Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)
Frauen im Abseits
Während der Weltmeisterschaft hat die Gleichberechtigung Pause
RAVENSBURG - „Auf welches Tor müssen wir schießen“oder „Der hat ja coole Schuhe“: Diese zwei Sätze sind Teil eines Spiels, welches der TV-Sender Telekom Sport veröffentlichte. Männer sollen bei einer Art Bingospiel abhaken, wenn ihre Frauen diese oder ähnliche Kommentare von sich geben. Dieses Spiel, das zur ersten Partie der deutschen Nationalmannschaft bei der WM in Russland erschien, ist nur ein Beispiel für Diskriminierung und frauenfeindliche Klischees während der WM.
Auch der Bayerische Rundfunk äußerte sich fragwürdig: Die BRSendung „Wir in Bayern“veröffentlichte ein Bild, bei dem Frauen die Abseitsregel erklärt wird. Ein Fußballfeld wird dabei mit einem Schuhgeschäft verglichen. „Eine Frau wirft ihrer Freundin, die bereits vorne steht, ein Paar Schuhe zum Bezahlen zu. Das, liebe Mädels ist Abseits“, steht auf der Grafik. Nach zahlreichen Protesten auf Facebook und Twitter wurde der Post inzwischen gelöscht.
Frauenbild der 1950er-Jahre
Der Konzern Dr. Oetker wirbt in der Schweiz mit einem Motiv, wie es auch in den 1950er-Jahren hätte erscheinen können. Eine Frau präsentiert einen Fußballkuchen „Back deinen Mann glücklich – auch wenn er eine zweite Liebe hat“steht unter dem Bild. Das Werbeplakat sei ironisch gemeint, rechtfertigte sich das Unternehmen in der Schweizer Zeitung „20 Minuten“. Das Motiv sei von einem Team ausschließlich aus modernen Frauen und teilweise auch Teilzeit arbeitenden Müttern entwickelt worden, heißt es. Für Bernd Oliver Schmidt, Leiter des Instituts für internationales Fußballmanagement an der Hochschule Campus M21 in München, ist völlig unklar, was das Unternehmen damit bezwecken möchte: „Diese Werbung macht für mich keinen Sinn. Es ist keine sinnvolle Kommunikationsstrategie zu erkennen. Ganz im Gegenteil: Damit stellt das Unternehmen die Hälfte der Gesellschaft in eine Ecke und sagt: Ihr habt keine Ahnung.“Dass Vorurteile pünktlich zur Weltmeisterschaft wieder hervorgeholt werden, wundert Schmidt nicht. „Fußball wird leider immer wieder für ein Schubladendenken instrumentalisiert und verleitet allein durch den Sport an sich immer wieder zu einem Schwarz-Weiß-Denken. Zwei Teams, wir auf der einen Seite, und der Gegner auf der anderen“, sagt er. Bei einer WM werde dies noch verstärkt. „Schon bei den TV-Übertragungen geht es immer um Klischees: Wir Deutsche, die Engländer, die Mexikaner. Das sind soziologisch gesehen leicht reflektierbare Klischees, die als Reaktion auf eine immer unübersichtlicher werdende Realität entstehen“, sagt der Institutsleiter. Frauen die Rolle der Ahnungslosen zuzuordnen, gehöre zu diesem vereinfachten Weltbild.
Frauenfeindliche Kommentare
Das zeigt sich auch bei der Aufregung rund um ZDF-Kommentatorin Claudia Neumann. Bei der WM ist sie die einzige deutsche Kommentatorin. Nach jedem Spiel, bei dem sie am Mikrofon ist, hagelt es im Internet Hasskommentare wie „Warum müssen nun die Frauen in jeder Sportart dabei sein? Es nervt Weiber, geht euch die Nägel machen oder sonstiges“oder „Eine Schande, dass eine Frau kommentieren darf“. Neumann hatte für das ZDF im Jahr 2011 die Frauen-WM kommentiert. Bei der EM 2016 war sie die erste deutsche Frau, die für den Live-Kommentar eines Männerturniers eingesetzt war. Schon damals hatte sie mit Spott in den sozialen Medien zu kämpfen.
Schmidt sieht eine Mitschuld für solche Hasskommentare bei Unternehmen, die mit den Vorurteilen spielen: „Wenn sogar ein öffentlichrechtlicher Sender wie der BR Klischees auspackt, ist ein neues Level erreicht. Nämlich, dass wir offen unsere Vorurteile kommunizieren können“, sagt er. Somit sinke auch bei Privatpersonen die Hemmschwelle, frauenfeindliche Äußerungen öffentlich zu machen.