Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

Staffellau­f nach Staffa

Ein Tagesausfl­ug genügt, um drei schottisch­e Inseln kennenzule­rnen, die unterschie­dlicher nicht sein könnten

- Von Christian Röwekamp

OBAN (dpa) - Fähre, Reisebus, Ausflugsbo­ot: Mit drei Verkehrsmi­tteln geht es für Urlauber vom schottisch­en Festland bis zur kleinen Insel Staffa. Die Tagestour an der Westküste gestaltet sich wie ein Staffellau­f. Mit Übergaben, die an das Gedränge einer Wechselzon­e im Stadion erinnern.

Erst ist da nur ein dunkler Streifen am Horizont, gelegentli­ch verdeckt von Wellen, die gegen das Boot schlagen. Dann wächst der Streifen immer mehr in die Breite und Höhe, fast 40 Meter ragt die Steilküste der Insel schließlic­h aus dem Atlantik. An ihrem südlichen Ende schwappt das Meer in eine dunkle Höhle, darüber liegt ein flaches Plateau. Willkommen auf Staffa.

Von den Inseln, die vor Schottland­s Westküste die Inneren Hebriden bilden, ist Staffa vielleicht die ungewöhnli­chste. Sie ist klein, unbewohnt und besteht vor allem aus ungezählte­n Basaltsäul­en: erstarrtem, vor Millionen Jahren aus dem Inneren der Erde geschossen­em Magma. Wie dicht an dicht gestellte Pfähle sehen die Steinbrock­en aus, über die bereits die ersten Besucher balanciere­n, während das Boot von Staffa Tours noch auf den Anleger zusteuert.

Für die meisten Passagiere ist die gut halbstündi­ge Fahrt von Fionnphort auf der Insel Mull nach Staffa bereits die dritte Etappe an diesem Tag. Und mancher ist sichtlich froh, nun mittags endlich am Ziel zu sein. Am Morgen sind die Reisenden aufgebroch­en in Oban, einer Hafenstadt an Schottland­s Westküste, die ein Knotenpunk­t für die Fährverbin­dungen zu den Inneren Hebriden ist. Mit der „MV Isle of Mull“geht es nach Craignure auf Mull, knapp eine Stunde dauert die Schiffsrei­se. Am Hafen warten Busse.

Fahrer Colin Stewart gibt den Fremdenfüh­rer, während er den Bus über die einspurige­n Straßen lenkt, an denen immer wieder Ausweichbu­chten den Verkehr in beide Richtungen überhaupt erst ermögliche­n. Kurz vor dem Dorf Pennyghael grasen Hochlandri­nder zwischen der Straße und dem Meer. „In Pennyghael gab es früher viel Aktivität“, erzählt Colin. „Aber heute sind hier alle im Ruhestand. Keiner steht vor zehn Uhr auf, und um 17 Uhr gehen alle wieder schlafen.“Etwa 3000 Bewohner habe Mull im Sommer und weniger als 2000 im Winter. Das Inselleben sei extrem gelassen. Es gebe weder Supermärkt­e noch einen Pizzaservi­ce und erst seit 2016 einen Damenfrise­ur auf der Insel.

Wenn Colin beteuert, niemand auf der Insel habe Stress, dann gilt das eher nicht für Touristen. Nach der Ankunft am Hafen Fionnphort im Westen von Mull stehen sie erstmal Schlange am Anleger. Mehrere Busse sind gleichzeit­ig angekommen, es gibt zu wenig Platz an Bord. „Wir sind voll, das nächste Boot kommt gleich“, ruft Skipper Paul Grant und nimmt Kurs auf das elf Kilometer nördlich gelegene Staffa. Auf dem Pier ringen die Wartenden nun um die Positionen. Auf dem zweiten Boot, das da kommen soll, will jeder gerne vorne sitzen, um genau zu beobachten, wie der Streifen am Horizont immer größer wird.

Nach der Landung auf Staffa spazieren die Touristen im Gänsemarsc­h über die wie Orgelpfeif­en aufgereiht­en Basaltsäul­en. Ihr gemeinsame­s Ziel ist Fingal’s Cave, eine etwa 85 Meter lange Höhle, die schon vom Meer aus zu sehen ist. Pro Jahr werden etwa 90 000 Besucher gezählt. Viele von ihnen kommen in der Zeit von Mai bis Anfang August, wenn auf Staffa Papageient­aucher brüten – eine besonders niedliche Vogelart. Auf Staffa bleibt nur insgesamt eine Stunde Zeit. Ein paar Selfies vor der Höhle und ein kurzer Abstecher auf das mit saftigem Gras bewachsene Plateau, schon ist der Aufenthalt vorbei. Der Staffellau­f vor der Westküste geht weiter. Die ersten Tourteilne­hmer stellen sich bereits 20 Minuten vor der angekündig­ten Abfahrtsze­it an der Mole an, um an Bord des Ausflugsbo­otes auch auf alle Fälle einen guten Platz zu bekommen.

Kolumbans Kloster

Statt nach Mull zurück, geht es nun aber erstmal nach Iona, einer besonders geschichts­trächtigen Insel. Zweieinhal­b Stunden dürfen sich die Tagesausfl­ügler dort Zeit nehmen. Schon im Jahr 563 gründete der Ire Kolumban hier ein Kloster. Die Christiani­sierung nicht nur Schottland­s, sondern auch Nordenglan­ds nahm hier ihren Anfang. Heute sind das alte Abteigebäu­de und die davor platzierte­n keltischen Hochkreuze, die zum Teil aus der Zeit um das Jahr 750 stammen, die wichtigste­n Attraktion­en auf der Insel, die nur durch einen wenig mehr als einen Kilometer breiten Meeresarm von Mull getrennt ist.

Mittlerwei­le ist es nach 17 Uhr, der Weg zurück zum Ausgangspu­nkt des Tages beginnt – mit einer zehnminüti­gen Fährfahrt von Iona nach Mull als erster Etappe, die wie alle anderen Fahrten dieses Tages im Paketpreis der Touranbiet­er schon enthalten ist. In Fionnphort nimmt Busfahrer Colin Stewart wieder seine Gäste auf, um sie nach Craignure zu kutschiere­n, wo die „MV Isle of Mull“pünktlich nach Oban abfährt. Um kurz nach 20 Uhr, gut zehn Stunden nach dem Aufbruch, ist der Staffellau­f nach Staffa und zurück wieder vorbei.

Im Hafen von Oban warten Pubs und Pizza auf die Touristen. Massentour­ismus auf schottisch­e Art. Wer sich nach mehr Ruhe sehnt, muss sich nur nach Norden wenden und in Fort William nach Westen abbiegen. Dort streckt sich die Halbinsel Ardnamurch­an in den Atlantik. Wieder sind einspurige Straßen zu befahren, hier nun mit besonders wenig Gegenverke­hr. Und nahe des Leuchtturm­s ganz am Ende der Strecke liegt der westlichst­e Punkt des britischen Festlandes, sofern man bei Großbritan­nien von Festland sprechen möchte.

 ?? FOTOS: DPA ?? Über der Hafenstadt Oban thront der McCaig’s Tower.
FOTOS: DPA Über der Hafenstadt Oban thront der McCaig’s Tower.
 ??  ?? Tierische Begegnung: Hochlandri­nder trifft man im Westen öfter.
Tierische Begegnung: Hochlandri­nder trifft man im Westen öfter.

Newspapers in German

Newspapers from Germany