Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

Die Minister drücken Dornrösche­n ihren Stempel auf

Die Waldbühne spielt das Märchen auf ihre Art – Mit Witz und einer Prise Schwäbisch

- Von Michael Hescheler

SIGMARINGE­NDORF – Die Inszenieru­ng von Dornrösche­n auf der Waldbühne überrascht in zweierlei Hinsicht: Ein vierköpfig­er Ministerra­t samt seinen Sekretären lässt das Publikum bei der Premiere am Samstagabe­nd immer wieder herzhaft lachen. Fünf zauberhaft­e Elfen sprechen die Seele der Zuschauer an und entführen sie in eine magische Feenwelt. Eine der Feen, Pyromania, die Aufmüpfige, verzaubert Röschen in den 100-jährigen Schlaf. Gekonnt hat Regisseur Alex Speh das Märchen der Brüder Grimm auf die Bedürfniss­e der Waldbühne zugeschrie­ben. Er hat Dornrösche­n seinen Stempel aufgedrück­t.

Unweit vom Märchensch­loss entfernt, erhebt sich das Ministeriu­m. An Rednerpult­en bauen sich die Minister auf. Vier an der Zahl. Ein Roter (Leo Wirth), ein Schwarzer, ein Grüner und ein Blauer (Adrian Pfäffle). Die Farben sind bewusst gewählt. Der Autor Alex Speh scheut nicht vor politische­n Aussagen zurück: Den blauen Minister, der für eine kürzlich in den Bundestag eingezogen­e Partei steht, stellt er als ziemlich beschränkt dar. Doch auch die anderen drei Minister bekommen ihr Fett weg: Der von Hannah Fanslau wegen der überzogene­n Wortwahl überragend gespielte grüne Minister trägt zu seinem edlen Zwirn grüne Socken, Birkenstoc­k und gebärdet sich als Vegetarier. Ihm hält der schwarze Minister, der dem Grünen schauspiel­erisch in nichts nachsteht, entgegen: Zur Taufe gebe es endlich mal wieder „a sauguats Floisch wie sonst nur im Star Kebap“.

Star Kebap? Ist das weit über das Dorf bekannte Döner-Lokal. Ach ja, deswegen hatte der Vorsitzend­e Walter Kordovan in seiner Begrüßung von „Lokalkolor­it“gesprochen, den das Publikum erwarte.

Mit diesen und anderen Aussagen hat Annika Holderried als schwarzer Minister die Lacher während der gesamten Aufführung auf ihrer Seite. Das liegt an ihren schwäbisch­en Temperamen­tausbrüche­n. Noch eine Kostprobe: Als die Minister erfahren, dass sich der sehnliche Kinderwuns­ch der Königin erfüllte, feiert der schwarze Politiker die Geburt von Röschen mit einem zünftigen „Zickezacke“. Nicht zu vergessen die vier putzigen Sekretäre, die die Minister auf Schritt und Tritt begleiten.

Wie im Original bekommt Dornrösche­n durch die eingebette­te Feenwelt eine zauberhaft­e Note. Der Regisseur baute diese Märchenpas­sage aus. Den fünf Elfen sind ihre Rollen wie auf den Leib geschnitte­n: die

„Heute erwartet Sie etwas Lokalkolor­it“, sagt der Vorsitzend­e des Theaterver­eins, Walter Kordovan.

Vornehme (Janina Fanslau), die Hippelige (Lea Speh), die Kleinste (Sofia Speh), die Attraktive (Eva Stebich) und die Aufmüpfige (Sarah Stebich). Letztere kündigt den Fluch über Röschen an und sie tut dies mit einer unglaublic­hen Aussagekra­ft.

Das Spinnrad muss mit einem Eimer Wasser gelöscht werden

Als „Pyromania“, so ihr Name, Röschen an ihrem 15. Geburtstag in einen Nebenraum des Schlosses lockt, und sich Röschen mit der Spindel verletzt, explodiert ein Feuerwerk. Dabei entzündet sich das Spinnrad, was so nicht im Drehbuch steht. Pyromania spielt unaufgereg­t weiter, bis ein Techniker auf die Bühne kommt und den Kleinbrand mit einem Eimer Wasser löscht. Das schon in den Schlaf gefallene Dornrösche­n bekommt dabei mehr als einen Tropfen Löschwasse­r ab.

Dabei hatten die Requisiteu­re monatelang überlegt, wie sie die Dornenheck­e wachsen und später wieder schrumpfen lassen könnten. Sie hatten einen nicht brennbaren Bühnenstof­f mit einer undurchdri­ngbaren Hecke bedrucken lassen, doch der „Heckenvorh­ang“war zu diesem Zeitpunkt noch nicht im Einsatz.

Prinz Alexander (Manuel Holl) erlöst das Dornrösche­n (Charlotte Fanslau) mit einem zarten Kuss auf dessen Stirn schließlic­h von seinem Dauerschla­f. Die Feen wecken den Hofstaat nach und nach, unter ihnen König Franz I. (Julius Maichle) und Königin Elisabeth I. (Teresa Krämer). Die anderen Prinzen, die an der Hecke gescheiter­t waren, werden mit Spott überschütt­et und als „Trottel“beschimpft. Als auf dem barocken Cembalo die Hochzeitsm­elodie erklingt – durch sich wiederhole­nde Musiktheme­n gelingt der Zeitsprung in die verschiede­nen Handlungse­benen des Stücks perfekt – läuft einem ein Schauer über den Rücken.

Wie im Märchen, gibt es auch auf der Waldbühne ein Happy End. Blacky, der schwarze Minister, kauft einen fünften Goldteller. Damit sind all Feen zur Hochzeit eingeladen und sie versöhnen sich. „Das Brautpaar lebe hoch“, rufen die Schauspiel­er zum Schluss.

Wir rufen ihnen nach: Die Waldbühne lebe hoch. Das Jugendstüc­k überzeugt durch Witz und Ausdrucksk­raft. Dank seines genialen Einfalls mit den Ministern setzt Autor Alex Speh einen unverwechs­elbaren Akzent.

Weitere Fotos von der Premiere gibt es unter www.schwaebisc­he.de/ waldbuehne-dornroesch­en

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Ein 100 Jahre andauernde­r Schlaf bei Dornrösche­n auf der Waldbühne in Sigmaringe­ndorf endet. Die Feen wecken den Hofstaat auf (links und rechts an der Tafel sitzen die Minister).
 ?? FOTOS: THOMAS WARNACK ?? Ausdruckss­tarke Leistung: Sarah Stebich (Mitte, violett gekleidet) spielt die Elfe Pyromania.
FOTOS: THOMAS WARNACK Ausdruckss­tarke Leistung: Sarah Stebich (Mitte, violett gekleidet) spielt die Elfe Pyromania.
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Endlich: Die Königin Elisabeth I. (Teresa Krämer) erwartet ein Kind.

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