Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)
Chancen für die Kinder in Cidreag
Ein Besuch beim Hilfsprojekt von Buki im Nordwesten Rumäniens
BAD SAULGAU - Seit zehn Jahren ist der Bad Saulgauer Verein Buki – Hilfe für Kinder in Osteuropa im kleinen rumänischen Dorf Cidreag präsent. Der Verein möchte Kindern aus Roma-Familien eine Chance auf Bildung geben. Ohne Buki würden nur wenige Kinder die Schule schaffen. Die SZ war einige Tage vor Ort.
Lucsi ist 14 Jahre alt und wohnt mit seiner Familie im Romaviertel in Cidreag. Sein älterer Bruder, den sie Herkules nennen, ist 18. Der große Bruder wird die Reise nach Deutschland antreten. Ein halbes Jahr arbeitet er in Deutschland als Erntehelfer. Wo genau, das weiß er nicht. Zuerst wird er Erdbeeren, danach Gurken pflücken. Ein harter Job. Aber Mutter Kati ist sicher, dass er es schaffen wird. „Herkules hat es noch nie mit dem Lernen gehabt, aber er kann arbeiten“, sagt sie. Wenn er Glück hat, bekommt er in Deutschland den Mindestlohn. Kost und Logis werden ihm vom Lohn abgezogen. Ausgeben wird er in Deutschland deshalb kaum etwas. Die Familie rechnet mit dem Geld, was er nach Hause bringen wird.
Lucsi, der 14-Jährige, habe es mehr mit dem Lernen, sagt seine Mutter. Automechaniker möchte er werden. Ob Lucsi das schaffen wird, ist noch nicht sicher. Derzeit besucht er die achte Klasse, die Abschlussklasse in Cidreag. Immerhin hat Lucsi die Chance. Früh kam er ins Buki-Haus, das vom Bad Saulgauer Verein getragen wird. Hier bekommt er nicht nur Nachhilfe. Er lernte, saubere Kleidung zu tragen und höflich zu sein. Heute spricht er neben seiner Muttersprache Romanés und Ungarisch auch Deutsch. Im Buki-Haus dolmetscht er von Deutsch ins Ungarische oder in Romanés. So wie es aussieht, schafft er den Abschluss an der ungarischen Schule. Bruder Herkules hatte die Chance nicht in diesem Maße. „Herkules war schon zu alt, als er ins Buki-Haus kam“, erklärt Heidi Haller, die stellvertretende Vorsitzende des Vereins. Ihr Mann Stefan Zell ist Vereinsvorsitzender. Heidi Haller und Stefan Zell sind die Köpfe von Buki. Unterstützung erhält das Projekt von einem Kreis ehrenamtlicher Helfer aus Bad Saulgau und Umgebung. Helfer verbringen Teile ihrer Freizeit in Cidreag, sind als Handwerker tätig, bringen die Gebäude in Ordnung oder helfen bei Projekten. Heidi Haller und Stefan Zell verbringen fast ihren gesamten Urlaub in diesem nordwestlichen Zipfel Rumäniens.
Am 1. Mai hat das Buki-Haus zu und doch gibt es eine Maientour zu Fuß zum Baden an die Tur, mit Wanderung. „Ich habe es den Kindern versprochen“, sagt Heidi Haller. Doch es kommt einiges zurück. In der Nacht zum 1. Mai steckten ihr die Kinder einen mit Bändern geschmückten Maien. „Das freut mich riesig“, sagt sie.
„Willkommen in Europa“
Ausgesprochener Reichtum ist in Cidreag kaum zu sehen. Etwa in der Mitte des entlang der Straße gebauten Dorfes beginnt das Viertel der Roma. Hier leben viele Familien auf engstem Raum zusammen. Nicht selten müssen zwei Kinder sich einen Schlafplatz teilen. Selten gibt es einen Tisch. „Europaplatz“haben Stefan Zell und Heidi Haller diesen Ort getauft. Im Viertel der Armen ist es der ärmlichste Ort. Der Name ist ironisch zu verstehen. „Willkommen in Europa“, hätten sie damals gesagt, erzählt Stefan Zell. Damals, vor zehn Jahren, begann die Arbeit von Buki in Cidreag.
Nicht alles hat in den zehn Jahren funktioniert. „Wir haben aus unseren Fehlern gelernt“, sagt Stefan Zell. Zusammen mit einem Bekannten begann der Verein zunächst, für Romafamilien Hilfsaktionen zu organisieren. Doch die gut gemeinte Aktion war keine Hilfe zur Selbsthilfe. Buki suchte nach eigenen Wegen. Bei einer Kleiderverteilung lernten Stefan Zell und Heidi Haller den Romachef John Bogar kennen. Das Vertrauen zwischen dem einheimischen Romachef und dem Hilfeverein aus Bad Saulgau wuchs. Heute ist John Bogar einer der Mitarbeiter im Buki-Haus und wichtige Säule der Arbeit des Vereins. Unter anderem kocht er für die Kinder.
25 Kinder im Buki-Haus
Heute betreut der Verein rund 25 Kinder im Buki-Haus, einem angemieteten Haus in Cidreag. Auch einen Ovola, einen Kindergarten, betreibt der Verein. Hier werden die kleinen Kinder ab der Vorschulklasse betreut. In einem weiteren Haus werden Praktikanten und andere Mitarbeiter auf Zeit im Buki-Haus untergebracht. Einer davon ist Lukas Herfeld. Der 23-Jährige studiert Sozialarbeit in Coburg. Derzeit absolviert er ein Auslandssemester in der ungarischen Hauptstadt Budapest. Der frühere Praktikant im Buki-Haus spricht ungarisch und hat einen guten Kontakt zu den Kindern – ein unschätzbarer Vorteil für die Arbeit. Zeitweise kommt er dann auch nach Cidreag. Gerade bereitet er im pädagogischen Team von Buki einen Sommerferienspaß für Kinder nach Vorbild der gleichnamigen Veranstaltungsreihe in Bad Saulgau vor. 20 Angebote stehen jetzt schon fest.
Auf professioneller Basis sucht Buki passende Mittel zur Förderung der Kinder. „Existierende pädagogische Konzepte passen für Romakinder nicht“, sagt Stefan Zell. Er selbst hat festgestellt, dass es mit Nachhilfe allein im Buki-Haus nicht getan ist. Vieles, was andere Kinder automatisch lernen, ist bei Romakindern nicht selbstverständlich. In vielen Fällen können die Eltern nicht lesen und schreiben und können keine Uhr ablesen. Praktikanten bei Buki haben deshalb die Aufgabe, die Kinder rechtzeitig zum Schulbeginn zu wecken. Ein weiteres Thema ist die Sauberkeit: „Wenn andere sagen, Roma sind so, die laufen eben so herum, dann kann ich das nicht akzeptieren“, sagt Stefan Zell. Wer aber schmutzig in die Schule komme, werde dort von vornherein an den Rand gedrängt. Jeden Montag hat die Wirtschafterin im Buki-Haus die Aufgabe, ein Kind nach dem anderen zu duschen. Buki stellt Schränke bereit, damit die Kinder ihre Kleider sauber aufbewahren können. Und mit einem „Piep, piep, piep, wir haben uns alle lieb“beginnt jede Mahlzeit gemeinsam im Buki-Haus.
Nach zehn Jahren sind bei Buki die Aufgaben nicht geringer geworden. Der 14-jährige Lucsi ist noch nicht über den Berg. Er bräuchte eigentlich weiter Betreuung auf seinem Weg in die Berufswelt. Noch finanziert sich Buki allein durch Spenden und mit Erlösen aus Aktionen in Bad Saulgau und Umgebung, darunter auch die Spenden von Lesern der „Schwäbischen Zeitung“im Rahmen der Weihnachtsaktion der Jahre 2016 und 2017. Fest laufende Einnahmen wären ein wichtiger Schritt. Und dann wäre ein eigenes Gebäude ein Traum. „Wir schaffen und sanieren derzeit für unsere Vermieter“, sagt Stefan Zell.