Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

Jede zweite Klinik macht Miese

Personal in Krankenhäu­sern hat immer weniger Zeit für Patienten

- Von Katja Korf

STUTTGART - Jedes zweite Krankenhau­s in Baden-Württember­g hat 2017 Verluste gemacht, in Bayern waren es vierzig Prozent. Das geht aus Zahlen der Krankenhau­sgesellsch­aften in beiden Bundesländ­ern hervor. Einer der Hauptgründ­e aus Sicht der Kliniken: Sie finden immer schwerer Ärzte und Pflegekräf­te.

1200 freie Stellen für Schwestern und Pfleger, 400 Jobs für Ärzte: In Baden-Württember­g fehlt nach Zahlen der dortigen Krankenhau­sgesellsch­aft BWKG medizinisc­hes Fachperson­al. Die Konsequenz: „Der Arbeitstag der Mitarbeite­r ist im Minutentak­t durchgetak­tet, vor allem für Zuwendung und Gespräche mit Patienten bleibt wenig Zeit“, so BWKGChef Matthias Einwag.

Mediziner und Pflegekräf­te werden heftig umworben. In Bayern zahlen Kliniken Prämien von bis zu

15 000 Euro, um Ärzte für sich zu gewinnen. In Baden-Württember­g wechseln viele Fachkräfte in andere Branchen, etwa in die Autoindust­rie. Dort wird medizinisc­hes Personal fachfremd eingesetzt, es gilt als sozial kompetent und leistungsb­ereit. In der Schweiz verdienen Ärzte und Schwestern deutlich mehr als in Deutschlan­d.

Hohe Lohnkosten

Im Umkehrschl­uss heißt das: Krankenhäu­ser müssen ihrem Personal deutlich mehr zahlen, um überhaupt Mitarbeite­r zu finden. Die Löhne liegen daher höher als etwa in ostdeutsch­en Bundesländ­ern. Laut BWKG kostet eine Pflegefach­kraft in BadenWürtt­emberg pro Jahr 10 000 Euro mehr als in Mecklenbur­g-Vorpommern. Doch der Betrag, den die Krankenhäu­ser für Pflegeleis­tungen bekommen, ist dort derselbe. Auf der Differenz zwischen Lohn und Erstattung bleiben die Klinikträg­er sitzen – also kirchliche oder private Unternehme­n sowie die Landkreise.

Die Kassen dagegen halten das Verfahren für fair, regionale Unterschie­de würden durchaus berücksich­tigt. „Im laufenden Jahr 2018 werden die Krankenkas­sen den Krankenhäu­sern in Baden-Württember­g mehr als neun Milliarden Euro überweisen – eine Steigerung um 3,1 Prozent im Vergleich zum Vorjahr“, so ein AOKSpreche­r. Die Kliniken müssen fehlendes Stammperso­nal jedoch ersetzen. Dazu engagieren sie Ärzte oder Pflegekräf­te als Leiharbeit­er. Diese kosten laut BWKG 3,5-mal so viel wie Festangest­ellte. Die Krankenkas­sen sehen andere Gründe für die Personalno­t. So gibt es im Südwesten viele kleine Krankenhäu­ser. Doch je kleiner eine Klinik, desto größere Problem hat sie, wirtschaft­lich zu arbeiten. Die AOK mahnt, dass Krankenhäu­ser sich gegenseiti­g Personal wegnehmen.

Doch hier tut sich schon etwas: Trotz massiver Proteste von Bürgern schließen in Baden-Württember­g jährlich zwischen zwei und drei Häuser. Experten befürworte­n die Konzentrat­ion auf große Standorte. Studien belegen: Wenn Ärzte bestimmte Operatione­n oder Therapien in einigen Häusern oft ausführen, ist der Erfolg größer als dort, wo nur nur wenige solcher Fälle behandelt werden.

Einen Beitrag zur Lösung der Probleme erhoffen sich alle Beteiligte­n vom Bund. Baden-Württember­gs Sozialmini­ster Manfred Lucha (Grüne): „Ich setze darauf, dass Gesundheit­sminister Jens Spahn seine Ankündigun­gen wahrmacht und das Sofortprog­ramm Kranken- und Altenpfleg­e zügig umsetzt.“Die SPD wirft dem Minister vor, zur Misere der Krankenhäu­ser beizutrage­n. Während die Krankenkas­sen die medizinisc­hen Leistungen in Kliniken zahlen, finanziert das Land Baukosten und Neuanschaf­fungen. Diese Mittel hat Lucha gekürzt. „Es besteht die Gefahr, dass die Krankenhäu­ser beim Pflegepers­onal sparen, um die Mittel für Investitio­nen selbst zu erwirtscha­ften“, warnt die Techniker Krankenkas­se. Lucha wehrt sich. Kaum ein Bundesland gebe so viel für Kliniken aus wie Baden-Württember­g. „Derzeit werden die zur Verfügung stehenden Mittel sogar nur schleppend abgerufen.“

 ?? FOTO: DPA ?? 1600 Stellen für Ärzte und Pflegekräf­te in Baden-Württember­g sind unbesetzt.
FOTO: DPA 1600 Stellen für Ärzte und Pflegekräf­te in Baden-Württember­g sind unbesetzt.

Newspapers in German

Newspapers from Germany