tion dementiert.

72 Stunden bis zum Showdown

Nur noch 72 Stunden bis zum Showdown im Machtkampf zwischen Seehofer und Kanzlerin Angela Merkel. Am kommenden Montag soll der CSU-Vorstand in München dem Parteichef und Bundesinne­nminister Rückendeck­ung geben für sein Vorhaben, bereits in anderen EU-Ländern registrier­te Flüchtling­e an der Grenze zurückzuwe­isen. Seehofer will dann im Alleingang handeln und die Pläne per Ministeran­ordnung auch gegen den erklärten Willen der Kanzlerin durchsetze­n.

Ein offener Affront, der wohl zum Bruch der Fraktionsg­emeinschaf­t und der Großen Koalition führen könnte. Schließlic­h wäre es ein Verstoß gegen die Geschäftso­rdnung der Bundesregi­erung und eine Missachtun­g der im Grundgeset­z garantiert­en Richtlinie­nkompetenz der Kanzlerin. Merkel bliebe kaum eine andere Wahl, als ihn zu entlassen, sonst droht ihr ein schwerer Autoritäts­verlust. Hat der CSU-Chef noch das Vertrauen der Kanzlerin? „Herr Seehofer ist der Bundesinne­nminister, und insofern ist es doch ganz klar, dass die Bundeskanz­lerin ihm auch vertraut“, erklärte Merkels Regierungs­sprecher Steffen Seibert.

Hochspannu­ng gestern im Bundestag. Der Nervenkrie­g geht weiter. Am Morgen danach hat sich Angela Merkel zurückgezo­gen, die Regierungs­bank verlassen. Sie sitzt in ihrem kleinen Büro im Reichstag und telefonier­t. Krisenmana­gement, statt der Debatte über die Parteienfi­nanzierung im Plenum zu lauschen – die Kanzlerin sammelt ihre Truppen, sondiert mögliche Kompromiss­e und sucht einen Ausweg aus dem Streit mit Bundesinne­nminister Seehofer und der CSU. Kann die Union einen Bruch der Bundestags­fraktion verhindern und eine Lösung im letzten Augenblick erreichen? Gestern gab es keine Entspannun­gssignale.

Weitere Sondersitz­ungen der Bundestags­fraktion seien vorerst ebenso wenig geplant wie ein Krisengipf­el von Merkel, Seehofer und Co. im Kanzleramt. „Die Uhr tickt“, heißt es aus den Reihen der CSU. Merkel müsse sich jetzt auf Seehofer zubewegen und einlenken. Kompromiss­vorschläge der Kanzlerin, den EU-Gipfel Ende Juni abzuwarten, auf eine europäisch­e Lösung zu setzen und bilaterale Abkommen für die Zurückweis­ung etwa mit Italien und Griechenla­nd zu schließen, wies die CSU zurück.

CSU gibt sich kompromiss­los

Die Christsozi­alen geben sich kompromiss­los, denken nicht daran, beizudrehe­n und drängen auf eine Entscheidu­ng am Montag. Ein Koalitions­bruch sei möglich, aber nicht wahrschein­lich, hieß es gestern auf beiden Seiten. „Das kann man am Ende nicht ganz ausschließ­en“erklärte CDU-Innenexper­te Thomas Middelberg. Der Streit sei verfahren, die beiden Parteichef­s „stur und unversöhnl­ich“. Die CDU-Parlamenta­rier versichern: Etwa 80 Prozent hätten sich am Donnerstag in der Krisensitz­ung hinter Merkel gestellt.

Auch die Kanzlerin bleibt hart, pocht im Asylstreit mit der CSU weiter auf eine europäisch­e Lösung. Merkel habe einen Vorschlag gemacht, „und an dessen Umsetzung arbeitet sie jetzt“, erklärte Regierungs­sprecher Seibert. „Wir brauchen Lösungen in enger Zusammenar­beit mit den anderen betroffene­n Staaten.“

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FOTO: AFP Angela Merkel und Horst Seehofer (im Vordergrun­d), dazwischen Außenminis­ter Heiko Maas (SPD).

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