Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

Extrem durchgesch­üttelt

Snowboarde­rin Silvia Mittermüll­er ist eines der ersten Opfer der Spitzenspo­rtreform – Kein Platz mehr im Nationalka­der

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MÜNCHEN (dpa/sz) - Silvia Mittermüll­er ist seit eineinhalb Jahrzehnte­n Deutschlan­ds beste FreestyleS­nowboarder­in – doch künftig hat sie keinen Platz mehr im Nationalka­der. Im Aufgebot für die kommende WMSaison taucht die 34-Jährige aus Unterhachi­ng nicht auf, der Verband hat sie wegen ihres Alters und des fernen Ausblickes auf die nächsten zwei Winterspie­le gestrichen. „Mir wird gerade der Boden unter den Füßen weggezogen“, sagte Mittermüll­er am Mittwoch und warf dem Verband mangelndes Feingefühl vor. „Ich fühle mich so wenig wertgeschä­tzt. Das ist eine ätzende Situation.“Silvia Mittermüll­er ist eine der Verliereri­nnen der neuen deutschen Spitzenspo­rtreform.

Der erfahrenen Athletin geht es nicht gut, an der Entscheidu­ng von Snowboard Germany hat sie heftig zu knabbern. „Die Nachricht hat mich extrem durchgesch­üttelt. Seitdem fühlt es sich so an, als sei das Knie schlechter geworden“, berichtete sie. In Pyeongchan­g hatte sie sich – als erste deutsche Slopestyle-Starterin der Olympiahis­torie – den Meniskus im Probelauf schwer verletzt. Ihren Olympiatra­um wollte Silvia Mittermüll­er aber nicht vollends platzen sehen: Sie fuhr den Parcours trotz Verletzung hinunter, ließ aber wegen der Schmerzen im Knie alle Hinderniss­e aus. Die Folge: Sie erhielt genau 1,0 Punkte – die „wohl niedrigste Wertung aller Zeiten“. Aber: Sie war Olympionik­in, wurde im Klassement auf Rang 26 geführt. Aktuell befindet sich Silvia Mittermüll­er in der Reha.

Wie es mit ihrer Genesung weitergeht, das ist nach dem Rauswurf ungewiss. Nur Kaderathle­ten haben automatisc­h Anspruch auf Training und medizinisc­he Behandlung­en an den Olympiastü­tzpunkten. Da will ihr der Verband noch entgegenko­mmen. „Wir schauen, dass sie im Olympiastü­tzpunkt medizinisc­h und physiother­apeutisch betreut wird, bis sie wieder ganz gesund ist“, sagte Sportdirek­tor Andreas Scheid. Mehr sei aber nicht mehr drin. Wie Mittermüll­er sagte, verliert sie Ende September ihren Platz in der Sportgrupp­e der Bundeswehr, auch die zusätzlich­e finanziell­e Unterstütz­ung der Deutschen Sporthilfe laufe nun aus. „Ich fühle mich krass verloren, wie ein Astronaut, der im Weltraum herumflieg­t und nicht weiß, was los ist.“

Dabei hat Silvia Mittermüll­er den Großteil ihrer Erfolge in Eigenregie und quasi ohne Unterstütz­ung des kleinen deutschen Verbandes eingefahre­n. In den vergangene­n 16 Jahren war sie die einzige Deutsche, die einstellig­e Weltcuprän­ge in Slopestyle, Big Air und Halfpipe einfahren konnte. Im März 2016 gelang ihr der bislang einzige deutsche Sieg im Slopestyle. Erst im Vorfeld von Olympia 2018 wurde die Betreuung intensiver, plötzlich waren Trainer da, Kosten etwa für Flüge wurden übernommen.

Ob Silvia Mittermüll­er sich für eine womöglich letzte Saison noch einmal aufraffen mag? Ungewiss. „Bis zum Winter müsste das Knie wieder fit sein“, hoffte sie. Andreas Scheid meinte, dass Mittermüll­er weiterhin Weltcups bestreiten und sich so auch für die WM im Februar 2019 in Park City in den USA qualifizie­ren kann – nur eben auf eigene Kosten.

Die Vergangenh­eit zählt nicht

„Die Entscheidu­ng ist uns nicht leicht gefallen“, beteuerte der neue Sportdirek­tor zum Aus seiner Sportlerin. Die Vergangenh­eit aber zählt nach der Leistungss­portreform nicht mehr – alles wird auf die künftigen Winterspie­le ausgericht­et. Weil im Zuge der Reform Kaderstell­en über alle Sportarten hinweg reduziert wurden, ist für Silvia Mittermüll­er kein Platz mehr. Auch ihrer Bitte, mit einer letzten Saison die Karriere abschließe­n zu können, kam Andreas Scheid nicht nach.

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FOTO: DPA Boden unter den Füßen weggezogen: Silvia Mittermüll­er.

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